Der Papierkönig | Hansjörg Schertenleib

Hansjörg Schertenleibs Roman „Der Papierkönig“ (erschienen 2008) arbeitet mit mehreren Ebenen: Die Brüche und Abgründe des Journalismus sowie die fragile Identität eines Mannes erkundet, der zwischen beruflicher Pflicht und persönlicher Krise schwankt. Protagonist Viktor Kessler, ein alternder Kulturjournalist, sieht sich mit der Auflösung seiner Ehe, dem Druck der Medienbranche und der Frage konfrontiert, was von seinem Leben bleibt, wenn die Fassade bröckelt.

Der Autor und seine Inspiration
Schertenleib, 1957 in der Schweiz geboren, blickt auf eine eigene Karriere als Journalist und Schriftsteller zurück. Seine Erfahrungen prägen den Roman: Ich wollte die Ambivalenz des Journalismus zeigen – einerseits die Macht der Worte, andererseits die Ohnmacht des Einzelnen in einem System, das immer schneller, oberflächlicher wird, erklärte er in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung. Der Autor verwebt autobiografische Elemente mit fiktionalen Erzählsträngen, etwa die Kritik an der Medienlandschaft, die er als „Papierkönigreich“ beschreibt – eine Welt, die „mit Worten Schlachten schlägt, aber selten die Wahrheit trifft“.

Die Idee zum Roman reifte über Jahre. Schertenleib notierte zunächst Fragmente aus dem Redaktionsalltag, die später zur Grundlage der Handlung wurden. „Viktor Kessler ist keine reale Person, aber seine Zweifel sind die aller Journalisten, die spüren, dass sie Teil des Spektakels werden, über das sie berichten“, so der Autor. Rezensenten lobten die präzise Sprache und die melancholische Tiefe des Werks. Die Süddeutsche Zeitung schrieb: „Schertenleib gelingt ein schonungsloses Porträt der Medienwelt, das zugleich ein Stück Zeitgeschichte ist.

Journalisten als Teil der Geschichte:
Der Roman spiegelt reale Phänomene wider, bei denen Journalisten selbst zu Akteuren der Geschichten werden, die sie erzählen. Einige markante Beispiele:

  1. Der Fall Claas Relotius (2018): Der Spiegel-Reporter fälschte zahlreiche Artikel und konstruierte Figuren, um dramatische Geschichten zu erfinden. Der Skandal offenbarte, wie Journalisten durch ihre eigene Gier nach Aufmerksamkeit Teil einer Lügengeschichte wurden – ähnlich wie Schertenleibs Protagonist, der im Roman mit der Frage der Authentizität ringt.
  2. Günter Wallraffs Undercover-Recherchen: Der Investigativjournalist tauchte in den 1970er- und 1980er-Jahren unter, um Missstände aufzudecken (z.B. in „Ganz unten“). Hier wurde der Reporter zum Protagonisten, der die Grenzen zwischen Beobachter und Betroffenem bewusst verwischte.
  3. Die Spiegel-Affäre (1962): Als der Spiegel über Verteidigungsmängel der Bundeswehr berichtete, wurden Redakteure unter Hochverratsverdacht festgenommen. Der Fall zeigte, wie Journalisten durch ihre Enthüllungen selbst zur Zielscheibe staatlicher Macht wurden – ein Thema, das auch in „Der Papierkönig“ anklingt, wo Viktor mit Zensur und moralischen Dilemmata kämpft.

Fazit
Der Papierkönig“ ist auch ein Medienroman – er ist in erster Linie eine Studie über die Zerbrechlichkeit von Wahrheit und Identität. Schertenleib gelingt es, „die Einsamkeit des modernen Menschen in einer Welt voller Papiertiger zu porträtieren“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung).