Ulanbagan | Eine erfundene? Selbstdarstellung

Bei der Suche nach biografischen Angaben zu Ulanbagan habe ich zunächst sehr wenig gefunden. Nicht einmal das Geburtsdatum ließ sich ermitteln – vor allem wohl, da ich der chinesischen Sprache nicht mächtig bin und daher keine Originalquellen durchsuchen mochte.
In einer Ausgabe der englischsprachigen Zeitschrift „Chinese Literature“ aus dem Jahr 1965 dird er wie folgt beschrieben: The 36-year-old author, Ulanbagan, is a Mongolian from the Kolchin-Grassland, in Inner Mongolia.
Hier habe ich auch nachfolgenden Text gefunden. Der Autor erzählt die Geschichte, wie seine Erzählung “Aufstand der Sünder” entstanden ist. Viele Details lassen sich nicht ohne weiteres überprüfen oder nachvollziehen. Z.B.: Die Kolchin-Steppe: Es ist mir nicht gelungen, diese auf Karten der Mongolei zu finden. Auch eine Karte aus dem Jahre 1902 half nicht weiter. Wikipedia ebensowenig. Nun weiß ich nicht, ob dies eher eine erfundene Selbstdarstellung ist. Unterhaltsam ist sie allemal.

Ulanbagan – Wie ich dazu kam, „Aufstand der ‚Sünder‘“ zu schreiben

„Ich wurde in einem kleinen Dorf am südlichsten Rand des Kolchin-Graslandes in der Inneren Mongolei geboren. Unser Dorf bestand aus weniger als zehn Familien, sowohl Han-Chinesen als auch Mongolen. Sie lebten von der Landwirtschaft und der Weidewirtschaft. Die meisten von ihnen waren Leibeigene des örtlichen Feudalherrn. Ständig hungrig und überarbeitet, wurden diese Familien seit Jahrhunderten grausam ausgebeutet und unterdrückt.

Als ich geboren wurde, hatte meine Mutter, die an Tuberkulose erkrankt war, keine Milch. Unsere Nachbarn waren eine Familie namens Li, arme Bauern aus Hopei, die sich während einer Hungersnot auf dem Grasland niedergelassen hatten. Als ich vor Hunger wimmerte, stillte mich Tante Li an ihrer Brust. Obwohl ich also nicht ihr Kind war, stillte sie mich, bis ich alt genug war, um zu sprechen. Meine Mutter sagte mir später oft mit Tränen in den Augen: „Du musst dich immer an die Güte von Tante Li erinnern, Kind, du hast einen Teil ihres Blutes in dir.“

Als ich neun Jahre alt war, zwangen Armut und Überschwemmungen unsere Familie, unsere freundlichen Nachbarn zu verlassen und sich in Bayantal am Nordufer des Sharmuren-Flusses im zentralen Teil des Kolchin-Graslands niederzulassen. Diese Region stand unter der Herrschaft von Lord Darhan, dem Oberhaupt der sieben Lords, die Kolchin beherrschten. Jeder, der sich dort niederließ, musste ihm eine Kopfsteuer zahlen; wer aus anderen Teilen des Landes kam, musste das Doppelte bezahlen. 

Ich dachte oft an Tante Li. Wir hörten, dass Onkel Linach Ausbruch des Widerstandskrieges gegen Japan von den Japanern zur Zwangsarbeit eingezogen wurde. Nach nur zwei Monaten starb er an einer Knollenblätterpilzerkrankung. Tante Li ging mit ihrer kleinen Tochter südlich der Großen Mauer auf die Suche nach ihrem Sohn und bettelte unterwegs um Essen. Sie erkrankte schwer und hatte keine andere Wahl, als ihre Tochter als Haussklavin an Lord Darhan zu verkaufen. Dies hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck in meinem jungen Gemüt. Ich hasste das feudale System der Herrschaft der Fürsten. Was mit Tante Li und ihrer Familie geschah, lehrte mich, wen ich hassen und wen ich lieben sollte. 

Eines Jahres veranstaltete der Herr in unserem Dorf ein Fest zu Ehren seiner Vorfahren. Fast 30.000 Leibeigene wurden versammelt und gezwungen, Geld und Vieh abzugeben. Bei den Feierlichkeiten sah ich eine Gruppe von 75 weiblichen Haussklaven mongolischer und Han-Nationalität , die den Adligen und ihren Frauen, die sie nach Belieben beleidigten und misshandelten, Tabletts mit Früchten und Kuchen servierten.

