Adolf Endler – Leben zwischen Widerstand und Sprachrebellion

Adolf Endler (1930–2009) widersetzte sich stets geradlinigen Lebenserzählungen. „Es schien ihm ganz unmöglich und falsch, sein Leben, das in seinen Augen eher einem Zickzackkurs folgte, als einen runden Bogen zu erzählen“, notiert der Klappentext von „Dies Sirren“, seinen autorisierten Gesprächen mit Renatus Deckert. Diese Unangepasstheit prägte den Autor vom rheinischen Kriegskind zur prägenden Figur des DDR-Literaturuntergrunds.

Kindheit im Bombenhagel: Düsseldorfer Prägungen
Seine Wurzeln im Düsseldorfer Süden formten ihn fundamental. Die aus Belgien stammende Mutter – „deren Verwandte von den Nazis umgebracht wurden“ – und der erfolglose Vater hinterließen Spuren. Im „Dreieck zwischen Papiermühle, Wasserwerk und Henkel“ (so sein Gedicht) erlebte er die Schrecken des Krieges: das „Sirren der Bombergeschwader“ und den „als Befreiung empfundenen Einmarsch der Amerikaner“. Der lokale Dialekt blieb sein akustischer Grundton, später verkörpert im Alter Ego Bubi Blazezak.

Literarische Frühprägung und DDR-Enttäuschung
Nach 1945 stürzte er sich in die Literatur: „Endler saugte begierig auf, was an moderner internationaler Literatur zu lesen war.“ Begegnungen mit Irmgard Keun und die Einladung zur Tagung der Gruppe 47 1952 (mit Heinrich Böll und Paul Celan) markierten Wegmarken. Doch 1955 folgte der Bruch: „Voller Illusionen ging er in die DDR, rasch verlor er sie.“ Am Leipziger Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ wurde er Teil der Sächsischen Dichterschuleein Begriff, den er selbst 1978 prägte, um die innovative Kraft seiner Generation zu benennen.

Zentrale Figur im literarischen Widerstand
„Bis zum Zusammenbruch des Kommunismus spielte Endler eine zentrale Rolle in subkulturellen Aktivitäten, die das überholte Konzept des sozialistischen Realismus herausforderten“, wie es im ergänzenden Text heißt. Seine Anthologie In diesem besseren Land (1966) nutzte den scheinbar loyalen Titel als trojanisches Pferd. Ihr Widerhall reichte über die DDR-Grenzen: „Erich Fried hob in einer BBC-Rezension ihre versteckte Systemkritik hervor.“ Trotz Anerkennung im Ost und West („von Kollegen respektiert“) wurde er von „Parteifunktionären ignoriert und schikaniert“. Nach seinem Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns folgte 1979 der Ausschluss aus dem Schriftstellerverband.

„Tarzan“ und das Netzwerk des Underground
Im Berliner Prenzlauer Berg wurde er zur Legende. Als „Tarzan“ organisierte er Lesungen in Wohnzimmern und publizierte in Samisdat-Zeitschriften. Hier knüpfte er an kollektive Überlebensstrategien an: Schon der Kritiker Michael Hamburger hatte den „lebhaften Schriftverkehr“ der DDR-Avantgarde als „geheimes intertextuelles Projekt gegen die Staatsisolation“ beschrieben. Endlers Tagebuch Tarzan am Prenzlauer Berg (1994) dokumentiert diese Jahre – durchdrungen von surrealem Witz und der Erkenntnis: „Wer nicht pariert, zerstört seine Existenz; wer pariert, zerstört sein Leben.“

Späte Anerkennung und letztes Wort
Erst nach 1989 erhielt er Preise (Peter-Huchel-Preis 2000, Bremer Literaturpreis 2000) und Mitgliedschaften (Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, 2005). Doch sein definitives Resümee lieferte er in „Dies Sirren“: „Endler blickt genau und unsentimental zurück auf die frühen Jahre“. Wie der Klappentext betont, autorisierte er das Manuskript kurz vor seinem Tod und sah es als „sein letztes literarisches Werk“.

Sein Œuvre – vom provokanten Debüt Nackt mit Brille (1975) bis zum alchimistischen Spätwerk Der Pudding der Apokalypse (1999) – bleibt ein labyrinthisches Sprachlabor. Doch „Dies Sirren“ gibt den Schlüssel: Es zeigt, wie Bombensirren, Zensur und literarische Solidarnetzwerke einen Autor formten, der Meistererzählungen stets misstraute.


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