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  • Der Verlag Peter Engstler: Ein Kleinverlag mit großer Leidenschaft für die Nische

    Im beschaulichen Oberwaldbehrungen in Bayern liegt der Verlag Peter Engstler, ein Kleinverlag, der seit seiner Gründung 1987 von Buchhändler Peter Engstler als Einmannbetrieb geführt wird. Engstler, geprägt von der Beat Generation und den Subkulturen der 1970er-Jahre, hat sich auf die Herausgabe von zeitgenössischer Lyrik und experimenteller Prosa spezialisiert – beides Nischenprodukte auf dem Buchmarkt. Seit 1987 hat der Verlag rund 200 Bücher in kleinen Auflagen veröffentlicht, von denen die meisten noch lieferbar sind. Darunter finden sich Werke wie Bert Papenfuß’ Rumbalotte Continua, Ann Cottens Softsoftporn oder Ulf Stolterfohts traktat vom widergang. Auch Klassiker wie Helmut Salzingers Swinging Benjamin aus dem Jahr 1973 wurden hier neu aufgelegt.

    Engstlers Verlag ist ein Ort der literarischen Avantgarde und des Undergrounds. Er verlegt nicht nur deutschsprachige Autoren, sondern auch Übersetzungen, wie das Hauptwerk von Mary Beach, Die Elektrische Banane, mit einem Vorwort von William S. Burroughs. Engstler selbst, der 2009 den Preis Das Hungertuch für Literatur erhielt, ist ein Verleger, der sich weniger für aufwendige Buchgestaltung interessiert als für den Inhalt. Eine Ausnahme bildet Paulus Böhmer’s Langgedicht Zum Wasser will alles Wasser will weg, das in großem Format mit farbigen Zeichnungen auf hochwertigem Papier gedruckt wurde und zu den teuersten Produktionen des Verlags zählt. Böhmer wurde für dieses Werk 2015 mit dem Peter-Huchel-Preis ausgezeichnet.

    Der Verlag finanziert sich durch den Verkauf der Hälfte der Auflage, die die Produktionskosten deckt. Der Gewinn fließt direkt in das nächste Projekt. Engstler druckt bei einem alten Bekannten in Ostheim und setzt auf eine Mischung aus handwerklicher Tradition und experimentellem Geist. Seine Bücher sind oft schmal, aber gehaltvoll, wie die zwölf Bände der Reihe Kleiner Brehm, in denen Helmut Höge Essays über verschiedene Tiere verfasst hat.

    Engstlers Verlagshaus ist mehr als nur ein Ort der Buchproduktion – es ist ein Archiv der Ideengeschichte, gefüllt mit Büchern, Zeitschriften und Flugschriften, die von der Beat-Generation über die Anti-Psychiatrie bis hin zur linksradikalen Subkultur reichen. Engstler selbst bezeichnet sich als „linkssubversiv“ und sieht seine Arbeit als eine Form des Bewahrens. In einer Zeit, in der der Buchmarkt von großen Konzernen dominiert wird, bleibt er ein unabhängiger Verleger, der sich bewusst gegen den Mainstream stellt.

    Sein Leben ist ebenso unkonventionell wie sein Verlag. Engstler arbeitete lange als Waldarbeiter und später als Betreuer in einem Heim für Menschen mit Behinderung. Diese Erfahrungen prägen sein Denken und Schreiben. Seine Lyrik ist wortkarg, fragmentarisch und oft von einer prismatischen Wahrnehmung geprägt, die sich gegen lineare Erzählstrukturen wehrt. Engstler ist ein Verfechter der „Cut-up“-Methode, die er von William S. Burroughs übernommen hat – eine Technik, bei der Texte zerschnitten und neu zusammengesetzt werden, um neue Bedeutungsräume zu erschließen.

    Trotz der Herausforderungen des Buchmarkts bleibt Engstler optimistisch. Er veranstaltet regelmäßig Lesungen und Veranstaltungen, wie die Provinzlesungen auf der Kalten Buche, einem erloschenen Vulkan in der Rhön. Hier wird gelesen, diskutiert und gefeiert – ein unbezahlbares Ereignis, das die Gemeinschaft der literarischen Avantgarde feiert.

