Die Kunst des Illustrierens: Von Geschichten und Bildern im Dialog
Das Illustrieren von Büchern ist mehr als das schmückende Beiwerk zum Text – es ist eine eigenständige Kunstform, die Geschichten vertieft, Atmosphäre schafft und Leser:innen visuell in fremde Welten entführt. Besonders in der ehemaligen DDR entwickelte sich eine lebendige Illustrationskultur, die bis heute nachhallt, während in ganz Deutschland nach 1945 die Buchillustration für Erwachsene neue Wege beschritt. Die Illustrationskultur der DDR habe ich derzeit besonders im Blick; mein Buchbestand ist da besonders reichhaltig.
Illustratoren der DDR: Zwischen politischem Auftrag und künstlerischer Freiheit
In der DDR wurde Buchillustration stark gefördert, oft im Spannungsfeld zwischen staatlicher Ideologie und künstlerischem Ausdruck. Werner Klemke (1917–1994), einer der prägendsten DDR-Illustratoren, vereinte technische Perfektion mit subtilem Humor. Seine Arbeiten zu Klassikern wie Till Eulenspiegel (1955) oder Decamerone (1972) zeichnen sich durch detailreiche Federzeichnungen aus, die selbst in politisch geprägten Zeiten narrative Freiheit bewahrten. Klemke soll gesagt haben: „Eine Illustration muss den Text nicht wiederholen, sondern ihm eine zweite Ebene geben.“
Klaus Ensikat (1937), bekannt für seine präzisen, fast altmeisterlichen Stiche, illustrierte Märchen der Brüder Grimm und Werke von Hans Christian Andersen. Seine Bilderwelten waren oft ironisch gebrochen, was ihm sowohl Anerkennung als auch Konflikte mit der Zensur einbrachte. Ein weiteres Beispiel ist Karl Schrader (1935–2018), dessen expressivere Arbeiten für Erich Kästners Emil und die Detektive (1975) die kindliche Perspektive dynamisch einfingen.
„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“: Warum Bebilderung Sinn stiftet
Illustrationen erweitern die Imagination. Wie der Schriftsteller Hermann Hesse betonte: „Worte können vieles nicht ausdrücken, was ein Bild in Sekunden vermittelt.“ Die Kinderbuchautorin Cornelia Funke ergänzt: „Bilder öffnen Türen, die der Text nur anklingen lässt.“ Sie illustriert ihre Geschichten in der Regel selbst.
Gerade in komplexen Erzählungen helfen sie, Stimmungen zu verdichten oder historische Kontexte sichtbar zu machen – etwa in Graphic Novels wie Art Spiegelmans Maus, die den Holocaust visualisiert.
Buchillustration in Deutschland nach 1945: Erwachsenenliteratur im Fokus
Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Buchillustration in Deutschland eine Renaissance, nicht nur im Kinderbuch. In Westdeutschland nutzten Verlage wie Rowohlt mit den Rotations Romanen (ab 1950) Illustrationen, um preiswerte Taschenbücher ästhetisch aufzuwerten. Künstler wie Horst Janssen prägten mit radierten Porträts und düsteren Landschaften Werke von Kafka oder Goethe, die psychologische Tiefen ausloteten. In der DDR blieb die Illustration für Erwachsene oft an realistische Traditionen gebunden, doch Künstler wie Klemke schufen auch hier Werke von internationalem Rang.
In den 1970er-Jahren entdeckten Verlage wie Suhrkamp die Illustration neu, um literarische Experimente zu begleiten. Die Zeichnungen von F. K. Waechter zu Thomas Bernhards Texten oder Tomi Ungerers satirische Skizzen zeigten, wie Bilder literarische Abgründe spiegeln können.
„Die Seele der Geschichte einfangen“: Was Künstler & Künstlerinnen beachten
Sie betonen, wie wichtig es ist, „den Rhythmus des Textes zu spüren“ (Ensikat). Der Berliner Künstler Nina Pagalies erklärt: „Es geht nicht ums Abbilden, sondern ums Interpretieren – welche Emotionen, welche Zwischentöne will ich betonen?“ Technische Aspekte wie Farbwahl, Komposition und die Balance zwischen Deutlichkeit und Offenheit spielen eine zentrale Rolle. Susann Hesselbarth, bekannt für ihre Aquarelle zu Judith Schalanskys Verzeichnis einiger Verluste, betont: „Jedes Bild muss atmosphärisch stimmen, sonst zerbricht der Zauber.“
Gleichzeitig warnen Künstler:innen vor der Überfrachtung: „Zu viele Details lenken ab, zu wenige lassen den Leser allein“ (Klemke). Die Herausforderung liege darin, „eine visuelle Sprache zu finden, die den Text respektiert, aber eigenständig bleibt“ (Ensikat).
Buchillustration ist ein Dialog zwischen Wort und Bild, der Geschichten bereichert – ob durch Klemkes detailverliebte Erzählstränge oder Janssens düstere Expressivität. Sie fordert dazu auf, Texte neu zu entdecken, und bleibt, wie der Verleger Klaus Wagenbach einst sagte, „die stille Revolution des Lesens“.
In dieser Rubrik finden sich vorerst die Werke, die ich in meinem Bestand habe. Und sie dienen mir als Hilfe, selbst das Illustrieren zu erlernen.
