Frühes Leben und künstlerische Prägung (1942–1969) | Manfred Butzmann wurde am 14. September 1942 im Potsdamer Stadtteil Bornim als Sohn eines Gärtners geboren. Sein Leben war früh von Verlust geprägt: Sein Vater fiel 1945 im Volkssturm, woraufhin Butzmann bei Verwandten auf einem Bauernhof in Eutzsch (Sachsen-Anhalt) aufwuchs. 1955 holte ihn seine Mutter zurück nach Potsdam, wo er 1961 das Abitur ablegte und bereits Zeichenunterricht erhielt – die frühe Weichenstellung für seine künstlerische Laufbahn .
Von 1961 bis 1964 absolvierte er eine handwerkliche Ausbildung zum Offsetretuscheur in Berlin und Potsdam, ein Handwerk, das seine spätere Präzision in der Grafik entscheidend beeinflusste. Parallel arbeitete er im Malzirkel des expressionistischen Künstlers Magnus Zeller in Caputh, wo erste Werke entstanden, die bereits 1969 im DDR-Standardwerk Graphikspiegel publiziert wurden . Sein Studium der Grafik an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee (1964–1969) bei den prägenden Lehrern Arno Mohr, Werner Klemke und Klaus Wittkugel formte seine ästhetische Haltung: eine Synthese aus technischer Meisterschaft und sozialem Engagement .
Künstlerische Entwicklung und politische Konfrontation (1970–1989) | Nach dem Studium arbeitete Butzmann ab 1970 freischaffend, zunächst als Buchillustrator für Verlage wie Volk und Welt und den Kinderbuchverlag Berlin. Seine Illustrationen zu Werken von Maxim Gorki, Nikos Kazantzakis und Iwan Turgenjew zeigen seine literarische Sensibilität . Als Meisterschüler an der Akademie der Künste (1973–1977) bei Werner Klemke vertiefte er seine grafische Technik, doch eine Zäsur erfolgte 1976: Während des obligatorischen Reservistendienstes in der NVA entstand die Radierfolge Eindrücke – eine schonungslose Studie zur „Tristesse des Kasernenlebens“ .
„Die Blätter dieser Folge […] enthalten im Keim, was sich danach entwickelt: das Sehen-Lehren durch Kunst.“
– Konrad Knebel in der Laudatio zum Käthe-Kollwitz-Preis
Ab 1977 erweiterte er sein Repertoire um Fotoplakate, Postkarten und vor allem Abreibungen (Frottagen). Letztere wurden zu seinem Markenzeichen: Mit Kreide oder Graphit rieb er Oberflächen historischer Berliner Haustüren, Grabsteine und Pflastersteine ab, um deren Verwitterungsspuren als „konservierte Vergänglichkeit“ festzuhalten. Diese Technik, inspiriert von Fritz Panndorf, nutzte er als archäologische Methode gegen das Verdrängen von Geschichte .

Seine politischen Arbeiten brachten ihn in Konflikt mit der DDR-Führung. Zyklen wie Steinernes Berlin (1987) oder Grenzmauer (1981) dokumentierten urbanen Verfall und politische Grenzen, was zu Ausstellungsverboten führte. Als Aktivist der kirchlichen Friedensbewegung engagierte er sich ab 1989 im Untersuchungsausschuss zu polizeilichen Übergriffen vom 7./8. Oktober 1989 in Berlin .
Die Abreibungen: Archiv des Verschwindens
Butzmanns Frottagen sind mehr als künstlerische Technik – sie sind ein politisches Archiv. Seine Abreibungen von zerstörten Berliner Hausfluren oder jüdischen Grabsteinen bewahren Erinnerungen an Orte, die dem Abriss oder der Vernachlässigung ausgesetzt waren. Projekte wie Butzmanns Heimatkunde in 24 Abteilungen (1992) kompilierten diese Arbeiten zu einer „Topografie des Verlusts“. Knebel beschrieb in der Kollwitz-Preis-Laudatio treffend:
„Es geht um Verluste […]. Wir werden dazu gebracht, vor uns selbst zu erschrecken.“
Sein dokumentarischer Ansatz zeigt sich auch in Serien wie Pankower Dächer (1993, Radierung/Aquatinta), die alltägliche Stadträume in melancholische Denkmale verwandeln . Die Abreibungen fungieren als „Widerhaken gegen das Vergessen“ – eine künstlerische Praxis, die er bis heute fortsetzt .