    Peter Engstler ist ein glücklicher Rebell, der sich seine Unabhängigkeit bewahrt hat. In einer Welt, die von Schnelllebigkeit und Kommerz geprägt ist, bleibt er ein Verfechter des Langsamen, des Experimentellen und des Subversiven. Sein Verlag ist ein lebendiges Zeugnis dafür, dass ein richtiges Leben im falschen möglich ist – und dass die Kraft der Worte immer noch die Welt verändern kann.

  • Peter Engstler und sein Verlag: Widerständige Literatur aus der Rhön

    Es gibt Verleger, die das Geschäft als Kunst betrachten. Und es gibt Peter Engstler, der es als Überlebensstrategie begreift. Seit 1987 betreibt er seinen Kleinverlag in Oberwaldbehrungen, Bayern – eine Ein-Mann-Mission für Poesie und Prosa, die sonst kaum eine Chance auf dem Buchmarkt hätte. Keine Investoren, kein Marketingapparat, nur Papier, Druckerschwärze und der unbeirrbare Wille, Literatur abseits des Mainstreams zu erhalten.

    Vom Buchhändler zum Verleger

    Engstlers Einstieg ins Verlagswesen war alles andere als strategisch geplant. Ursprünglich betrieb er in den 1980er-Jahren einen kleinen Buchladen, während er sich als Waldarbeiter über Wasser hielt. Der Laden hatte nur wenige Stunden in der Woche geöffnet, bot aber Raum für Filmabende, Lesungen und Konzerte. Parallel begann Engstler, Bücher herauszugeben – Texte, die ihn selbst interessierten, experimentelle Lyrik, subversive Prosa. Ohne Finanzkapital, dafür mit einem untrüglichen Gespür für literarische Außenseiter, baute er seinen Verlag auf, der bis heute rund 200 Titel veröffentlicht hat. Fast alle sind noch lieferbar – ein literarisches Archiv, in dem sich Subkulturen, Beat-Generation und Gegenwartsavantgarde die Hand reichen.

    Lyrik, Prosa und Underground

    Was Engstler verlegt, würde in den meisten Buchhandlungen nicht einmal ein eigenes Regal bekommen. Autoren wie Bert Papenfuß, Ann Cotten oder Ulf Stolterfoht prägen sein Programm, dazu wiederentdeckte Klassiker der Pop- und Underground-Kritik wie Helmut Salzingers „Swinging Benjamin“. Mary Beachs „Die Elektrische Banane“ – mit einer Einleitung von William S. Burroughs – brachte er in deutscher Übersetzung heraus. Die Texte sind oft sperrig, abseitig, manchmal wütend, immer kompromisslos.

    Vom Wert des Unkommerziellen

    Engstler kalkuliert so, dass der Verkauf der Hälfte der Auflage die Produktionskosten deckt. Der Gewinn fließt ins nächste Buch. Teure Produktionen leistet er sich selten, eine Ausnahme war Paulus Böhmers Langgedicht „Zum Wasser will alles Wasser will weg“ – hochwertiges Papier, farbige Zeichnungen, 500 Exemplare. Böhmer erhielt dafür den Peter-Huchel-Preis. Auch Helmut Höges Reihe „Kleiner Brehm“, in der zwölf Essays über Tiere erschienen, zeugt von Engstlers Hang zur literarischen Grenzüberschreitung.

    Das Leben als Widerstand

    Engstler ist kein Nostalgiker, aber ein Bewahrer. Die Subkulturen der 1970er-Jahre, die Anti-Psychiatrie-Bewegung, linksradikale Strömungen – all das findet sich in seinem Verlagsprogramm. Seine Arbeitsweise erinnert an die „Cut-up“-Technik von Burroughs: Texte zerlegen, neu zusammenfügen, Sinn verrücken. Dieses Prinzip prägt nicht nur seine Bücher, sondern auch seine Sicht auf die Welt.

    Literatur abseits des Marktes

    „Es gibt wenig Subversiveres als ein Stift und ein Blatt Papier“, sagt Engstler. Sein Verlag ist ein Beweis dafür, dass unabhängige Literatur trotz Digitalisierung und Marktkonzentration überleben kann. Er veröffentlicht bewusst langsam, gönnt sich den Luxus der Unabhängigkeit. Kein Mobiltelefon, keine Social-Media-Strategie – nur ein paar handverlesene Titel pro Jahr, gedruckt von einem alten Bekannten in Ostheim. Wer bei ihm ein Buch kauft, kauft ein Stück widerständiger Literaturgeschichte.

