Der Krimi von Barış Uygur erzählt aus der Perspektive des ehemaligen, leicht verbitterten Polizeibeamten Süreyya Sami seine Suche nach der verschwundenen Frau Deniz Deren. Im Gegensatz zu ihrem Ehemann ist er der Meinung, dass es sich in diesem Fall nicht um eine Entführung handelt. Während er ihre Spur aufnimmt, die ihn in ihre dunkle Vergangenheit führt, erweckt die schöne, junge Emel bei Süreyya wieder neue Gefühle, die er bei sich schon längst vergraben glaubte. Jedoch scheint Emel mehr über ihre Freundin Deniz zu wissen, als sie anfänglich zu gibt.
Rezension || Süreyya Sami hält sich mit allen möglichen Jobs über Wasser. Nach acht Jahren bei der Polizei genießt er einen gewissen Respekt in der Nachbarschaft und profitiert von alten Beziehungen. Erledigt er für andere Behördengänge, kehrt er in der Regel schneller mit Erfolg zurück, als es die anderen jemals geschafft hätten. Er sucht hin und wieder Leute, verdient aber nie so viel, dass er nicht für den kostenfreien Besuch beim Friseur dankbar wäre. Die Wohnung ist glücklicherweise geerbt, sonst wäre seine finanzielle Lage prekär. Mit anderen mag er nicht zusammen arbeiten, also ist er froh, wenn er seinen Lebensunterhalt mit Tapezieren, Streichen, Installationen und ähnlichem bestreiten kann. Seine Fähigkeiten verbreiten sich über Mundpropaganda, so auch seine aktuelle Aufgabe.
In diesem Buch erzählt Süreyya von seinem Auftrag, die verschwundene Ehefrau eines bekannten Sportjournalisten zu finden. Kemal Deren ist frisch verheiratet mit Deniz Cengiz Deren; als Kemal endlich Kontakt mit Süreyya aufnimmt, ist sie bereits seit zwei Wochen verschwunden. Ein bisschen zu lang für eine Entführung, denn Forderungen gibt es keine. Es liegt nahe, dass Deniz in Wirklichkeit abgehauen ist. Gerade deshalb macht sich Süreyya auf die Suche, denn er definiert seinen Job so: Finden will er sie, wie aufgetragen. Aber ob er sie zurück bringen wird, steht auf einem anderen Blatt. Denn Menschen, die sich freiwillig einen anderen Ort zum Leben suchen, sollen das in seinen Augen auch dürfen. Nicht zuletzt gibt es Menschen, die abhauen um gefunden zu werden. Zu welcher Gruppe Deniz gehört, will er herausfinden.
Bei seinen Recherchen begegnet er Emel, einer schönen Frau, die ihn ganz ordentlich durcheinander bringt. Sie weiß spürbar mehr über Deniz, als sie verraten will und Süreyya muss immer wieder höchst nervös bei ihr vorsprechen. In ihrer Gegenwart gehen sämtliche professionellen Züge an ihm verloren. Und zwar nicht unbedingt, weil Emel überhaupt eine umwerfend schöne Frau ist, sondern weil Süreyya mit Frauen nicht umgehen kann. Weder als Mann, noch als Gesprächspartner.
Figuren wie er sind wirklich prima für die Literatur, aber nichts für das echte Leben. Selbst Uygur sagt von seiner Figur: „Er ist mein Alptraum. Er ist alles, was ich nicht sein will.“ Süreyya Sami kennt keine Restaurants, um mit Frauen essen zu gehen, kommt mit Kravatten nicht zurecht (und hat noch nicht einmal halbwegs vorzeigbare), kann nicht mal ansatzweise mit moderner Technik umgehen und bewegt sich im Prinzip nur in dem kleinen Rahmen beulenfrei, den er sich selbst durch seine bewusste Isolierung geschaffen hat. Trotzdem hat er einen netten Fundus an Knowhow, vermutlich aus seinen alten Polizeitagen, mit denen er seine Aufgaben als Privatdetektiv bewältigt.

Überhaupt dominieren bei den Hauptfiguren realitätsfremde Männer. Kemal Deren, der nach außen ein toller Hecht von Sportreporter ist, macht es nicht besser. Von der geheirateten Frau hat er keine Ahnung: „Deniz hat auch gearbeitet, aber nur nebenbei. … Ich denke nicht, dass die allzuviel verdient hat. … Ich habe auch nie eine Website von ihr gesehen. Sie war wohl nicht allzu erfolgreich und hat mir deswegen nichts gezeigt.“ Es gibt keine Fotos im Haus, die helfen könnten und Kemal weiß auch nichts von Freunden oder Familie. Deniz war vor der Heirat für ihn eine Unbekannte und ist es nach der Heirat geblieben.
Uygur gelingt es aber, Süreyya sympathisch zu machen. Die Polizei mit dem schlechten Ruf hat er verlassen, was er dort teilweise mitgemacht hat, bereut er und ist nicht zuletzt deshalb ausgestiegen. Er bestätigt, was die Leser in dieser Form vielleicht auch lesen wollen: dass mit der Polizei nichts anzufangen ist. Eigentlich müsste man eine komplett neue Polizei machen, heißt es da, die das erledigt, was die andere alles nicht kann. Mit Süreyya lernt man das Leben vieler Bürger in den weniger betuchten Vierteln kennen, die sich darüber wundern, dass die Stadt stets neue Bahnen anschafft, im ganzen Stadtgebiet aber nie welche davon auftauchen. Süreyyas Erzählung zufolge leben und arbeiten viele Istanbuler so wie er, schwarz, unregelmäßig, stets erstaunt über die niedrigen Arbeitslosenzahlen.
Das Rendezvous mit Süreyya Sami ist kein atemberaubend spannender Parforceritt durch Istanbul. Dafür ist es ein intimer Einblick in einen kleinen Ausschnitt aus dieser Stadt, in der die Busse auseinanderzufallen scheinen und die großen Themen, die große Wirtschaft und die große Politik ganz weit weg sind.
Der Autor || Baris Uygur, 1978 in Eskisehir geboren, fing schon in frühen Jahren zu schreiben an. Das von ihm besuchte Gymnasium in Istanbul lag in dem Stadtviertel Cagaloglu, in der sich schon immer die Buch- und besonders die Zeitschriftenverlage ansässig waren. So begann er schon mit 16 Jahren für diverse Zeitschriften zu arbeiten. Neben dem Schreiben von Kolumnen, machte er auch Satz- und Layoutarbeiten.
Baris Uygur | Rendezvous auf dem Friedhof Feriköy:
Ein Süreyya Sami-Krimi
Gebundene Ausgabe: 176 Seiten
Verlag: Binooki; Auflage: 1 (7. März 2014)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3943562301
ISBN-13: 978-3943562309
Erstveröffentlichung: 2012 (Original)/ 2014 (dt. Übersetzung)