Linda Gundermann: „Bindungsstil“ – Wenn Psychologie auf Herzschmerz trifft

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3–4 Minuten

Manchmal landet man durch Zufall bei einem Lied, das einen nicht mehr loslässt. Bei mir war es eine Recherche zu Grit Lemkes Kinder von Hoy, die mich über den Singeklub Hoyerswerda zu Gundi und schließlich zu ihrer Tochter Linda Gundermann führte. Ihr Lied „Bindungsstil“ ist mir dabei begegnet – und ich höre es seitdem immer wieder.

„Baby du passt nicht zu mein’m Bindungsstil“

Dieser Satz fasst zusammen, was an dem Lied so besonders ist: Hier spricht eine Frau über das Scheitern ihrer Beziehung nicht nur mit Gefühl, sondern mit dem Vokabular der Psychologie. „Bindungsstil“ – ein Begriff aus der Therapie, aus Ratgebern, aus Instagram-Grafiken über toxische Beziehungen. Und genau diese Vermischung macht etwas sichtbar: Wie wir heute über Liebe sprechen, hat sich verändert. Wir analysieren, wir benennen Muster, wir versuchen zu verstehen, was schiefgelaufen ist.

Aber hilft uns das wirklich? Oder steht uns diese ganze psychologische Sprache manchmal im Weg, wenn wir eigentlich einfach nur traurig sind?

Kreisende Gedanken und volle Windeln

Linda Gundermann beginnt mit einer Szene, die jede:r kennt, der schon mal eine Trennung durchgemacht hat: „Ich tanze in Kreisen im Gedankenfieber“. Diese nächtlichen Gedankenschleifen, in denen man immer wieder dasselbe durchkaut, ohne weiterzukommen. Und dann dieser Bruch: Vom psychologischen Fachbegriff („Bindungsstil“) zu „du scheißt dir die Hosen voll“.

Das ist keine schöne Metapher, das ist brutal direkt. Und genau so fühlt sich eine gescheiterte Beziehung oft an: Auf der einen Seite die Erkenntnis, dass man vielleicht einfach nicht zusammengepasst hat. Auf der anderen Seite die Wut darüber, dass der andere bei jeder echten Nähe die Flucht ergriffen hat.

Was mich besonders berührt, ist die zweite Strophe. Da wird es konkret: Siebzehn Liebesbriefe in alten Fotokisten. Ein gemeinsames Kind, das „FlowerPowerHippieLiebesKind“. Plötzlich geht es nicht mehr nur um die eigene Trauer, sondern um ein Kind, das beide Eltern im Gesicht trägt. „Die Familie, die wir nicht mehr sind“ – in diesem einen Satz steckt die ganze Schwere.

Die Last der richtigen Worte

Was passiert, wenn eine Mutter vor diesen Fotokisten sitzt, während das Kind im Nebenzimmer schläft? Sie versucht zu verstehen. Sie sucht nach Gründen. Und die Sprache, die ihr zur Verfügung steht, ist eben diese psychologische: Bindungsstil, Kompatibilität, Muster.

Der Refrain wiederholt diese Erkenntnis wie eine Beschwörung: „Baby du passt nicht zu mein’m Bindungsstil“. Als müsste sie es sich selbst immer wieder sagen, damit es wahr wird. Damit es weniger wehtut. Aber in dem fast entschuldigenden Satz „Ich dacht ja echt zur Liebe gehört Qual“ blitzt etwas anderes auf: Die Ahnung, dass sie vielleicht zu lange in einer Beziehung ausgeharrt hat, die ihr nicht gutgetan hat.

Der Wunsch nach dem Gegenteil

Im letzten Teil des Liedes entwirft sie ein Gegenbild: „Und wenn sie ja sagt, dann sagt sie sogar wann“. Diese Zukunftsvision einer Beziehung, in der jemand klar kommuniziert, verlässlich ist, sich nicht wegduckt. Die Wiederholung dieser Wünsche wirkt fast beschwörend – als könnte sie sich durch das Aussprechen eine andere, bessere Liebe herbeireden.

Zwischendurch bricht sie ab: „Gezeter bis: Wo war ich nochmal?“ Diese Momente zeigen die Zerrissenheit. Man verliert den Faden. Man springt zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Trauer und Hoffnung, zwischen dem Kind, das versorgt werden muss, und der eigenen Sehnsucht nach einer funktionierenden Partnerschaft.

Was bleibt

Linda Gundermanns „Bindungsstil“ ist ein Lied aus der Perspektive einer Frau, die beides sein muss: Mutter und Liebende. Die nach einer Trennung nicht einfach weiterleben kann, sondern Verantwortung trägt. Die verstehen will, was schiefgegangen ist – und dabei merkt, dass alle psychologischen Begriffe der Welt den Schmerz nicht kleiner machen.

Wir sprechen heute anders über Liebe als frühere Generationen. Wir haben mehr Worte, mehr Konzepte, mehr Erklärungen. Aber ob das die Trauer leichter macht? Das bleibt offen. Vielleicht hilft die Psychologie, Ordnung ins Chaos zu bringen. Vielleicht steht sie aber auch manchmal nur im Weg, wenn wir eigentlich einfach nur fühlen müssten.

Linda Gundermann ist die Tochter des Liedermachers Gerhard Gundermann (1955–1998), der als Baggerfahrer im Lausitzer Braunkohlerevier arbeitete und zu einer Symbolfigur des Ostens wurde. Grit Lemke beschreibt in ihrem dokumentarischen Roman „Kinder von Hoy“ (2021) die Kulturszene um den Singeklub Hoyerswerda, zu der auch Gerhard Gundermann gehörte.

Die Website der Band: http://langeleitung.com

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