Mit blauen Flecken im Gesicht und Tränen in den Augen gingen die Sklavinnen durch die Menge und wagten es nicht, jemanden direkt anzuschauen. Zwei Tage später hieß es, dass mehrere dieser Sklavinnen, die von ihren Herren zur Verzweiflung getrieben worden waren,sich in einem Brunnen ertränkt hatten. Seitdem hörte ich jedes Mal, wenn ich in der Nähe des Herrenhauses vorbeikam, klagende Schluchzer. Ich musste an die kleine Tochter von Tante Li denken und vergoss leise Tränen.

Tragödien wie die von Tante Li waren auf dem Kolchin-Grasland keine Seltenheit. 

Die Hunderttausende von Han, die sich dort niederließen, wurden wie die einheimischen Mongolen zu Leibeigenen und lebten unter der finsteren Herrschaft der japanischen Invasoren und der Feudalherren. In ihrer Not gingen die Mongolen und die Han eine Beziehung in Fleisch und Blut ein. Wie Brüder vereint, führten sie einen heldenhaften Kampf gegen ihre Unterdrücker.
Vierzehn lange Jahre herrschten die japanischen Imperialisten über das Kolchin-Grasland. Sie töteten und brannten überall und plünderten die Han- und Mongolenvölker aus. Lord Darhan war der despotischste Gefolgsmann der Invasoren. Zu dieser Zeit hatten neun von zehn Menschen nicht genügend Kleidung. Hunger war weit verbreitet. Wenn ein Mensch starb, wurde sein Leichnam zur Beerdigung in ein Stück zerlumptes Schafsfell eingewickelt. Wenn die japanischen Invasoren oder die örtlichen Fürsten davon erfuhren, ließen sie die Familie des Verstorbenen ins Gefängnis werfen, weil sie die Schafsfellsteuer nicht bezahlt hatten. 

Meine Jugend verbrachte ich in den Jahren des Widerstandskrieges gegen Japan. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie die Sklaven unter den Gewehren und Bajonetten der japanischen Soldaten und der schwarzen Peitsche des lokalen Herrschers lebten. Sie konnten von den japanischen Invasoren und den lokalen Herren frei gehandelt und geschlachtet werden, wobei es ihnen schlechter erging als den Hunden oder Rindern der Herren. Ein einziger Hund oder eine einzige Kuh war für die Herren mehrere Sklaven wert.

In ihrem Elend wandten sich die Mongolen der Religion zu. Einige machten sich auf den Weg  zum Berg Wutai, um dort ihr Glück zu suchen, wobei sie bei jedem Schritt einen Kotau machten und einen Ziegelstein umdrehten, den sie bei sich trugen. Die meisten von ihnen verhungerten auf dem Weg. Andere begingen vor dem buddhistischen Schrein Selbstmord, in der Hoffnung, dass ihnen dies in einer zukünftigen Existenz ein besseres Los bescheren würde.

Die Hauptfiguren des Romans, Batjargal, Oyunchichig und ihre Eltern, sind realen Personen nachempfunden, die ich damals kannte. Generation um Generation lebte als Leibeigene. Einige von ihnen hatten sich mit ihrem Schicksalabgefunden, andere fürchteten sich zu kämpfen, wieder andere waren wütend, wagten aber nicht,ihren Zorn zu äußern. Wer vom Landesherrn als „Sünder“ bezeichnet wurde, konnte seine „Sünden“ nie sühnen. Die grausame Unterdrückung hielt das Volk zurück, es war unwissend, abergläubisch und arm. Als sie jedoch politisch erwachten, wurden sie mutig und kämpften unter der Führung der großen Kommunistischen Partei Chinas und des Vorsitzenden Mao Tse-tung heldenhaft.

Während des Widerstandskrieges gegen Japan sandte die Kommunistische Partei Chinas einige ihrer besten Mitglieder aus, um die Mongohan- und Han-Völker auf dem Kolchin-Grasland aufzurufen, ihre Fesseln zu sprengen. 

