Ein erster – zugegeben oberflächlicher – Überblick.
Drekkingarhylur, Island
Zwischen 1618-1749 wurden mindestens 18 Frauen im Drekkingarhylur (Ertränkungsbecken) in Þingvellir hingerichtet. Während Frauen das Ertrinken erwartete, wurden Männer für ähnliche Verbrechen enthauptet – ein deutlicher Hinweis auf geschlechtsspezifische Bestrafung. Frauen wurden wegen Ehebruch oder unehelicher Kinder angeklagt, in Säcke gesteckt und mit Stöcken unter Wasser gedrückt.
Mangelnde Erinnerungskultur: Am Drekkingarhylur gibt es heute noch nicht einmal eine Gedenktafel für die Opfer.
Agnes Bernauer, Bayern
Am 12. Oktober 1435 wurde Agnes Bernauer auf Befehl von Herzog Ernst von Bayern von der Straubinger Brücke in die Donau gestürzt. Sie war die Geliebte und möglicherweise heimliche Ehefrau von Albrecht III. und wurde der Hexerei beschuldigt, um die politisch unbequeme Verbindung zu beenden.
Historischer Widerstand
Frühe Kritiker der Hexenverfolgung (Zwei Beispiele.)
Friedrich Spee von Langenfeld (1591-1635)
- Jesuit aus Westfalen, Verfasser der „Cautio Criminalis“ (1631)
- Als Beichtvater von verurteilten „Hexen“ erlebte er deren Unschuld direkt
- Seine Schrift war eine der ersten systematischen Kritiken an Folter und Hexenprozessen
Anton Praetorius (1560-1613)
- Reformierter Pfarrer, kritisierte in „Von Zauberey und Zauberern“ (1602) die Folter
- Setzte sich öffentlich gegen die Hexenverfolgung ein
Aktuelle Widerstandsbewegungen
Ni Una Menos – Internationale Dimension
Die Bewegung entstand im Juni 2015 in Argentinien und verbreitete sich über soziale Netzwerke in ganz Lateinamerika und Teilen Europas. Seit dem ersten Protest 2015 haben sich über 200 feministische Organisationen zusammengeschlossen und große Erfolge erzielt.
Entstehung: Der auslösende Tweet stammt von Marcela Ojeda am 11. Mai 2015 nach dem Femizid an Chiara Páez.
Deutschland: Aktuelle feministische Bewegungen gegen Femizide
Dokumentierte Initiativen:
- Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff): Führt Statistiken zu Femiziden und koordiniert Präventionsarbeit
- Frauen gegen Gewalt e.V.: Netzwerk mit über 160 Mitgliedsorganisationen
- Jeden dritten Tag: Initiative, die jeden Femizid in Deutschland dokumentiert und auf Social Media sichtbar macht
Social Media Aktivismus:
- #KeineMehr: Deutsche Variante von #NiUnaMenos
- #JedenDrittenTag: Hashtag, der die Statistik „alle drei Tage wird eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet“ sichtbar macht
- Instagram-Accounts wie @frauen_gegen_gewalt, @terre_des_femmes_menschenrechte dokumentieren aktuelle Fälle und Proteste
Internationale Vernetzung
Lateinamerika umfasst 5 der 12 Länder mit den höchsten Femizid-Raten weltweit, weshalb die Bewegung dort besonders stark ist, aber internationale Solidarität aufbaut.
Widerstand gegen das Schweigen
Historisch: Das Brechen des Schweigens
- Chronisten wie Andreas von Regensburg dokumentierten kritisch die Hinrichtung der Agnes Bernauer
- Literatur als Widerstand: Friedrich Hebbels Drama „Agnes Bernauer“ (1852) hinterfragte die Gewalt kritisch
Aktuell: Digitaler Feminismus
Strategien gegen das „Mund halten“:
- Naming and Shaming: Öffentliche Benennung von Tätern und Strukturen
- Storytelling: Opfer bekommen Namen und Geschichten statt nur Statistiken zu bleiben
- Intersektionale Ansätze: Verbindung von Rassismus, Klassismus und Sexismus in der Gewaltanalyse
Besondere deutsche Kontexte
Seenotrettung als feministischer Akt
Die erwähnte Seebrücke-Bewegung hat auch explizit feministische Dimensionen:
- Frauen und Kinder sind überproportional von Flucht betroffen
- Schwangere Frauen ertrinken im Mittelmeer – direkter Bezug zum Gedicht
- Mission Lifeline (Dresden) und andere deutsche NGOs setzen sich gezielt für diese Gruppe ein
Gedenkkulturen
Positive Entwicklungen:
- Gedenkstätten für Hexenverfolgung entstehen (z.B. in Würzburg, Bamberg)
- Straßenumbenennungen nach weiblichen Opfern historischer Gewalt
- Stolpersteine auch für Frauen, die Opfer geschlechtsspezifischer Verfolgung wurden
Problematische Romantisierung:
- Agnes-Bernauer-Festspiele in Straubing: Verklärung als „Liebestragödie“ statt Kritik an Femizid
- Ähnlich der im Gedicht erwähnten „Buttercreme und Baiser“-Metapher
Ein vorläufiges Fazit
Das Gedicht verbindet drei Zeitebenen von Widerstand:
- Vereinzelte historische Stimmen gegen Hexenwahn und Gewalt an Frauen
- Ziviler Widerstand heute gegen das Ertrinkenlassen im Mittelmeer
- Feministische Bewegungen, die das Schweigen über Femizide brechen
Die Kunst liegt darin, diese Verbindungen sichtbar zu machen, ohne die Gewalt zu romantisieren – genau das, was auch die zeitgenössische feministische Bewegung versucht. – Wie kann es jetzt weitergehen?
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