Die Lyrikreihe Poesiealbum, herausgegeben vom ostdeutschen Verlag Neues Leben Berlin, ist ein bemerkenswertes literarisches Projekt der DDR. Ab 1967 prägte sie die Poesielandschaft durch ihre geschickte Verbindung von Zugänglichkeit, ansprechender Gestaltung und der Vermittlung von Lyrik in einem breiten Kontext.
Konzept und Gestaltung
Das „Poesiealbum“ zeichnete sich durch sein schlichtes, aber einprägsames Design aus: Jedes Heft im handlichen A6-Format widmete sich einem einzelnen Dichter oder einer einzelnen Dichterin. Auf dem Titel fand sich in der Regel ein Porträtfoto oder eine künstlerische Zeichnung der behandelten Person, begleitet von einer sorgfältig getroffenen Auswahl ihrer Gedichte. Die Hefte waren preisgünstig und somit für ein breites Publikum erschwinglich – ein bewusster Schritt, um Lyrik einem größeren Leserkreis zugänglich zu machen.
Inhalt und Vielfalt
Die Reihe präsentierte eine Vielfalt an Stimmen aus Ost- und Westdeutschland, Europa und der Welt. Neben DDR-Autoren wie Bertolt Brecht, Sarah Kirsch oder Volker Braun fanden auch international bekannte Namen wie Pablo Neruda, Anna Achmatowa oder Nâzım Hikmet ihren Platz. Jedes Heft enthielt ein Nachwort, das die Werke in einen biografischen und literarischen Kontext einordnete – dies geschah teils im Rahmen der sozialistischen Kulturpolitik, aber auch mit dem Anliegen, poetische Experimente vorzustellen. Diese Mischung aus bekannten und neu zu entdeckenden Dichtern machte die Sammlung zu einem Fenster in die vielfältige Welt der Lyrik.
Im Bestand
Øyvind Berg | 258
Udo Degener | 244
Christoph Kuhn | 348
Kulturelle Rolle in der DDR
In einer Zeit, die von Zensur und ideologischer Kontrolle geprägt war, bot das „Poesiealbum“ einen Raum für literarische Auseinandersetzung. Es diente als Plattform für subtile Kritik und ermöglichte den Kontakt mit Literaturen jenseits des sozialistischen Spektrums. Gleichzeitig stand die Reihe unter der Aufsicht des FDJ-nahen Verlags, was die Gratwanderung zwischen staatlicher Akzeptanz und künstlerischer Freiheit verdeutlicht. Für viele Leserinnen und Leser wurden die Hefte zu einem Symbol der intellektuellen Auseinandersetzung und zu einem geschätzten Bestandteil ihrer persönlichen Bibliothek.
Fortwirken und Neubeginn
Nach der Wiedervereinigung wurde die Reihe zunächst eingestellt, erlebte jedoch 2007 eine Wiederbelebung: Der Verlag Neues Leben, nun in privater Trägerschaft, führte das „Poesiealbum“ mit einem modernisierten Layout fort, wobei der Geist der Originalausgaben bewahrt wurde. Bis heute erscheinen neue Bände, die neben der Tradition auch zeitgenössische Lyrik berücksichtigen.
Vermächtnis
Das „Poesiealbum“ ist ein kulturhistorisches Zeugnis – ein Spiegel der DDR-Literaturgeschichte, aber auch ein Dokument der internationalen Vernetzung von Lyrik. Die Sammlung mit ihren über 300 Heften ist ein Schatz für Sammler und Lyrikinteressierte, der die Wechselwirkung zwischen Politik und Ästhetik aufzeigt. Mit seinem Fokus auf die kleine Form bewies die Reihe, dass Poesie auch im Taschenformat eine große Wirkung entfalten kann.
Randbemerkung: Auch wenn es faktisch – mit einer Auflage von bis zu 40.000 Exemplaren pro Ausgabe – nicht richtig ist, ordne ich diese Reihe für mich bei den fanzines ein. Der Form wegen.
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