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Frognerpark, Oslo | Gustav Vigeland (1869- 1943)

Vom introvertierten Sein

Über den erfolgreichen Umgang mit einer unbeliebten Spezies | Es gibt eine ganze Reihe von Eigenschaften, die introvertierten Menschen zugeschrieben werden. Ein introvertierter Mensch weist nicht alle diese Eigenschaften auf. Wie bei allen anderen Menschen variieren diese und sind unterschiedlich ausgeprägt. Introvertiert zu sein hat übrigens nichts mit Schüchternheit zu tun.  Auch auf mich trifft nicht alles zu und bei mancher Eigenschaft bin ich froh, dass der Kelch an mir vorüber gegangen zu sein scheint.

Einige dieser Merkmale lassen sich als Außenstehender erkennen, andere eher nicht. Viele Introvertierte werden versuchen, die als negativ empfundenen Eigenschaften zu unterdrücken, was mal mehr mal weniger funktioniert. Zu bedenken gilt bitte, dass es neben Intro- und Extroversion weitere Persönlichkeitsmerkmale gibt, die das Verhalten eines Menschen beeinflussen. Insofern ist die nachfolgende Liste nicht geeignet, um Menschen mit dem Stempel “introvertiert” zu versehen. Sie bietet allerdings Anhaltspunkte, um das Verhalten von Menschen – also auch von sich selbst – besser zu verstehen.
Da unsere Gesellschaft mit Introversion eher Nachteiliges verbindet, habe ist die Liste unterteilt in Eigenschaften, die für gewöhnlich positiv, neutral oder negativ einsortiert werden.

Die nachfolge Auswahl entstammt sowohl  Literaturquellen (inkl. Internetforen) als auch eigenen Erfahrungen (der Autor zählt sich selbst zu den introvertierten Menschen).