-
Wolfgang Mattheuer: Maler und Illustrator zwischen Symbol und Gesellschaft
Wolfgang Mattheuer (1927–2004), einer der prägenden Köpfe der Leipziger Schule, ist vor allem für seine malerischen Werke bekannt, die sich kritisch mit den gesellschaftlichen Utopien und Widersprüchen des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen. Doch neben seiner Tätigkeit als Maler und Bildhauer spielte auch seine Arbeit als Illustrator eine bedeutende Rolle, die sein künstlerisches Schaffen um eine narrative…
-
Buchillustration in Deutschland seit 1945: Ein Blick auf die Szene in der ehemaligen DDR
Die Buchillustration in Deutschland nach 1945 ist ein faszinierendes Kapitel der Kunst- und Literaturgeschichte, das besonders in der ehemaligen DDR eine eigenständige und bedeutende Entwicklung nahm. Während in der Bundesrepublik die Buchillustration vor allem im Kinder- und Jugendbuchbereich florierte, etablierte sich in der DDR eine lebendige Illustrationskultur, die auch die Erwachsenenliteratur umfasste. Hier wurde die…
-
Eberhard Binder-Staßfurt
Eberhard Binder, auch unter dem Namen Eberhard Binder-Staßfurt bekannt, wurde am 2. Mai 1924 in Staßfurt geboren und prägte als Grafiker und Illustrator über fünf Jahrzehnte die Kunstlandschaft der DDR und darüber hinaus. Nach ersten künstlerischen Schritten an der Meisterschule des Deutschen Handwerks (Werkkunstschule) in Hildesheim (1941–1942) absolvierte er von 1949 bis 1952 ein Studium an der Fachschule…
-
Klaus Ensikat
Klaus Ensikat (geb. 28. Januar 1937 in Berlin; gest. 22. September 2021) zählt zu den bedeutendsten deutschen Illustratoren des 20. und frühen 21. Jahrhunderts. Nach einem Studium an der Hochschule für Bildende Künste Berlin (heute Universität der Künste) begann er seine Karriere als freischaffender Künstler. Seine Arbeiten prägten die Buchkunst nachhaltig, besonders im Bereich der…
-
Karl Fischer – Geschichten auch ohne Worte
Karl Fischer, geboren am 21. Oktober 1921 in Bismarckhütte (heute Chorzów-Batory), war einer der produktivsten und bekanntesten Illustratoren der DDR. Sein künstlerisches Werk, das sich über mehrere Jahrzehnte erstreckt, umfasst etwa 400 Bücher und zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitschriften. Dabei setzte Fischer verschiedene grafische Techniken ein, wie Feder-, Tusche-, Schab- und Aquarellzeichnungen, und schuf damit Werke,…
-
Wolfgang Würfel – Porträt
Wolfgang Würfel, geboren am 31. März 1932 in Leipzig, ist ein deutscher Grafiker, Illustrator und Maler. Seine künstlerische Laufbahn begann mit einer Lehre im Malerhandwerk von 1946 bis 1949, gefolgt von einem Studium an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee von 1950 bis 1955. Dort wurde er unter anderem von Arno Mohr und Ernst Rudolf Vogenauer unterrichtet. Besonders…
-
Illustrierte Bücher
Die Kunst des Illustrierens: Von Geschichten und Bildern im Dialog Das Illustrieren von Büchern ist mehr als das schmückende Beiwerk zum Text – es ist eine eigenständige Kunstform, die Geschichten vertieft, Atmosphäre schafft und Leser:innen visuell in fremde Welten entführt. Besonders in der ehemaligen DDR entwickelte sich eine lebendige Illustrationskultur, die bis heute nachhallt, während in…
-
Wolfgang Würfel
Wolfgang Würfel, geboren 1932 in Leipzig, ist ein bedeutender deutscher Grafiker, Illustrator und Maler. Nach einer Ausbildung als Dekorationsmaler und dem Besuch von Zeichenkursen in Chemnitz begann er 1950 sein Studium an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, das er 1955 abschloss. Dort prägten ihn insbesondere die Einflüsse von Werner Klemke, der ihn zur Illustration und zur Arbeit…
-
Willi Sitte
Willi Sitte (1921–2013) war einer der bedeutendsten und zugleich umstrittensten Künstler der DDR. Sein Werk umfasst Malerei, Grafik und Zeichnungen, die sich durch expressive Formensprache, politische Aussagen und eine intensive Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper auszeichnen. Sitte war nicht nur ein produktiver Künstler, sondern auch eine zentrale Figur im Kulturleben der DDR, was ihm sowohl…
-
Ala Bankroft | Helena Stiasny
Ala Bankroft ist das Pseudonym der polnischen Malerin, Fotografin und Filmanimatorin Helena Stiasny. Ihre Illustrationen für das Buch „Ich habe einen schönen Specht gesehen“ wurden als Erstlingswerk in der Kategorie OPERA PRIMA beim BolognaRagazzi Award 2020 von der Internationalen Kinder- und Jugendbuchmesse in Bologna ausgezeichnet. Künstlerin, geboren 1997 in Warschau. Malerin, Fotografin, Illustratorin. Im Jahr…