Nach der Wende: Mahner und Chronist (1990–heute) | Nach 1989 blieb Butzmann der kritischen Haltung treu. Sein Plakat für die ersten freien DDR-Wahlen am 18. März 1990 wurde zur Ikone des Aufbruchs . 1991 erhielt er den Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie der Künste, wobei die Jury seine „moralisch-ethische Grundhaltung“ würdigte – ein Beleg für sein Lebensmotto: „In seiner Zeit wirken“ wie Kollwitz .
In den 1990er-Jahren weitete er sein ökologisches Engagement aus: Die Reihe Heimatkunde (1992) thematisierte bereits den Klimawandel als Bedrohung lokaler Identität. Projekte wie die Bilderchronik der Parkstraße 36 (2001) dokumentierten das Verschwinden seines eigenen Wohnhauses in Berlin-Pankow – ein Musterbeispiel für seine Verbindung von Kunst und Aktivismus .
Spätwerk und Vermächtnis (seit 2007) | Seit 2007 lebt Butzmann wieder in seinem Geburtsort Potsdam-Bornim. Seine späten Ausstellungen (z. B. 2013 im Potsdamer Militärwaisenhaus, 2014 in Schwerin) reflektieren Brandenburgs Landschaften als „verletzte Heimat“ . 2020 erhielt er den Brandenburgischen Kunstpreis (Ehrenpreis für das Lebenswerk) – eine Anerkennung seines „beharrlichen Blicks auf die Wunden der Zeit“ .
Butzmann äußert sich selten theoretisch über seine Arbeit, doch Knebels Laudatio fasst sie prägnant zusammen:
„Bei ihm gibt es keine Trennung zwischen Arbeit und Engagement. […] Seine Kunst zeigt, woran wir uns gewöhnt haben, ohne zu stolpern.“
Sein Credo lautet: Kunst soll „sehen lehren„. Dies belegt etwa die Fotoplakatserie Mosaiken in Pankow 1978–1980 (1980), die alltägliche Stadtszenen so montiert, dass ihre Widersprüche sichtbar werden .
Werkverzeichnis (Auszug)
Medium | Werke (Jahr) | Sammlung/Bedeutung |
---|---|---|
Radierungen | Eindrücke (1976) | Kritik am Militärapparat |
Abreibungen | Jüdischer Friedhof (1981) | Dokumentation verfallener Denkmale |
Fotoplakate | Kein Platz für Bäume (1985) | Ökologische Mahnung |
Aquarelle | Steinernes Berlin (1987) | Urbaner Verfall in Berlin |
Plakate | Wahlplakat 18. März 1990 | Symbol der friedlichen Revolution |
Manfred Butzmanns Werk ist ein Kompendium des Übersehenen – ob in DDR-Hinterhöfen oder neoliberalen Stadtumbauten. Seine Abreibungen bewahren, was Machthaber und Investoren tilgen wollten. Mit dem Bundesverdienstkreuz (1993) und der Ferdinand-von-Quast-Medaille (1999) wurde er zum offiziellen Chronisten ernannt, doch er bleibt ein Unbequemer: „Seine Arbeiten haben immer Widerhaken“, wie die Akademie der Künste betont . Heute, mit 82 Jahren, arbeitet er in Potsdam weiter an seiner „Heimatkunde“ – als Mahner, dass Zerstörung nie Schlusspunkt, sondern immer Auftakt zur Erinnerung ist.
„All das, was man heute leicht verharmlosend Wende nennt […] war das Werk von Menschen wie Manfred Butzmann.“
– Akademie der Künste, 1991
Manfred Butzmann hat zahlreiche Bücher und Texte illustriert, vorwiegend im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur sowie literarischer Klassiker. Seine Illustrationstätigkeit war besonders zwischen den 1970er und 1990er Jahren eng mit dem Kinderbuchverlag Berlin (DDR) verbunden.
Illustrierte Werke (Auswahl):
„Mumu und andere Erzählungen“ (Iwan Turgenjew, 1981)
Gebundene Ausgabe mit Butzmanns Illustrationen, erschienen im Kinderbuchverlag Berlin.
Format: 22 × 15 cm; Darstellung: Sozialkritische Szenen des russischen Landlebens im grafischen Stil.
„Der gute Stern des Janusz K.“ (Gisela Karau, 1972)
Taschenbuch-Ausgabe; Butzmann visualisiert die Geschichte über Freundschaft und Migration.
Eines seiner frühen Werke für den Kinderbuchverlag.
Reihe mit Reinhard Bernhof (1973–1988)
Mehrere Kinderbücher, darunter:
„Geschichten vom Hühnchen und vom Hähnchen“ (1973, Hardcover).
„Der Vogel im Baum“ (1976, ISBN 3358004619).
Charakteristisch: Reduzierte Linienführung, betont narrative Bildkompositionen.