    Provinzlesungen und kulturelle Nischen

    Seit 2001 organisiert Engstler im zweijährigen Rhythmus seine „Provinzlesungen“ – ein Wochenende voller Literatur und Diskussionen, irgendwo im Nirgendwo der Rhön. Die Veranstaltungen sind legendär, genauso wie die Tatsache, dass dort zwar gelesen, gefeiert und debattiert wird – aber kaum Bücher verkauft werden. Doch das ist egal. Denn was hier passiert, ist unbezahlbar: ein Stück literarischer Freiheit, jenseits aller Marktlogik.

  • Die Notwendigkeit des Mondes | Hanna Mittelstädt

    Hanna Mittelstädt, Mitbegründerin des Verlags Edition Nautilus, verbindet in diesem Band persönliche Reflexionen mit philosophischen Betrachtungen und literarischen Bezügen. Sie untersucht, wie der Mond als Motiv in verschiedenen Kulturen und Epochen interpretiert wurde und welche Rolle er in Mythen, Literatur und Kunst spielt.

    Ein zentrales Thema des Buches ist die Dualität des Mondes als Symbol für Wandel und Beständigkeit. Mittelstädt schreibt: „Der Mond ist das ewige Symbol des Werdens und Vergehens, des Zyklus von Geburt und Tod.“ Sie beleuchtet dabei sowohl die wissenschaftlichen Aspekte der Mondphasen als auch die emotionalen und spirituellen Resonanzen, die der Mond im menschlichen Bewusstsein hervorruft.

    Der Peter Engstler Verlag, bei dem dieses Buch erschienen ist, wurde 1987 gegründet und hat sich auf zeitgenössische Literatur spezialisiert. Der Verlag legt besonderen Wert auf experimentelle und avantgardistische Werke, die sich durch sprachliche Innovation und inhaltliche Tiefe auszeichnen. Mit einem vielfältigen Programm, das Prosa, Lyrik und Essays umfasst, bietet der Peter Engstler Verlag Autorinnen und Autoren eine Plattform, die abseits des Mainstreams arbeiten.

    Insgesamt ist „Die Notwendigkeit des Mondes“ ein facettenreiches Werk, das Leserinnen und Leser dazu einlädt, den Mond aus verschiedenen Perspektiven neu zu entdecken und über seine vielfältigen Bedeutungen nachzudenken.

  • Hanna Mittelstädt

    Hanna Mittelstädt – Autorin, Übersetzerin und Verlegerin mit politischem Engagement. Geboren 1951 in Hamburg, wuchs sie in den politischen Umbrüchen der 1960er Jahre auf und entwickelte früh ein starkes Engagement für gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen.

    Die Gründung des Editions Nautilus

    Mittelstädt ist vor allem für ihre Rolle als Mitgründerin des Verlags Edition Nautilus bekannt. Gemeinsam mit ihrem Lebenspartner Lutz Schulenburg und dem französischen Übersetzer Pierre Gallissaires gründete sie 1973 den MAD-Verlag für sozialistische Texte und Literatur, der 1974 in Edition Nautilus umbenannt wurde. Dieser Verlag sollte nicht nur ein Zuhause für politische Literatur sein, sondern auch als Plattform für kritische Denkansätze und alternative Sichtweisen dienen. Die Editionsphilosophie spiegelte sich in einem Programm wider, das linke Literatur und politische Analysen förderte und die sozialen Bewegungen der Zeit unterstützte – von der Studentenrevolte über die Frauenbewegung bis hin zur Anti-Atomkraftbewegung. Mittelstädt erklärte: „Ein Gedicht kann genauso revolutionär sein wie ein theoretischer Text.“ Diese Haltung brachte die „Edition Nautilus“ nicht nur zu einem der bekanntesten Verlage der deutschen Linken, sondern auch zu einem bedeutenden Einflussgeber auf die politische und kulturelle Landschaft der damaligen Zeit.

    Übersetzerin und Herausgeberin

    Neben ihrer Arbeit als Verlegerin war Hanna Mittelstädt auch als Übersetzerin tätig. Besonders hervorzuheben sind ihre Übersetzungen von Werken der Dada- und Surrealismus-Bewegung. Sie brachte Werke von Autoren wie Benjamin Péret, Francis Picabia und Tristan Tzara ins Deutsche, darunter auch die Gedichte von Picasso, die sie 1993 unter dem Titel „Gedichte“ veröffentlichte. Ihre Übersetzungen eröffneten den deutschen Lesern einen neuen Blick auf die internationale Avantgarde-Literatur und gaben bedeutenden literarischen Strömungen des 20. Jahrhunderts eine breitere Bühne.

