Nur ein Schritt

Dieses Poem – auch ohne Titel – (S. 7) beschreibt eine tiefgründige, leicht melancholische und rätselhafte Reflexion über Bewegung, Begegnung und Wahrnehmung. Hier eine Annäherung an die zentralen Aspekte:

Der Schritt nach Draußen und die Bewegung der Anderen:
Der erste Teil fokussiert auf eine Übergangssituation („Nur ein Schritt und du bist draußen“). Draußen beobachtet das lyrische Ich die Bewegung anderer Menschen: Einige gehen mit, andere kommen entgegen, viele gehen einfach vorbei. Dies evoziert Bilder von Alltag, Anonymität, flüchtigen Begegnungen und der Vielfalt menschlicher Wege und Richtungen.

Die Frage nach dem Ziel / Zusammenfluss:
Die zentrale Frage „Wo / münden alle diese Wege / In einen Ort“ stellt das Rätsel in den Raum: Haben alle diese unterschiedlichen Pfade ein gemeinsames Ziel? Gibt es einen Ort der Vereinigung oder des Endpunkts? Dies kann sowohl konkret (ein physischer Ort) als auch abstrakt (Tod, Schicksal, Sinn) interpretiert werden.

Das Ziel – Gedeckte Tische und Greifende Hände:
Die Antwort auf die Frage scheint ein Ort zu sein, der durch „gedeckte Tische“ und „greifende Hände“ charakterisiert ist. „Gedeckte Tische“ suggerieren Gastlichkeit, Gemeinschaft, Einladung, vielleicht auch ein Festmahl oder eine Versorgung – aber auch eine gewisse Erwartung oder Vorbereitung.
Greifende Hände“ sind ambivalent: Sie können Hilfe, Begrüßung, Verbindung und Unterstützung bedeuten, aber auch Gier, Besitzergreifen, Forderung oder den Versuch, festzuhalten und zu kontrollieren. Der Zusatz „auch dahin“ klingt fast resigniert oder unausweichlich.

Die Macht des Lichts und der Wahrnehmung:
Das Gedicht endet mit einem starken, fast magischen Bild:

wo die Kerze / aufscheint / deren Schattenschlag / die Dinge wandern macht


Die Kerze steht für Licht, Erkenntnis, Fokus, aber auch Vergänglichkeit und eine fragile Quelle.Ihr „Schattenschlag“ ist ein besonders eindrückliches Bild. Es beschreibt nicht einfach statische Schatten, sondern deren Bewegung, ihr „Schlagen“ oder Pulsieren im flackernden Kerzenlicht.

Dass dieser Schattenschlag „die Dinge wandern macht“, ist der zentrale, rätselhafte Höhepunkt. Es suggeriert:

Die grundlegende Veränderlichkeit und Unbeständigkeit der Dinge.

Die Macht der Wahrnehmung und der (künstlichen) Beleuchtung: Je nach Lichtquelle und Perspektive erscheinen und bewegen sich Dinge anders. Die Realität ist nicht fest, sondern wird durch unseren Blick (das Licht, das wir darauf werfen) geformt und in Bewegung gesetzt. Eine fast mystische Kraft des Lichts, die die materielle Welt beeinflusst. Die Illusion der Bewegung durch das Spiel von Licht und Schatten.

Dieses Gedicht malt ein Bild von der Unausweichlichkeit des Unterwegsseins („alle diese Wege„) und der Begegnung mit anderen (mitgehen, entgegenkommen, vorbeigehen) sowie einem unbestimmten, ambivalenten Zielort (Gastlichkeit/Bedrohung durch Tische und Hände). Es gipfelt in der faszinierenden und beunruhigenden Erkenntnis, dass unsere Wahrnehmung – symbolisiert durch das flackernde Kerzenlicht und seinen bewegten Schatten – die Welt um uns herum nicht nur beleuchtet, sondern sie aktiv verformt und in Bewegung setzt („wandern macht“). Es ist eine Meditation über Vergänglichkeit, Perspektive und die fragile, von unserer Sichtweise abhängige Natur der Wirklichkeit. Der Ton ist nachdenklich, etwas düster und von einer poetischen Rätselhaftigkeit.


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