Bindungsstil - Linda und die lange Leitung

Bindungsstil – Linda und die lange Leitung – 1

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In dem Lied „Bindungsstil“ von Linda Gundermann wird das Scheitern einer Liebesbeziehung thematisiert. Dabei bedient sich die Künstlerin einer Sprache, die zwischen poetischen Bildern und Begriffen der Psychologie oszilliert. Die Zeile „Baby du passt nicht zu mein’m Bindungsstil“ steht beispielhaft für diese Vermischung von Alltagssprache und Fachvokabular. Sie wirft die Frage auf, welche Auswirkungen es hat, wenn psychologische Konzepte wie die Bindungstheorie in den allgemeinen Sprachgebrauch übergehen und damit private Beziehungserfahrungen nicht mehr nur emotional, sondern auch analytisch verarbeitet werden.

Schon in der ersten Strophe zeigt sich diese Doppelung. „Ich tanze in Kreisen im Gedankenfieber“ – hier wird das Gefühl der Gefangenschaft in einer Gedankenspirale durch eine bildhafte Metapher ausgedrückt. Die Wiederholung der Kreisbewegung und der Fieberbegriff verweisen auf einen Zustand der Überforderung und Fixierung. Dass im Zentrum dieser Gedanken der ehemalige Partner steht, unterstreicht die obsessive Qualität dieser Reflexion. Es handelt sich um einen hochbewussten, selbstbeobachtenden Prozess, der charakteristisch für eine Generation ist, die mit therapeutischen Diskursen und psychologisierender Sprache aufwächst.

Diese Mischung aus unterschiedlichen Sprachregistern zieht sich durch den gesamten Text. Direkt nach dem Fachbegriff „Bindungsstil“ folgt die derbe Alltagssprache: „du scheißt dir die Hosen voll“. Auf die Puzzle-Metapher, die die vergebliche Suche nach Passform symbolisiert, folgt die drastische Gegenüberstellung von Verschmelzungswunsch und panischer Abwehr. Diese bewusst eingesetzten Sprachbrüche sind kein Stilmittel um der Wirkung willen, sondern sie bilden einen inneren Konflikt ab: den Zwiespalt zwischen dem Wunsch, Gefühle intensiv zu erleben, und dem gleichzeitigen Drang, sie sezierend zu verstehen.

In der zweiten Strophe wird das Analytische plötzlich sehr konkret und alltäglich. Die siebzehn Liebesbriefe in den Fotokisten und die Erwähnung des gemeinsamen Kindes als „FlowerPowerHippieLiebesKind“ verankern die abstrakte Bindungstheorie in einer realen Lebenssituation. Eine Mutter steht vor den materiellen Überresten der Beziehung und sieht im Gesicht des Kindes den Vater. Die Zeilen „Die Familie, die wir nicht mehr sind“ und „Die Zukunft, die aus unser’n Fingern rinnt“ fassen die Komplexität moderner Trennungen zusammen, die nicht nur den Verlust des Partners, sondern auch den Zusammenbruch einer gemeinsamen Zukunftsvorstellung und familiären Struktur bedeuten.

Der Refrain wirkt wie eine Art mantrahaft wiederholte Therapieeinsicht. Die Erkenntnis der Bindungsinkompatibilität wird ausgesprochen, um sie für sich selbst zu bekräftigen und emotional handhabbar zu machen. Die Protagonistin deutet ihr Scheitern mit den rationalen Kategorien der Psychologie, doch unter dieser Deutungsebene bleiben die rohen Gefühle spürbar, die in dem fast schon entschuldigenden Satz „Ich dacht ja echt zur Liebe gehört Qual“ mitschwingen.

Im letzten Teil des Liedes steigert sich diese Reflexion zu einer fast mantrahaften Wiederholung der Wünsche an eine zukünftige, funktionierende Beziehung. Die ständige Wiederholung der Konditionalform „Und wenn sie ja sagt, dann sagt sie sogar wann“ wirkt wie eine Selbstbeschwörung. Es ist, als versuche die Sprecherin, sich ihre eigene Vorstellung von einer intakten Beziehung durch stetes Wiederholen einzutrichtern. Die eingestreuten Unterbrechungen wie „Gezeter bis: Wo war ich nochmal?“ machen den Prozess des Nachdenkens selbst hörbar und zeigen die Mühe, inmitten emotionaler Verwirrung Klarheit zu finden.

Dieser Text lässt sich als literarisches Zeugnis einer bestimmten kulturellen Momentaufnahme lesen. Ein möglicher Ansatzpunkt wäre die Untersuchung, wie psychologisches Wissen das moderne Liebesverständnis und die Art, über Beziehungen zu sprechen, verändert hat. Wo früher Schicksal oder unglückliche Umstände als Erklärungen für gescheiterte Beziehungen herangezogen wurden, werden heute vermehrt Kompatibilität der Bindungsstile oder Traumata herangezogen.

Ein anderer Fokus läge auf der Sprache selbst. Der Text demonstriert, wie unterschiedliche Register – die poetische, die umgangssprachliche und die psychologische – aufeinandertreffen, um einer komplexen Gefühlslage Ausdruck zu verleihen. Es ist der Versuch, gleichzeitig zu fühlen und dieses Fühlen zu begreifen.

Schließlich wirft der Text ein Licht auf veränderte Familienbilder und die Situation von Eltern nach einer Trennung. Die Perspektive ist die einer Mutter, die zwischen der Trauer um das gescheiterte Projekt Familie, der Verantwortung für das Kind und der eigenen Sehnsucht nach einer erfüllenden Partnerschaft navigiert. Es geht um den Balanceakt zwischen Selbstfürsorge und Fürsorgepflicht.

Linda Gundermanns „Bindungsstil“ ist in diesem Sinne mehr als ein Songtext; er ist ein Beispiel dafür, wie zeitgenössische Erfahrungen mit den sprachlichen und konzeptuellen Mitteln der Gegenwart verarbeitet werden. Der Text zeigt, wie Individuen heute dazu neigen, ihre intimsten Erlebnisse durch die Brille psychologischer Modelle zu betrachten, um sie zu ordnen und zu verstehen.

Die Website der Band: http://langeleitung.com


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