    Lyrik und Literatur

    Mittelstädt beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Rolle der Verlegerin und Übersetzerin. Sie ist auch selbst als Autorin aktiv. Besonders in den 1990er Jahren veröffentlichte sie eigene Werke, darunter den Erzählband „Die Hacienda muss gebaut werden“ (1994) und das Reisebuch „Mit den Augen hören. Zehn Tage in Chiapas, Mexiko“ (1995), das ihre Erlebnisse in einem der politisch aufgeladenen Gebiete Mexikos beschreibt. Ihr Engagement für eine politisch aufgeladene Literatur setzte sich auch in ihrer Lyrik fort. 2016 veröffentlichte sie den Lyrikband „Die Notwendigkeit des Mondes“, der ihre poetische Auseinandersetzung mit Themen wie Liebe, Verlust und gesellschaftlicher Veränderung widerspiegelt. Die Gedichte zeichnen sich durch eine klare und zugleich tiefgründige Sprache aus, die den Leser dazu einlädt, über persönliche und gesellschaftliche Umbrüche nachzudenken.

    Der Briefwechsel und die Chronik des Verlags

    Ein weiteres bemerkenswertes literarisches Projekt war der veröffentlichte Briefwechsel mit der Autorin Anna Rheinsberg, der 1999 unter dem Titel „Liebe Hanna – Deine Anna“ erschien. Dieser intime Austausch zeigt nicht nur die persönliche Seite Mittelstädts, sondern auch ihre tiefgehende Auseinandersetzung mit den Herausforderungen von Kunst und Leben.

    Nach dem Tod von Lutz Schulenburg im Jahr 2013 übergab Mittelstädt die Leitung der Edition Nautilus an eine Genossenschaft von Mitarbeiterinnen und widmete sich verstärkt eigenen literarischen Projekten. Ihr Roman „Blu – Lovestory“ (2021) erzählt die Geschichte einer verlorenen Liebe und spiegelt ihre Fähigkeit wider, intime und persönliche Themen mit einer breiten kulturellen Perspektive zu verbinden. 2023 veröffentlichte sie zudem eine Chronik des Verlags, „Arbeitet nie! Die Erfindung eines anderen Lebens. Chronik eines Verlags“, in der sie sowohl die Geschichte der Edition Nautilus als auch ihre persönliche Philosophie als Verlegerin und Autorin reflektiert.

    Politische und kulturelle Prägung

    Mittelstädt wuchs in einem Umfeld auf, das von politischen Bewegungen und kulturellen Umbrüchen geprägt war. Die Erfahrungen dieser Zeit – der Widerstand gegen autoritäre Strukturen, die Auseinandersetzung mit der sozialistischen Idee und das Engagement für soziale Gerechtigkeit – sind in ihrem literarischen Werk und ihrer Verlagsarbeit stets präsent. Ihr Verlag war und ist ein Ort für politisch und kulturell aufgeladene Literatur, die sich mit den gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart auseinandersetzt.

    Mittelstädt bleibt eine zentrale Figur in der deutschen Literaturszene. Ihre Arbeit als Verlegerin, Übersetzerin und Autorin hat nicht nur die politische Literatur in Deutschland beeinflusst, sondern auch eine ganze Generation von Leserinnen und Lesern geprägt. Sie steht für eine Literatur, die über den Tellerrand hinausblickt und dabei stets die Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung stellt.

    Heute widmet sich Hanna Mittelstädt weiterhin eigenen literarischen Projekten, während sie zugleich das Erbe der Edition Nautilus als eines der wenigen verbliebenen Verlage für politische Literatur bewahrt. Ihr Werk bleibt ein lebendiges Beispiel dafür, wie Literatur als Mittel für sozialen und kulturellen Wandel genutzt werden kann.

