Das Schweigen – Gertrud von le Fort

Der erzählerische Text schildert ein Rom, das von inneren Konflikten und dem erbitterten Machtkampf zwischen verfeindeten Adelsbaronen zerrissen ist. Der römische Senat versucht, die Stadt zu retten, indem er die Burgen der Adelsgeschlechter zerstören lässt. In dieser Krise wird der Papst – bisher in Verbannung in Viterbo – zurückgerufen, um als starke Autorität den Frieden wiederherzustellen.

Als der Papst in das vom Trümmerfeld gezeichnete Rom einzieht, erscheint er den Bürgern als verlässlicher Garant der Ordnung. Doch anstatt öffentlich gegen die Adelsgeschlechter vorzugehen, wählt er bewusst das Schweigen, was von vielen als unklare und zwiespältige Haltung wahrgenommen wird. Hinter den Kulissen empfängt er nachts Lucia Savelli, eine Frau, die gegen ihren Willen mit einem der aufmüpfigen Barone verheiratet wurde. Lucia wird später von einem Angehörigen ihres Adelsgeschlechts ermordet, und der Papst, der bis zuletzt schweigt, stirbt.

Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive eines jungen Leibwächters des Papstes erzählt, der als Findelkind am Palast aufgewachsen ist. Durch diese begrenzte Sichtweise bleiben viele Hintergründe – Lucias Herkunft, ihre Beweggründe oder die genauen Absichten des Papstes – absichtlich im Dunkeln. Der Text ist als Legende konzipiert und wird als Gleichnis gelesen, in dem der scheinbar machtlose Papst durch seine Persönlichkeit und sein Schweigen dennoch in der Lage ist, den hitzköpfigen Adel in Schach zu halten.

Weitere Informationen zum Papst (Papst Pius XII.)

Historischer Kontext und Person:
Gertrud von le Fort widmet das Werk explizit Papst Pius XII. (Eugenio Pacelli), der von 1939 bis 1958 das Oberhaupt der katholischen Kirche war. Pius XII. ist eine umstrittene Figur der Kirchengeschichte, dessen Politik und Verhalten während des Zweiten Weltkriegs seither intensiv diskutiert werden. Sein Handeln – insbesondere sein oft kritisiertes Schweigen und seine zurückhaltende öffentliche Positionierung – wird in historischen und theologischen Debatten sowohl verteidigt als auch kritisiert.

Rezeption und Interpretation im Werk:
In Das Schweigen – Eine Legende wird der Papst als Symbol für stille, aber durchsetzungsfähige Autorität dargestellt. Sein Schweigen wird nicht als Schwäche, sondern als bewusste strategische Haltung interpretiert, mit der er den inneren Aufruhr und den hitzköpfigen Adel in Schach hält. Diese Darstellung steht im Kontrast zu kritischen Stimmen, die ihm vorwerfen, während des Krieges zu wenig unternommen zu haben.

Bedeutung des Schweigens:
Die literarische Figur des Papstes verkörpert in der Legende das Paradox, dass Macht nicht immer durch laute oder öffentliche Aktionen demonstriert werden muss. Stattdessen wird hier gezeigt, wie ein zurückhaltendes, fast mystisches Schweigen als Ausdruck von innerer Stärke und Autorität dienen kann – ein Motiv, das als Antwort auf zeitgenössische politische und moralische Debatten verstanden wird.

Historische Debatte:
Die Figur des Papstes in diesem Werk verweist auf die Kontroverse um Pius XII. – ob seine stille Haltung tatsächlich zum Schutz der römischen Juden und anderer Verfolgter beigetragen hat oder ob er seiner Verantwortung nicht ausreichend gerecht wurde. Gertrud von le Fort positioniert sich dabei klar gegen die Auffassungen von Kritikern wie Hochhuth, die in der öffentlichen Diskussion ein anderes Bild von Pius XII. zeichneten.


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