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Robert Musil | Illustration

Zur Physiologie des dichterischen Schaffens

Zur Physiologie des dichterischen Schaffens
Ein Fragebogen [der Literarischen Welt]

[1928]

Erste Inspiration: Können Sie uns merkwürdige Beispiele nennen, wie Ihnen der erste Einfall zu einem Werke kam?
Das ist ganz verschieden. Gemeinsam ist den Einfällen oder auch Plänen das scheinbar unvermittelte Kommen. Ich halte sie in Reserve. Der Plan zu ausgeführten Werken ist gewöhnlich erst durch Verschmelzung mehrerer schon vorhanden gewesener Pläne entstanden. Dieser Prozess dauert lange an, und oft verschwindet der sogenannte erste Einfall dabei völlig. Das Determinierende während dieser Vorgänge sind sehr allgemeine Absichten; die konkrete Ausstattung der Szenen und Charaktere hängt von ihnen ab.

Wie fixieren Sie den ersten Einfall? Haben Sie ein Notizbuch bei sich und denken Sie intensiv an Ihren Plan oder suchen Sie sich eher abzulenken?
Ich habe in meinem Arbeitszimmer Notizhefte, bin aber unregelmäßig im Eintragen. Ich beschäftige mich dauernd mit meinem Plan. Muß mich ablenken. Sport, Spaziergänge.

Arbeitszeit: Arbeiten Sie zu bestimmten Stunden oder Tageszeiten? Zwingen Sie sich zur Arbeit, auch wenn Sie keine Lust haben? Brechen Sie ab, auch wenn Sie Lust haben, weiterzuarbeiten?
9-12,30; 16-19 Uhr; manchmal auch noch abends. Zwinge mich unter Umständen. Breche nicht ab, außer bei äußerem Zwang. Halte es aber für richtiger, die Arbeit mehr zusammenzudrängen und durch stark ausgefüllte Pausen zu unterbrechen; wünsche, mich in diesem Sinn umzustellen.

Arbeitsmaterial: Haben Sie bestimmte Gewohnheiten, was die Art und Anordnung des Schreibmaterials und der Schreibutensilien betrifft? Können Sie überall arbeiten? Wo am besten?
Ich behalte eine einmal getroffene Anordnung des Schreibtisches bei. Kann nur in ruhigen Zimmern arbeiten. Am besten in der eigenen Wohnung.

Arbeitshygiene: Enthalten Sie sich während intensiver Arbeit von bestimmten Genüssen und verschaffen Sie sich bestimmte Genüsse (Stimulantien)?
Ich trinke reichlich starken Kaffee und rauche sehr viel. Enthalte mich bei der Arbeit ganz des Alkohols.

Machen Sie Brouillons (Entwürfe)? Wie ist die Technik dieser Brouillons?
Nein.

Das Manuskript: Schreiben Sie schnell herunter oder langsam und mühevoll? Korrigieren Sie während der Arbeit? Korrigieren Sie nach Fertigstellung? Oder gar nicht?
Ich schreibe mittelschnell. Korrigiere einmal eingreifend, ein- bis zweimal polierend. Vorher arbeite ich aber große Partien oder das ganze Buch bis über zwanzigmal um.

Korrekturfahnen: Ändern Sie noch viel und Wesentliches in den Korrekturfahnen?
Nein.

Lesen Sie das fertiggestellte Buch noch einmal? Ärgern Sie sich sehr über (scheinbare oder wirkliche) Unvollkommenheiten? Haben Sie oft Lust, es noch einmal zu schreiben?
Nein. Ja. Nein.

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Die literarische Welt. Unabhängiges Organ für das deutsche Schrifttum Die deutsche Zeitschrift war ein einflussreiches Periodikum in der Zeit der Weimarer Republik, das als Wochenschrift von Ernst Rowohlt und Willy Haas 1925 in Berlin gegründet wurde. Sie erschien von Jahrgang 1925 bis 1933 unter der Herausgeberschaft von Willy Haas in der Literarische Welt Verlagsgesellschaft, Berlin-Lichterfelde. Die Redaktion saß in der Passauer Straße, direkt gegenüber dem damaligen Sitz des Ernst Rowohlt Verlages. Nach Haas‘ Emigration wurde sie zunächst noch als „Neue Folge“ gleichen Titels (1933–1934) fortgesetzt, herausgegeben von Karl Rauch, ehe sie in der gleichgeschalteten Zeitschrift „Das deutsche Wort“ (ab 1934) aufging, welche im Verlag Bott, Berlin, erschien.
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sowie
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