Als eher positiv wahrgenommene Eigenschaften

  • Introvertierte sind die besseren Zuhörer. Sie mögen tief gehende Gespräche und diskutieren gerne die Probleme von anderen Menschen. Sie sind weniger darauf aus, selbst zu Wort zu kommen, sondern hören einfach zu.
  • Introvertierte sind aufmerksame Beobachter. Sie bemerken oft Dinge um sie herum oder Stimmungen, die anderen entgehen. Sie entdecken auch eher Fehler.
  • Introvertierte sind sehr gewissenhaft und verantwortungsbewusst. Ihnen ist wichtig, eine Aufgabe korrekt zu erledigen und Fehler zu vermeiden.
  • Introvertierte sind zuverlässig. Wenn sie etwas ankündigen oder versprechen, dann machen sie es meist auch.
  • Introvertierte sind pünktlich. Es ist ihnen unangenehm, wenn andere Menschen auf sie warten müssen.
  • Introvertierte bringen andere Menschen nicht in unangenehme Situationen. Wenn es sich doch nicht vermeiden lässt, leiden sie unter Schuldgefühlen.
  • Introvertierte lesen viel. Sie verbringen viel Zeit mit Büchern, denn Lesen ist für sie eine gute Möglichkeit, um Energie zu tanken und persönlich zu wachsen.
  • Introvertierte sind sehr kenntnisreich. Vor allem in der Tiefe sind sie gut informiert. Wenn sie sich für ein Thema interessieren, saugen sie das verfügbare Wissen förmlich auf.
  • Introvertierte sind sehr reflektiert. Über neue Erlebnisse und neues Wissen denken sie lange nach, um es zu verarbeiten. Entsprechend durchdacht sind ihre Antworten auf Fragestellungen (wenn man ihnen Zeit gibt).
  • Introvertierte hinterfragen vieles. Anstatt Informationen einfach hinzunehmen, hinterfragen sie oft die Bedeutung. Das trifft auch auf ganz einfache Alltagssituationen zu.
  • Introvertierte sind sehr mitfühlend. Die Stimmung anderer Leute kann sie berühren und in der eigenen Stimmungslage beeinflussen.
  • Introvertierte sind verständnisvoll. Sie hören besser zu, sind mitfühlend und reflektieren viel. All dies hilft, sich in ihre Mitmenschen besser hineinzuversetzen.
  • Introvertierte werden oft um Rat gefragt. Durch ihr bedachtes Auftreten und ihr tiefes Wissen, werden sie oft von anderen Menschen konsultiert. Introvertierte sind besonders häufig in beratenden Berufen tätig.
  • Introvertierte sind bescheiden. Sie stehen nicht gern im Mittelpunkt und neigen somit auch nicht zu Übertreibungen.
  • Introvertierte denken, bevor sie sprechen. Sie reden wenig, spät und langsam, weil sie nicht sprechen (können), ohne nachgedacht zu haben.
  • Introvertierte sind glaubwürdig. Durch Zuverlässigkeit, Bescheidenheit und bedachtes Sprechen werden sie oft für glaubwürdiger gehalten.
  • Introvertierte sind kreativ. Unter Beobachtung können sie diese Stärke nicht ausspielen, aber wenn sie allein sind mit ihren Gedanken, können Introvertierte äußerst kreativ sein. Viele Künstler sind introvertiert.
  • Introvertierte sind vorausschauend. Sie neigen dazu, nicht nur die positive Seite zu sehen, sondern erkennen schon frühzeitig mögliche Probleme. Dadurch wirken sie oft pessimistisch.
  • Introvertierte können gut planen. Sie versuchen, zu viele Überraschungen in ihrem Leben zu vermeiden. Das funktioniert am besten mit viel Planung.
  • Introvertierte sind gut vorbereitet. Wann immer sie sich jemandem oder einer Gruppe von Menschen präsentieren müssen, sind sie äußerst gut vorbereitet. Ein Vortrag wird beispielsweise bis zur Erschöpfung durchgesprochen, Informationen werden verinnerlicht.
  • Introvertierte sind ordentlich. Sie mögen kein unübersichtliches Chaos. Sie funktionieren besser, wenn ihr Umfeld überschaubar bleibt.
  • Introvertierte wollen wachsen. Sie haben einen besonders starken Drang nach persönlichem Wachstum. Dieses erreichen sie vor allem durch Lesen und Reflexion – aber auch durch neue Erlebnisse in einem für sie erträglichen Umfang.
  • Introvertierte gehen vom Guten im Menschen aus. Das heißt nicht, dass sie anderen Menschen früh vertrauen, aber sie gehen eher davon aus, dass andere Menschen gute Absichten verfolgen.
  • Introvertierte sind gute Führungskräfte. Sie können Teams von proaktiven Mitarbeitern besser führen als Extrovertierte.
  • Introvertierten sind selten gelangweilt. Auch wenn es so aussieht, als würden sie nichts tun, fühlen sie sich wohl in ihren eigenen Gedanken. Introvertierte können sich gut mit sich selbst beschäftigen.
  • Introvertierte sind geduldig und ausdauernd. Sie widmen sich Problemstellungen deutlich länger als ihre Mitmenschen und kommen so oft zu innovativen Lösungen.
  • Introvertierte sind vorsichtig. Sie gehen weniger Risiken ein, die sie nicht einschätzen können.
  • Introvertierte sind unabhängig. Sie machen ihre Gefühle weniger abhängig von anderen Menschen und können eine zeitlang allein sein. Auch beruflich sind sie ungern von anderen Menschen abhängig.
  • Introvertierte sind offen für Ideen. Sie hören bei Vorschlägen ihrer Mitmenschen besser zu und diskutieren gern neue Ideen und Lösungsvorschläge.
  • Introvertierte können sich tief konzentrieren. Wenn sie an einer Problemstellung arbeiten, können sie sich in ihr vertiefen.
  • Introvertierte sind sehr genau. Sie machen keine halben Sachen, sondern möchten das bestmögliche Ergebnis abliefern. Sie neigen zum Perfektionismus.
  • Introvertierte strahlen Ruhe aus. In turbulenten Zeiten werden sie weniger hektisch und treffen weiterhin bedachte Entscheidungen.
  • Introvertierte sind weniger materialistisch. Sie wenden sich eher ihrem Innenleben zu als externen Dingen. Daher sind ihnen Statussymbole weniger wichtig.