Werke von Maxim Gorki (ca. 1970er Jahre)
Illustrationen für Gorkis Erzählungen im Kinderbuchverlag (Hardcover-Ausgaben).
„Kontraste/Synthesen“ (Umweltkunst-Projekt, 1999)
Mit Jörg Sperling; thematisierte Landschaftsveränderungen und Ökologie (Taschenbuch, ISBN 3928696661) 8.
Gestalterische Handschrift
Technik: Kombination von Radierungen, Lithografien und Holzschnitten – oft in reduzierter, expressiver Form.
Themen: Sozialkritische und humanistische Motive, z. B.:
Alltagsszenen (z. B. „Männer im Gespräch“, Ätzradierung).
Natur- und Tierdarstellungen (z. B. „Grasende Ziege“, Holzschnitt).
Politische Subtilität: In Kinderbüchern nutzte er metaphorische Bilder, um gesellschaftliche Werte zu vermitteln – etwa Solidarität in „Der gute Stern des Janusz K.“.
Künstlerbücher und Eigenpublikationen
Butzmann gestaltete auch autonome Künstlerpublikationen, oft in Kleinauflagen:
„Heimatkunde. Steinabreibungen vom Klusfelsen“ (ca. 1995):
Selbstverlegtes Buch mit 8 Seiten Frottagen von Felsstrukturen als ökologisches Statement.
„Grenzgebiet“ (1996):
Reflexion über urbane Grenzräume in Berlin; enthält Offsetlithografien.
In einem Text für Martin Hoffmann (1996) betont Butzmann die Verbindung von Inhalt und Form:
„Selten habe ich jemand getroffen, der so viel Wert auf den Inhalt seiner Arbeit legt, der sich fast jede spielerische Kunstfertigkeit verbietet.“
– Manfred Butzmann, Reflexe aus Papier und Schatten (1996) 11.
Diese Aussage spiegelt seinen eigenen Ansatz: Illustration als engagierte Kunst, nicht als dekorative Zugabe.
Quellen:
Akademie der Künste Berlin (Hrsg.):
Manfred Butzmann. Plakate, Abreibungen, Bücher. (Ausstellungskatalog), Berlin 1991.
→ Enthält Werkabbildungen, Butzmann-Zitate und den vollständigen Text der Laudatio von Konrad Knebel zum Käthe-Kollwitz-Preis 1991.
Knebel, Konrad:
Laudatio auf Manfred Butzmann zur Verleihung des Käthe-Kollwitz-Preises 1991. (Archiv der Akademie der Künste, Berlin).
→ Grundlage für Butzmanns künstlerisches Credo („sehen lehren“) und Interpretation der Abreibungen als „Widerhaken gegen das Vergessen“.
Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung (Hrsg.):
Manfred Butzmann. Abreibungen – Zeichnungen. (Katalog zur Ausstellung im Potsdamer Landtag), Potsdam 2014.
→ Dokumentiert Schwerpunkt auf Frottagen, inkl. Werkreihen wie „Jüdischer Friedhof“ und technischer Erläuterungen.
Stadtmuseum Berlin / Museum Pankow (Hrsg.):
Manfred Butzmann: Pankower Dächer – Druckgrafik 1993. (Ausstellungsdokumentation), Berlin 2013.
→ Analysiert die Radierfolge als Beispiel für Butzmanns „Melancholie des Alltäglichen“.
Endlich, Stefanie / Lutz, Thomas:
„Kunst als Erinnerungsarbeit: Manfred Butzmanns Abreibungen jüdischer Grabsteine“. In: Gedenkstättenrundbrief, Nr. 189, 2017, S. 14–22.
→ Belegt die politisch-dokumentarische Dimension der Frottagen.
Der Morgen (Zeitung, DDR): Rezension zur Ausstellung „Steinernes Berlin“ (1987), zitiert in: Butzmann. Plakate… (s.o.).
taz – die tageszeitung: „Der Abreißer. Manfred Butzmann erhält den Brandenburgischen Kunstpreis“, 17.10.2020.
Katalog: Manfred Butzmann – Heimatkunde in 24 Abteilungen. Galerie am Prater, Berlin 1992.
Dokumentation: Ferdinand-von-Quast-Medaille 1999 – Begründung der Jury. (Landesdenkmalamt Berlin).
Eine umfassende wissenschaftliche Monografie zu Butzmann existiert bislang nicht. Die profundesten Quellen sind:
Primär: Die Kataloge seiner Ausstellungen (bes. Akademie der Künste 1991 + Potsdam 2014),
Sekundär: Die Laudatio von Konrad Knebel (1991), die oft zitiert wird und Butzmanns Selbstverständnis spiegelt.
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