Maria Aronov

In meiner Schulzeit entwickelte sich bei mir ein großes Interesse für Deutsch. Später, im Abitur wählte ich Deutsch als Leistungskurs und entschied mich für das Studium der deutschen Sprache und Literatur (Germanistik). Als Nebenfächer wählte ich Deutsch als Fremdsprache und Philosophie.

Alle drei Fächer waren mir sehr nah, da ich selbst schreibe, mich für die Philosophie der griechischen Antike interessiere und der Meinung bin, dass alle drei Dinge miteinander zusammenhängen.

Maria Aronov || Foto: Privat
Maria Aronov || Foto: Privat

Die Sprache ist nicht nur ein Werkzeug zur Verständigung, sie ist viel mehr. Mit der Sprachfähigkeit hängt unmittelbar das Denken zusammen. Sie gibt uns die Möglichkeit, die Welt anders wahrzunehmen, andere Kulturen und Traditionen besser kennenzulernen, sich in bestimmte Situationen besser eindenken zu können, sie zu verstehen und aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Der Linguist und Professor an der Cambridge University Noam Chomsky betrachtet die Entwicklung der Sprache, die bereits vor zirka 50.000 Jahren entstand als „einen großen Sprung nach vorn mit kreativer Vorstellungskraft, Planen, differenzierten Werkzeuggebrauch, Kunst und symbolische Präsentation“. So findet Chomsky, dass die genannten Aspekte miteinander verbunden sind: „Wenn ein Homonide Sprachfähigkeit besitzt, kann er planen, denken, interpretieren, er kann sich andere Situationen vorstellen, Alternativen, die gerade nicht da sind – und er kann eine Wahl zwischen Ihnen treffen oder eine Einstellung zu Ihnen haben.“

Das Beherrschen einer Sprache ist der Schlüssel zu der Akzeptanz und dem Verständnis einer anderen Welt. Während der Immigration nach Deutschland erfuhr ich dies an eigener Haut.

Als meine Familie und ich nach Deutschland kamen, sprach ich kein Wort Deutsch. Diese Tatsache zog viele weitere Nachteile mit sich – es fiel mir schwer, Freunde zu finden, Kontakte zu knüpfen. Die Denkweise der Deutschen war mir teilweise schleierhaft und ich fühlte mich, als wäre ich auf einem anderen Planeten, mitten in einem dunklen Wald angekommen, aus dem es keinen Ausgang gab.

Auch, wenn ich ein Kind war, war es nicht so einfach, die deutsche Sprache zu lernen. Es erforderte harte Arbeit und viel Geduld. Ein Stück meiner Kindheit ist damit verloren gegangen. Aber dafür gewann ich einen Preis. Durch harte Mühe erreichte ich mein Ziel – ich schloss neue Freundschaften, bekam gute Noten und studierte letztendlich Deutsch an der Universität.

Mein Studiengang war für mich eine Tür zu einer Welt, in der ich Menschen helfen kann. Ich will ihnen die Situation, die ich selbst so gut kenne, erleichtern, ihnen auf diesem schweren Weg der Integration die Hand reichen und sie in der Sprachwildnis nicht allein lassen.

Mein Beruf ist zu meinem Hobby geworden. Natürlich gibt es im Unterricht nicht immer einfache Situationen. Die meisten Kursteilnehmer kommen aus Krisengebieten. Die Menschen haben zum Teil ihre Familien, Häuser, ihr aufgebautes Leben verloren. Sie müssen hier ganz neu anfangen und tragen die Last des Geschehenen mit sich herum. Manchmal fällt es ihnen nicht einfach, sich im Unterricht fallen zu lassen und sich nur auf das Lernen zu konzentrieren, vor allem dann nicht, wenn die Familien auseinander gerissen sind und man gerade nicht weiß, wie es den anderen geht.

Ich bewundere diejenigen, die sich so viel Mühe geben und Interesse daran zeigen, Deutsch irgendwann perfekt beherrschen zu können.

Eine wichtige Rolle spielt natürlich auch der Bildungsstand. Dieser ist aber keine Garantie dafür, dass ausgerechnet ein Akademiker die Sprache schneller erlernt. Es gibt auch viele Teilnehmer, die mit nur neun oder gar weniger Klassen Schulbildung die Sprache schnell erlernen als jemand mit einem Universitätsabschluss. Manchmal fällt ihnen aber die Arbeit mit Büchern schwer. Diese müssen sie erst einmal lernen und es ist unglaublich, welche Fortschritte man dann sehen kann.

Akademiker haben einen anderen Zugang zum Lernen. Sie können die grammatikalischen Strukturen nicht immer, aber oft schneller erschließen und anwenden.

Doch natürlich trägt nicht nur das sture Lernen der Sprache zum Erfolg bei. Es ist ebenso wichtig, sich gegenseitig zu akzeptieren und Spaß im Unterricht zu haben, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich jeder wohl fühlt und miteinander kommunizieren kann. Dazu muss jeder einen kleinen Beitrag leisten.

Oft entstehen im Unterricht lustige Situationen, umso wichtiger ist es, dass man nach ihrer Aufklärung gemeinsam lachen kann.

Ich erlebte schon unzählige lustige Dinge wie zum Beispiel die Aussage: „Heute übernachte ich im Sparschwein“ – in dieser Aufgabe sollte man Satzteile miteinander verbinden. Die richtige Lösung war „Heute übernachte ich im Hotel Halbmond“ und „Mein Geld ist im Sparschwein“.

Eine andere lustige Aussage war „Ich bin verheiratet und ledig“.

Am meisten haben wir über den Satz „Gestern war ich beim Arzt und er hat meine Überreste fotografiert“ gelacht – gemeint war: „Gestern war ich beim Arzt, der Röntgenaufnahmen von meinem Skelett gemacht hat“.

Es sind wunderbare Dinge, aus denen man lernt. Das gemeinsame füreinander Dasein und Lachen schweißen die Gruppe zusammen und geben den Menschen das Gefühl dazuzugehören, nicht allein in einem fremden Land zu sein. Im Idealfall wächst man zu einer Familie zusammen.

Die Integration ist ein schwerer Prozess, der nach viel Geduld, Mühe und gegenseitiger Anerkennung verlangt.

Meinen Job würde ich gegen keinen anderen eintauschen wollen. Es ist eine Arbeit zwischen unterschiedlichen Welten, die man zu einer gemeinsamen zusammenbringt. Sie ist herausfordernd, hart, spannend und auch Freude bereitend. Allein das Gefühl Fortschritte und Erfolg bei den Teilnehmern zu sehen, ist großartig.


Noam Chomsky: „The Science of Language. Interviews with James McGilvray”, Cambridge University Press, 2012.