Eigentlich habe ich sie satt, diese Unwucht an Lebensberatern in Büchern, Magazinen, Podcasts oder auf YouTube, dass ich mich immer wieder auf sie eingelassen habe. Diese jeweils anders angestrichenen Behauptungen zu wissen wie es geht, diese Einladungen zum Egotrip..schon wieder einer. Und danach diese Katerstimmung, wenn ich merkte, dass ich mit den Heilsversprechungen dann doch nichts anfangen konnte. Also eigentlich.
Gefunden habe ich dieses Buch von Ulrich Schaffer in einem öffentlichen Bücherschrank in Lüneburg. Mitgenommen habe ich es wegen der Verschriftlichung in Versform. Das hat mich überrascht.
Die Reise nach innen ist nicht die Reise in eine totale Subjektivität, in die Abtrennung von der Außenwelt, sondern eine Reise in die Verantwortung sich selbst und anderen gegenüber.
Ulrich Schaffer
Ein kleines Buch über den (eigenen) Glauben, die Selbstreflexion und eine Reise die sich Leben nennt. Geschrieben in lyrischer Form, was gleich zu Beginn gesagt, das Besondere und wirkungsvolle dieses Buches ist.
Aufgeteilt in drei Abschnitte – Standort, Rückblick, Reise – begibt sich der Autor Ulrich Schaffer auf eine Reise ins Herz des Menschen.
Seine These: Viele Probleme entstehen durch die Vernachlässigung der Innenwelt. Schaffer meint, wir werden oft genug von einer außenstehenden Gewalt von uns selbst weggeführt und in ein System einer uns fremden Lebensform eingebaut, in der wir nicht mehr Korrektiv wirken. Sondern nur noch als ausführender Arm dieser Gewalt. Das ist mir etwas schwurbelig formuliert, für die digitalen Ablenkungen, einer gewissen Konsumabhängigkeit, etc. Dennoch schätze ich es, da er andere Worte gebraucht als die, die ich selbst im Kopf habe um mit mir selbst meine eigenen Unzufriedenheit mit mir selbst zu diskutieren.
Ähnlich geht es mir bei der Lektüre; Schaffer schreibt sein Kapitel in Versform. Zwar verzichtet er auf den Reim; dennoch nimmt die Rhythmik mich mit. Auch wenn ich das meiste woanders schon gelesen habe, es fühlt sich dadurch zumindest erneuert an.
Ich habe in letzter Zeit zu schätzen gelernt, durch die Beschäftigung mit dem Glauben an etwas Höheres Denkstrukturen aufzubrechen. An eine unbestechliche Autorität, die es gut mit mir meint und ich annehmen kann: ich muss das Spiel des Lebens nicht allein meistern. Ich habe Hilfe. Das nimmt Druck weg, perfekt sein zu wollen, andere Erwartungen erfüllen zu müssen. Ein erstaunlicher Effekt, wenn man seine Aufmerksamkeit weg lenkt von anderen Menschen hin zu sich selbst und dieser als unbestechlich und objektiv empfundenen Autorität.
Ich verstehe das Buch so, dass es nicht um den christlichen Glauben, gar um Religion geht, sondern um eine philosophische Betrachtung.
Dieses Zitat aus dem Vorwort trifft es ganz gut:
Für mich beginnt auch der Glaube da, wo ich eine Wahrheit konkret in mein Leben aufnehme und ihr entsprechend lebe, wenn ich also mein Leben aufs Spiel setze. Meine Weltanschauung kann ich kurzerhand verändern, aber meinen Glauben nicht. Das ist ein Prozess.
Zusätzlich nutzt Schaffer Fragen um den Lesefluss zu unterbrechen, und einen (möglichen) Denkstopp zu setzen. Insbesondere wenn sich das konsumorientierte Lesen einschleicht.
Was mir noch auffällt: geschrieben in der Ich-Form werden Lesende direkt und oft angesprochen mit Du und zwischendurch gibt es auch ein Wir. Dadurch empfinde ich den Text durchaus auch an mich persönlich adressiert.