Es wurde eine Untergrundorganisation der Partei gegründet, die sie in eine Revolution gegen die japanischen Invasoren und die lokalen Herren führte. Seit meiner Kindheit habe ich viele Geschichten über die Parteimitglieder gehört, die in das Grasland geschickt wurden. Sie waren allesamt gute Kommunisten, mutig, wachsam und edel. Einige wurden von japanischen Geheimagenten gefangen genommen, aber sie haben sich trotz grausamer Folter nie ergeben. Sie starben einen heldenhaften Tod und werden für immer in den Herzen der Mongohan und Han leben. Die Figur Li Ta-nien basiert auf mehreren realen Männern, die ich kannte. Bestimmte Episoden beruhen auch auf tatsächlichen Ereignissen, die ich gesehen oder von denen ich gehört habe, wie z. B. der Brand des Herrenhauses, der Ausbruch aus dem Gefängnis und der Kampf gegen die Flut. 

Ich bin auf folgende Weise zum Schreiben des Romans gekommen: Nach dem Ende des Widerstandskrieges gegen Japan im Jahr 1945 trat ich im Alter von siebzehn Jahren in die Armee der Achten Route ein. Die Volksherrschaft wurde im gesamten Kolchin-Grasland errichtet.  Doch im nächsten Frühjahr starteten die reaktionären Kuomintang-Armeen, unterstützt von den US-Imperialisten und im Bunde mit den lokalen Machthabern, einen grausamen Angriff, bei dem die Mongolen und Han massakriert wurden. In der Armee, von der Partei unterrichtet und von erfahrenen Han-Kadern unterstützt, schärfte ich mein politisches Bewusstsein. Der Klassenhass brannte in meinem Herzen. Nacht für Nacht konnte ich nicht schlafen, wenn ich an die grausamen japanischen Invasoren, die mongolischen Fürsten und die reaktionären 77er der Kuomintang dachte. Um meinem starken Hass auf die Feinde ein Ventil zu geben, erzählte ich meinen Mitkämpfern Geschichten über die vielen Heldentaten der Mongolen und Han auf dem Kolchin-Grasland in ihren von der Partei geführten revolutionären Kämpfen.

1947 beschloss ich zum ersten Mal, diese Geschichten aufzuschreiben, um die bewegenden Ereignisse, von denen ich gehört und die ich gesehen hatte, durch das Medium der Literatur mehr Menschen bekannt zu machen. Aber damals konnte ich nicht einmal einen anständigen Brief schreiben. Wie sollte ich da ein Buch schreiben? Doch ich hatte das Gefühl, dass ich es tun musste. Also schrieb ich sowohl auf Mongolisch als auch auf Chinesisch 20.000 Wörter. Leider waren sie für niemanden außer für mich selbstverständlich. Ein Jahr später konnte nicht einmal ich sie verstehen. 

In meiner Freizeit las ich viele Romane über revolutionäre Kämpfe. Die ständige Weiterbildung, die mir die Partei angedeihen ließ, verbesserte mich sowohl politisch als auch kulturell. Mein Wunsch zu schreiben wurde gestärkt. 1949 brachte der Sieg der Revolution im ganzen Land und die Gründung der Volksrepublik China dem Volk der Inneren Mongolei die vollständige Emanzipation. Dank der Kommunistischen Partei Chinas und des Vorsitzenden Mao begann für das mongolische Volk ein neues Leben. Um so eifriger begann ich im Oktober 1949 mit dem Schreiben dieses Romans. 

Es war ein mühsamer, aber glücklicher Prozess. Ich habe in meiner Freizeit geschrieben und dabei mehrere Wörterbücher verschlissen. Ich schätzte jeden Moment, den ich finden konnte, um an meinem Roman zu arbeiten. Viele schwierige Probleme tauchten auf, aber ich hielt durch, weil ich den Lesern unbedingt erzählen wollte, wie das mongolische Volk unter der Führung unserer geliebten Partei und des Vorsitzenden Mao Tse-tung seinen revolutionären Kampf gewonnen hat. Das war mein Motiv für das Schreiben des Buches. Bis 1956, sieben Jahre später, hatte ich mehrere Pfund Manuskripte produziert, aus denen ich einen ersten Entwurf von mehr als 1 200 000 Wörtern (in vier Teilen) ausarbeitete.

Dieser Entwurf wies jedoch viele Mängel auf. Die Figuren waren nicht lebendig genug, die Handlung war sehr verworren. Ich schickte das Manuskript an das China Youth Publishing House, wo die Redakteure es geduldig und sorgfältig lasen und mir viele offene Kommentare und hilfreiche Vorschläge gaben. Nachdem ich es mehrfach überarbeitet hatte, erschien der erste Teil von Aufstand der „Sünder“ schließlich in seiner jetzigen Form.“

Quelle: Chinese Literature Magazin 1965/2