Als neutral gewertete Eigenschaften

  • Introvertierte sind ruhig. Was in turbulenten Zeiten Sicherheit gibt, löst in anderen Situationen weniger Begeisterung aus.
  • Introvertierte sind nachdenklich. Sie denken über neue Einflüsse von außen intensiv nach – bleiben aber hin und wieder in ihren Gedanken gefangen.
  • Introvertierte sind Tagträumer. Sie erleben die Welt nicht so intensiv wie Extrovertierte, sondern richten sich an die innere Welt der Gedanken.
  • Introvertierte haben wenige Freunde. Ihr soziales Umfeld ist wesentlich kleiner als das von Extrovertierten. Allerdings legen sie großen Wert auf enge Freundschaften. Qualität geht vor Quantität.
  • Introvertierte sind ernsthaft. Sie nehmen das Leben oft nicht so leicht wie Extrovertierte, sondern versuchen, den Sinn zu ergründen und zu interpretieren. Sie sehen bei jeder Situation die Probleme schon frühzeitig.
  • Introvertierte sind sensibel. Schon laut Definition sind sie sensibler für Stimulation und können eher überwältigt werden als Extrovertierte.
  • Introvertierte sind gern allein. Sie sind auch gern unter (wenigen) Menschen. Aber sie brauchen beides und genießen ihre Zeit für sich.
  • Introvertierte sind gern in der Natur. Die natürliche Umgebung wirkt beruhigend und weniger stimulierend als der moderne Alltag.
  • Introvertierte gehen nicht gern Shoppen. Einkaufen ist anstrengend durch viel Stimulation und viele Menschen.
  • Introvertierte entscheiden sich eher dazu, Single zu sein. Sie fühlen sich ohne Partner weniger einsam als Extrovertierte und verzichten aus verschiedenen Gründen bewusst auf eine Partnerschaft. Das heißt jedoch nicht, dass sie ihnen nicht gut tun würde.
  • Introvertierte reden wenig. Oft reden sie wesentlich weniger als ihre Gesprächspartner und konzentrieren sich auf das Zuhören und kurze – aber durchdachte – Antworten. Nur bei Themen, in denen sie sich sehr gut auskennen, reden auch Introvertierte viel.
  • Introvertierte arbeiten gern ohne Unterbrechung. Da sie mit ihren Gedanken arbeiten, werden sie ungern unterbrochen. Im modernen Büroalltag ist das jedoch keine Selbstverständlichkeit und kann negativ wahrgenommen werden.
  • Introvertierte stehen nicht gern im Mittelpunkt. Das heißt, dass sie stets versuchen, der Aufmerksamkeit durch andere auszuweichen. Eine öffentliche Anerkennung vor vielen Menschen mag also nicht in ihrem Sinne sein.
  • Introvertierte bzw. hoch sensible Menschen reagieren oft stärker auf Koffeein.
  • Introvertierte sind sehr empfänglich für Kunst und Musik. Sie können z.B. längere Zeit in Museen verbringen.
  • Introvertierte wirken mysteriös. Da sie sich ihrem Umfeld nur wenig mitteilen, wirken viele Introvertierte auf andere Menschen geheimnisvoll. Dabei haben Introvertierte nicht mehr zu verstecken als Extrovertierte.
  • Introvertierte ziehen sich gern zurück. Wenn sie zu viel Stimulation erfahren, ziehen sich Introvertierte gern in einen abgeschirmten Bereich zurück, um ihre Akkus wieder aufzuladen.
  • Introvertierte neigen zu Schuldgefühlen. Wenn sie das Gefühl haben, einem anderen Menschen Umstände zu bereiten oder ihn falsch behandelt zu haben, leiden sie schnell unter einem schlechten Gewissen.
  • Introvertierte können sehr direkt sein. Sie reden zwar nicht viel, können sich aber sehr direkt ausdrücken. Unter Umständen mag es so wirken, als fehle ihnen das nötige Taktgefühl.
  • Introvertierte sind weniger euphorisch. Ihr Belohnungssystem ist nicht so aktiv wie das von Extrovertierten, daher verspüren sie weniger Euphorie.

