…und warum es lohnt, unabhängigen Buchläden die Treue zu halten.
In einem kleinen Ort im Südwesten Schottlands, direkt an der Küste von Galloway, liegt Wigtown – offiziell anerkannt als „Scotland’s National Book Town“. Hier lebt und arbeitet Shaun Bythell, Antiquar, Buchhändler – und Autor. Sein Buch The Diary of a Bookseller (Tagebuch eines Buchhändlers) wurde ein internationaler Überraschungserfolg. Es beschreibt ein Jahr in seinem Leben, zwischen Kundengesprächen, Bücherstapeln und dem ganz normalen Wahnsinn eines unabhängigen Buchladens.
Bythell erzählt:
„Das Buch ist im Grunde genau das, was der Titel sagt: ein Tagebuch. Es dokumentiert den Alltag im Jahr 2014 – und ja, vieles wiederholt sich, wie es eben in jedem Job der Fall ist. Manche Leserinnen und Leser haben das als langweilig empfunden, aber ich glaube, gerade in dieser Wiederholung steckt etwas sehr Echtes. Ich habe nie versucht, witzig zu schreiben – aber es sind oft gerade die kleinen, absurden Szenen, an die man sich erinnert. Und die landen dann im Buch.“
Mit einem feinen Gespür für Zwischentöne und einem oft trockenen Humor schildert The Diary of a Bookseller das Innenleben eines der größten Secondhand-Buchläden Schottlands. Es ist eine Liebeserklärung an Bücher – und eine leise, aber klare Kritik an der Entwicklung des Buchmarkts.
„Ich habe versucht, meinen Verlag davon zu überzeugen, das Buch nicht sofort über Amazon zu vertreiben – zumindest nicht in den ersten sechs Monaten. Ich wollte dem stationären Buchhandel einen Vorsprung geben. Aber der Verlag hat abgelehnt, aus Angst vor Vertragsverstößen mit Amazon. Diese Abhängigkeit ist ein echtes Problem. Amazon ist kompromisslos – ein Verstoß, und sämtliche Bücher könnten aus dem Sortiment verschwinden.“
Bythell weiß, wovon er spricht. Er hat früher selbst über Amazon verkauft, bis er eines Tages gesperrt wurde – wegen der sich ständig verändernden Regeln und Gebühren.
„Ich habe einmal ein Buch für zwei Pfund verkauft und am Ende daran Verlust gemacht. Amazon hat mehr Gebühren einbehalten, als ich verdient habe. Für Verkäufer ist das ein hartes Pflaster.“
Und dennoch lebt sein Buchladen – The Bookshop – weiter. Auch Wigtown lebt. Die Idee, den Ort zur Buchstadt zu erklären, wurde vor über 20 Jahren umgesetzt. Heute hat sich daraus ein kleines, aber stabiles Netzwerk entwickelt. Veranstaltungen, Festivals, kleine Läden: alles dreht sich um Bücher.
„Damals konnte ich mir kaum vorstellen, wie das in einer so kleinen, abgelegenen Gemeinde funktionieren soll. Aber es funktioniert – wegen vieler engagierter Menschen, die daran geglaubt und mit angepackt haben. Und es ist ein Privileg, jeden Tag mit Büchern zu arbeiten.“
Aber nicht nur Bücher prägen den Ort. Auch die Landschaft spielt eine Rolle.
„In 15 Minuten bin ich am Fluss, in den Hügeln oder am Meer. Es gibt Sandstrände, Wälder, Berge. Und das Beste: Es bleibt ruhig. Selbst in der Hochsaison wirkt es nie überlaufen. Die Menschen schätzen diese Entschleunigung.“
Trotzdem stellt sich die Frage: Wie sieht die Zukunft für Orte wie Wigtown aus – in einer Welt, die zunehmend urbaner und digitaler wird?
„Ich glaube, es gibt eine Chance. Wir haben hier in der Region einen Besucherzuwachs von über 40 Prozent erlebt – nicht nur bei uns im Laden, sondern auch bei historischen Stätten. Die Leute entdecken solche Orte wieder. Aber es ist ein Balanceakt: Das, was Wigtown ausmacht – die Ruhe, die Freundlichkeit, der Raum – darf dabei nicht verloren gehen.“
Von Schottland nach Deutschland – und weiter
Dieses Gespräch mit Shaun Bythell ist mehr als eine Buchvorstellung. Es ist der Ausgangspunkt für eine Reise: eine Reise zu unabhängigen Buchläden, Antiquariaten und den Menschen, die sie am Leben halten. Was in Wigtown funktioniert, funktioniert doch auch hier – da wo ich lebe – oder?!. Ich lebe auf dem Land, wie man so schön sagt, daher interessiere mich zunächst für die Geschäfte in kleinen und mittelgroßen Städten. – Ausgangspunkt ist in diesem Fall Landkreis Lüneburg, Boizenburg, Wendland, Heidekreis und umzu.
Deshalb möchte ich mich auf den Weg machen, durch mein eigenes Umfeld streifen und die Geschichten der Buchhändlerinnen und Buchhändler sammeln. Sie fragen, was sie bewegt, was sie brauchen, woran sie glauben. Vielleicht entsteht daraus ein kleines Archiv der Stimmen des Buchhandels – lokal, lebendig, lesenswert.
The Diary of a Bookseller hat mich daran erinnert, wieder genauer hinzusehen. Und vielleicht noch mehr: hinzugehen.
Buchinformation
📘 The Diary of a Bookseller von Shaun Bythell
Englischsprachige Originalausgabe
Erschienen bei Profile Books (2017)
ISBN: 978-1781258620
Titelfoto: Colin Kinnear / The Book Shop / CC BY-SA 2.0
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