Manches ist mir zu kitschig, wenn Schaffer z. B. einlädt:
Lass dich mitnehmen von der Flöte
auf die Reise zu Dir selbst.
Bei mir funktioniert dieses Bild insofern, dass ich überlege, was für mich stattdessen stimmig wäre.
Ein großer Bestandteil der Verse sind die Beschreibungen von Mutmaßungen, was einem alles so zugestoßen sein könnte, worunter man leiden könnte. Das mag der Absicht geschuldet sein, möglichst viele Leser-innen dort abzuholen, wo sie gerade sind. Mich hat das bei der ersten Lektüre eher ermattend. Man sollte auf sich achten, weil dieser Leidensrhythmus einlädt (arg oft) innerlich HIER-das-hab-ich-auch zu rufen. Erinnert mich an diese Verkaufsrhetorik, sich zunächst einige Zustimmungen einzuholen um den Kunden auch bei unklareren Themen auf Kurs zu bringen, damit dieser leichter ein Ja als einen Zweifel äußert.
Ganz nebenbei habe ich mich damit beschäftigt, was oder wer Gott eigentlich ist. Für mich ist. Und dabei beobachtet, dass es mir unangenehm ist, diesen Namen auszuschreiben. Dies mache ich, weil andere dies beim Lesen eventuell befremdlich, irritierend finden. Ich persönlich bevorzuge die jüdische Schreibweise: G’tt. Warum, das weiß ich noch nicht.
Wohin mich die Reise beim Lesen bisher geführt hat?
Die Aufbereitung des geschrieben Wortes in Versform finde ich so spannend, dass ich dies als willkommene Übung aufgreife, meine eigenen Fragestellungen dergestalt niederzuschreiben.
Ich gehe der Frage nach: wie betet man richtig? Worum geht es dabei und an wen wendet man sich? Und dabei möchte ich mich nicht auf die gefestigten Meinungen im Religionskanon verlassen.
Schaffer beschreibt Mythen, Musik, Maler wie Hieronymus Bosch, in denen Glaubensfragen verarbeitet werden. In diesen Kanälen werde ich mich auch versuchen. Mit meinen bescheidenen Mitteln.
Die Reise, das letzte Kapitel, ist ein lang ausformuliertes Versprechen. Ulrich Schaffer beschreibt dieses in starken Bildern. ich möchte herausfinden, ob sich daraus ein Film fürs Kopfkino machen lässt und wie der dann aussieht. Im therapeutischen Sinne sagt man dazu auch eine Phantasiereise unternehmen.
Zitat vom Buchrücken:
Vor dir siehst du eine Tür.
Ulrich Schaffer
Du klopfst an.
Gott öffnet in Deiner Gestalt.
Da stehst Du dir gegenüber.
Bist alt und doch jung,
weise und doch voller Wissensdrang.
Du willst reifen und wachsen.
Ulrich Schaffer
*1942, lebt als freier Fotograf und Schriftsteller in Gibsons, British Columbia. Er ist Autor zahlreicher Bücher und macht regelmäßig Lesereisen für seine große Fangemeinde in Deutschland. Er ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Töchtern.
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Foto © Ulrich Schaffer
Mein Fazit | Ulrich Schaffers Ansätze sind für mich immer wieder überraschend, weil sie mir ungewohnt sind. Das macht den Reiz aus. Zudem brauche ich ewig um die Versform zu lesen. Das macht sich gut beim Nachdenken. Auch wenn ich manches Bild überzogen finde, es ist ein gutes Buch. Denn es leistet mir beim Aufräumen meines Lebenshauses gute Dienste. Oft auch auf einer unbewussten Ebene; es wirkt einfach. Irgendwie. Und das reicht mir zu wissen. Und ich übe mich im abstrakten Malen, was mir Freude bereitet.
Ulrich Schaffer | Die Reise ins eigene Herz
EDITION Schaffer
ISBN 3783109795
Es gibt zudem eine Ausgabe die 2005 bei Herder Spektrum erschienen ist. ISBN: 3451056305
Ein weiteres Buch von Ulrich Schaffer auf meinem SuB: Im Fluss der Zeit | Gedanken beim Älterwerden