Als eher negativ empfundene Eigenschaften 

  • Introvertierte sind gehemmt. In vielen Situationen fühlen sie sich nicht frei und locker, z.B. in Gruppen oder wenn sie sich öffnen sollen.
  • Introvertierte fühlen sich unwohl in großen Gruppen. “Je mehr Leute desto besser” könnte aus Sicht eines Introvertierten nicht falscher sein. Sie fühlen sich am wohlsten in kleinen Runden.
  • Introvertierte können schnell überstimuliert werden. In einer rasanten Welt sind Introvertierte erschöpft und überfordert, wenn sie gegen ihre Natur leben.
  • Introvertierte brauchen mehr Pausen, um das hohe Stimulationslevel in der extrovertierten Welt zu vertragen.
  • Introvertierte reden langsamer, denn sie denken bevor sie sprechen.
  • Introvertierte reden nicht gern vor anderen Menschen. Insbesondere spontane Reden sind für sie eine Horrorvorstellung (für viele andere Menschen aber auch).
  • Introvertierte reden eher leise.
  • Introvertierte drücken sich lieber schriftlich aus. Sie mögen keine Telefone, dafür E-Mail umso mehr.
  • Introvertierte sind bei einem hitzigen Streit den meisten Extrovertierten unterlegen, da zu schnell geredet wird.
  • Introvertierte tun sich schwer damit, Menschen mit Stories zu unterhalten.
  • Introvertierte mögen keinen Small Talk. Sie können es von Natur aus auch nicht besonders gut.
  • Introvertierte zögern oft bevor sie sprechen.
  • Introvertierte neigen dazu, über einige Dinge zu viel nachzudenken.
  • Introvertierte fühlen sich unwohl auf Parties.
  • Introvertierte feiern selbst in kleinem Rahmen (wenn überhaupt). Sie verbringen lieber Zeit mit 2-3 engen Freunden.
  • Introvertierte meiden Augenkontakt – vor allem beim Sprechen.
  • Introvertierte sind etwas langsamer bei der Erfüllung von einfachen Aufgaben oder bei der Entscheidungsfindung. Informationen werden ausführlicher verarbeitet und das dauert.
  • Introvertierte sind nicht besonders spontan. Sie beobachten lieber erst andere, bevor sie selbst aktiv werden.
  • Introvertierte sind schmerzempfindlicher (sensibler).
  • Introvertierte können sich nur schwer öffnen und erzählen nur wenig über sich selbst.
  • Introvertierte sind für andere Menschen sehr schwer zu lesen.
  • Introvertierte fühlen sich unwohl, wenn sie auf neue Leute treffen oder gar auf sie zugehen.
  • Introvertierte fühlen sich oft unterlegen, wenn sie auf Menschen mit mehr Erfahrung treffen.
  • Introvertierte werden unruhig, wenn sie zu viele Dinge auf einmal erledigen sollen.
  • Introvertierte werden nervös unter Beobachtung. Sie können ihre Leistung nicht abrufen, wenn sie sich beobachtet fühlen.
  • Introvertierte mögen keine gewalttätigen Filme.
  • Introvertierte verlieben sich schneller und heftiger.
  • Introvertierte haben ein geringeres Selbstbewusstsein. Das ist jedoch nur eine indirekte Eigenschaft, die durch die negative Einstellung der Gesellschaft zur Introversion hervorgerufen wird.
  • Introvertierte lächeln weniger. Sie sind nach innen gerichtet und laden die Außenwelt daher mit ihrem Gesichtsausdruck nicht zu Reaktionen ein. Das geschieht unbewusst und heißt nicht, dass sie weniger glücklich sind.
  • Introvertierte gehen nicht aus sich heraus, weil sie in einigen Situationen gehemmt sind und grundsätzlich weniger Euphorie verspüren.

Wertende Klischees in der Wahrnehmung

  • Introvertierte wirken unsozial, weil sie gern Zeit allein verbringen, anstatt unter Leute zu gehen.
  • Introvertierte wirken schüchtern, weil sie Augenkontakt meiden und ungern auf andere Menschen zugehen.
  • Introvertierte wirken passiv, weil sie etwas langsamer sind und vor allem wenig und erst spät reden.
  • Introvertierte wirken faul, weil sie langsamer sind, mehr Pausen benötigen und wenige Aufgaben gleichzeitig übernehmen können.
  • Introvertierte wirken langweilig, weil sie wenig reden und nicht so stark erlebnisorientiert sind.
  • Introvertierte wirken seltsam, weil man wenig über sie weiß.
  • Introvertierte wirken unglücklicher, weil sie weniger lächeln und weniger euphorisch sind.
  • Introvertierte wirken distanziert, weil sie wenig von sich preisgeben und gern Zeit allein verbringen.
  • Introvertierte wirken humorlos. Sie sind ernsthafter, gehen wenig aus sich heraus und bevorzugen etwas subtileren Humor. Das kann sie in einer Runde mit Extrovertierten humorlos erscheinen lassen.

  –  Fazit  –  

Egal, wie die Eigenschaften von Introvertierten im Einzelnen wahrgenommen werden. Sie ergänzen die Mängel der Extravertierten. Nüchtern betrachten wären Extravertierte ohne ihren Gegenpart nichts, denn es ist zu viel heiße Luft dabei und andersherum würde sehr viel Know how und Wissen verloren gehen, weil es Introvertierte nicht für erwähnenswert halten. Daher wäre es wünschenswert, wenn sich beide Pole mit mehr Respekt, Aufmerksamkeit und einer gewissen Dankbarkeit begegnen würden.