Das Literaturmagazin Temperamente war eine wichtige Plattform für junge Schriftsteller und Nachwuchsautoren in der Deutschen Demokratischen Republik. Gegründet 1970 als Beilage der Zeitschrift Forum, entwickelte es sich schnell zu einer eigenständigen Publikation, die maßgeblich zur Präsentation neuer Stimmen und literarischer Experimente beitrug. Während es einerseits den kulturpolitischen Vorgaben der DDR unterlag, bot es andererseits immer wieder Raum für innovative und auch kritische Ansätze.
Temperamente wurde vom Zentralrat der FDJ (Freie Deutsche Jugend) herausgegeben und verstand sich als „Forum der jungen Literatur“. Die anfängliche Zielsetzung war klar: Talente entdecken, fördern und eine junge Leserschaft ansprechen. Es sollte ein Sprachrohr für die Anliegen und Ausdrucksformen der jungen Generation sein, die sich in den etablierten Literaturzeitschriften wie Sinn und Form oder Neue Deutsche Literatur oft nicht ausreichend repräsentiert fühlte.
Das Magazin veröffentlichte eine breite Palette literarischer Gattungen: Lyrik, Prosa (Kurzgeschichten, Auszüge aus Romanen), Essays, Reportagen und gelegentlich auch dramatische Texte.
Charakteristisch war die Mischung aus bereits etablierten jungen Autoren und gänzlich unbekannten Talenten, die hier ihre Erstveröffentlichung hatten.
Lyrik: Temperamente war ein wichtiges Sprungbrett für viele Lyriker. Hier erschienen oft frühe Gedichte von Autoren, die später zu bekannten Stimmen der DDR-Literatur wurden. Ein prominentes Beispiel ist Volker Braun, der bereits in den frühen Ausgaben von Temperamente vertreten war und dessen kritisch-reflexive Lyrik exemplarisch für die Ambivalenzen der DDR-Gesellschaft stand. Auch Gedichte von Sarah Kirsch oder Günther Kunert fanden hier eine frühe Plattform, oft mit einem experimentelleren Ton als in anderen Publikationen. Die Lyrik in Temperamente zeigte oft eine Suche nach neuen Ausdrucksformen, sei es im Umgang mit Alltagssprache oder in der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Realitäten.
Prosa: Die Kurzgeschichte war ein dominierendes Genre. Viele Autoren nutzten Temperamente, um erste Prosaarbeiten zu veröffentlichen, die sich oft mit den Lebenswelten junger Menschen in der DDR auseinandersetzten: Arbeitsalltag, zwischenmenschliche Beziehungen, die Suche nach Identität. Autoren wie Christa Wolf (obwohl sie zu diesem Zeitpunkt bereits etabliert war, nutzte sie das Magazin, um neue Texte einem jungen Publikum zu präsentieren) oder Ulrich Plenzdorf (mit Vorabdrucken aus seinem späteren Kultroman „Die neuen Leiden des jungen W.“) fanden hier ein breites Echo. Auch weniger bekannte, aber heute als relevant angesehene Autoren wie Gabriele Stötzer oder Reiner Kunze (obwohl letzterer später zunehmend kritischer gesehen und seine Texte seltener publiziert wurden) publizierten hier. Die Texte spiegelten oft einen Versuch wider, die Spannungen zwischen individuellen Wünschen und gesellschaftlichen Erwartungen auszuloten.
Essays und Reportagen: Neben Belletristik bot Temperamente auch Raum für literarische Essays und Reportagen, die sich mit kulturellen, gesellschaftlichen oder auch spezifisch jugendlichen Themen beschäftigten. Diese Texte boten oft die Möglichkeit, subtile Kritik oder Reflexionen über den DDR-Alltag zu formulieren.
Die Bedeutung von Temperamente lässt sich an mehreren Punkten festmachen:
Entdeckung und Förderung von Talenten: Das Magazin war ein unverzichtbares Organ für junge, noch unetablierte Autoren. Viele spätere namhafte Schriftsteller der DDR machten hier ihre ersten Schritte in die literarische Öffentlichkeit.
Barometer für literarische Strömungen: Temperamente spiegelte die Entwicklung der jungen DDR-Literatur wider. Hier ließen sich Trends erkennen, sei es der verstärkte Einsatz von Alltagssprache, die Hinwendung zu persönlichen Themen oder auch die zarte Etablierung kritischer Untertöne.
Plattform für Experimente: Im Rahmen des Möglichen bot Temperamente oft mehr Raum für literarische Experimente als andere, konservativere Publikationen. Dies zeigte sich in der Form, aber auch in der Themenwahl.
Kulturpolitischer Spagat: Das Magazin war stets im Spannungsfeld zwischen der FDJ als Herausgeber und dem Anspruch an künstlerische Freiheit. Während es einerseits dazu diente, die Jugend im Sinne des Sozialismus zu erziehen, gelang es der Redaktion und den Autoren immer wieder, auch Texte zu veröffentlichen, die über die engen kulturpolitischen Vorgaben hinausgingen und zum Nachdenken anregten. Dies führte gelegentlich auch zu Konflikten und Zensurmaßnahmen, was die ambivalente Rolle des Magazins unterstreicht.
Auflagenstärke und Reichweite: Obwohl die genauen Auflagenzahlen variierten, erreichte Temperamente als Beilage von Forum und später als eigenständige Zeitschrift eine beachtliche Leserschaft, insbesondere unter jungen Menschen, Studenten und Kulturschaffenden.
Temperamente war mehr als nur ein Literaturmagazin; es war ein vitaler Ort der Begegnung für junge Stimmen, ein Seismograph für die Befindlichkeiten einer Generation und ein Schmelztiegel für literarische Entwicklungen in der DDR. Trotz der politischen Rahmenbedingungen gelang es der Zeitschrift, eine erstaunliche Vielfalt an Stimmen und Perspektiven zu präsentieren und somit einen unverzichtbaren Beitrag zur Literaturlandschaft der DDR zu leisten. Auch wenn es im Rückblick oft unter dem Schatten der bekannteren Literaturzeitschriften stand, bleibt es ein wichtiges Dokument der jungen DDR-Literatur und ihrer Entwicklungen.
Foto: Oliver Simon
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