Verlorene Stimmen - Erinnerungskultur als Literaturblogger

Fast verlorene Stimmen

Immer wieder beschäftigt mich: Wie kann ich als Blogger einen wirklich essenziellen Beitrag zur Erinnerungskultur leisten? Mein Weg führt mich dahin, das künstlerische Potential der Ermordeten sichtbar zu machen. Kurt Schumacher ist für mich dabei mehr als ein Beispiel – er ist ein Schlüssel.

Ich möchte verlorene Kunstwerke als kulturelle Leerstellen begreifbar machen. Nehmen wir Schumachers „Der Stürzende“ (1935). Diese Skulptur – für mich eine erschütternde Vorwegnahme des Verlusts von Humanismus – wurde von einem Künstler geschaffen, den das Regime 1942 in Plötzensee ermordete. Ich versuche, solche Werke nicht isoliert zu zeigen, sondern sie mit Zitaten aus Briefen oder Tagebüchern zu verknüpfen, die ihre Haltung bezeugen. Und ich wäge das „Was-wäre-wenn“: Anhand von Skizzen und Fragmenten denke ich über Schumachers mögliche Entwicklung nach 1945 nach. Vergleiche mit Barlach oder Kolbe machen diesen unwiederbringlichen Verlust für mich – und hoffentlich auch für euch Lesende – schmerzlich konkret.

Gleichzeitig sammle ich biografische Fragmente. Es treibt mich um, wer neben Schumacher in Plötzensee sein Leben und Werk verloren hat: Alfred Kowalke, dessen Drama „Die Heimkehr“ nie gespielt wurde. Elisabeth Schumacher, deren Grafiken oft nur noch als Erinnerung existieren. Ich suche nach Archivfotos, Briefen, Werkausschnitten – diesen winzigen Fenstern in zerstörte Lebenswerke. Für mich ist das ein notwendiger Kontrapunkt: Warum kennen wir Namen wie Breker, aber nicht Kowalke? Wer beherrscht eigentlich unser kulturelles Gedächtnis – die Vernichteten oder ihre Vernichter?

Mich interessiert auch, wie Literatur heute auf dieses Verstummen reagiert. Wie setzen sich Dichter:innen wie Marcel Beyer (in „Kaltenburg“) mit der Auslöschung auseinander? Wie werden Leerstellen selbst zum Stilmittel – in abgebrochenen Sätzen, leeren Seiten? Auf meinem Blog experimentiere ich deshalb mit eigenen Formaten: „Unvollendete“ Texte. Fiktive Tagebucheinträge oder Monologe, die Schumachers Gedanken vor der Hinrichtung imaginiere – immer basierend auf Quellen, aber im Bewusstsein der Lücke, die bleibt.

Und ich frage mich: Wie kann ich aktuelle künstlerische Dialoge anstoßen? Vielleicht durch Kooperationen? Könnten zeitgenössische Künstler:innen auf „Der Stürzende“ reagieren – etwa mit einer Intervention im heutigen Berlin? Oder wie wäre es mit digitalen „Wiederentdeckungen“: Virtuelle Ausstellungen mit rekonstruierten Werken, animierten Grafiken, kombiniert mit den Stimmen ihrer Gedichte? Das ist eine Idee, die mich reizt.

Am wichtigsten ist mir vielleicht das Prinzip der „Unabgeschlossenheit“. Mein Blog soll ein offenes Archiv sein. Ich möchte euch, liebe Lesende, ausdrücklich einladen: Sucht selbst nach Spuren dieser Opfer, vielleicht in euren Regionalarchiven! Ich würde solche Recherchen gern als „Work-in-Progress“ hier dokumentieren. Und ich probiere aus, Leerstellen direkt erfahrbar zu machen: durch leere Rahmen in Beiträgen über zerstörte Bilder oder stumme Audiospuren – zehn Sekunden Stille für das, was fehlt.

Es geht mir darum, diese verlorene Kunst sichtbar zu halten. Den Menschen im Ganzen sichtbar zu machen, schaffe ich hier nicht. Ihre Stimmen dürfen allerdings nicht endgültig verstummen. Vielleicht ist das mein Beitrag: Erinnerung nicht nur zu bewahren, sondern aktiv und greifbar zu gestalten. Und wer weiß – vielleicht teilt ja der ein oder andere von euch diese Neugier und findet ähnliche Wege auf seinem eigenen Blog?


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