    Im Buchbestand

  • Serhij Zhadan

    Serhij Zhadan ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Schriftsteller, Dichter und Übersetzer der Ukraine. Geboren am 23. August 1974 in Starobilsk, einer kleinen Stadt in der Oblast Luhansk im Osten der Ukraine, wuchs Zhadan in einer Region auf, die später, insbesondere seit dem Ausbruch des Krieges im Donbass 2014, zu einem zentralen Thema seines literarischen Schaffens wurde. Zhadan studierte Philologie an der Universität Charkiw, wo er später auch promovierte. Neben seiner literarischen Tätigkeit ist er als Musiker und Aktivist bekannt, der sich für soziale und politische Belange engagiert.

    Zhadans Werk ist geprägt von einer tiefen Verbundenheit mit seiner Heimatregion, die er in all ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit darstellt. Seine Texte sind oft düster, aber auch von einem subtilen Humor und einer humanistischen Grundhaltung durchzogen. Er schreibt sowohl Prosa als auch Lyrik und ist bekannt für seinen unverwechselbaren Stil, der Elemente des Magischen Realismus mit einer präzisen Beobachtungsgabe und einem Gespür für die Absurditäten des Alltags verbindet.

    In seinen Werken setzt sich Zhadan immer wieder mit den Auswirkungen von Krieg, sozialer Ungerechtigkeit und politischer Instabilität auseinander. Dabei gelingt es ihm, die universellen Aspekte menschlicher Erfahrungen in den Vordergrund zu stellen, ohne die spezifischen historischen und geografischen Kontexte auszublenden. Seine Romane und Gedichte wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und haben ihm international Anerkennung eingebracht.

    Das Buch „Anarchy in the UKR“

    „Anarchy in the UKR“ ist eines der bekanntesten Werke Serhij Zhadans und erschien erstmals 2005 auf Ukrainisch. Der Titel ist eine Anspielung auf den Song „Anarchy in the U.K.“ der britischen Punkband Sex Pistols, was bereits auf den rebellischen und subversiven Charakter des Buches hinweist. Der Roman spielt in der ostukrainischen Stadt Charkiw und erzählt die Geschichte einer Gruppe von Freunden, die sich in einer von sozialem Niedergang und politischer Instabilität geprägten Umgebung zurechtfinden müssen.

    Inhalt und Themen

    Der Roman folgt den Protagonisten durch eine Reihe von absurden und oft gewalttätigen Begegnungen, die das Leben in einer postsozialistischen Gesellschaft widerspiegeln. Die Figuren sind Außenseiter, die versuchen, in einer Welt zu überleben, die von Korruption, Kriminalität und einem Mangel an Perspektiven geprägt ist. Zhadan zeichnet ein düsteres, aber auch humorvolles Bild einer Gesellschaft im Umbruch, in der alte Werte zerfallen und neue noch nicht etabliert sind.

    Ein zentrales Thema des Buches ist die Suche nach Identität und Zugehörigkeit in einer Welt, die sich ständig verändert. Die Protagonisten sind auf der Suche nach einem Sinn in ihrem Leben, der ihnen jedoch immer wieder entgleitet. Zhadan gelingt es, die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit seiner Figuren greifbar zu machen, ohne dabei in Zynismus zu verfallen. Stattdessen zeigt er eine tiefe Empathie für ihre Nöte und Sehnsüchte.

    Stil und Arbeitsweise

    Zhadans Schreibstil in „Anarchy in the UKR“ ist geprägt von einer Mischung aus Realismus und surrealen Elementen. Er verwendet eine klare, präzise Sprache, die jedoch oft von absurden und grotesken Szenen durchbrochen wird. Diese stilistische Vielfalt spiegelt die Widersprüche und Brüche in der Lebenswirklichkeit seiner Figuren wider.

    Ein charakteristisches Merkmal von Zhadans Arbeitsweise ist seine Fähigkeit, komplexe soziale und politische Themen durch die Perspektive individueller Schicksale zu erzählen. Er vermeidet es, einfache Antworten oder Lösungen anzubieten, sondern lässt Raum für Ambivalenz und Mehrdeutigkeit. Dies macht seine Texte sowohl literarisch anspruchsvoll als auch politisch relevant.

    Zhadan selbst hat in Interviews betont, dass er sich als Chronist seiner Zeit sieht: „Ich schreibe über die Menschen, die ich kenne, über die Orte, die ich kenne. Ich versuche, die Welt so zu beschreiben, wie sie ist, ohne sie zu beschönigen oder zu verzerren.“ Diese Haltung spiegelt sich auch in „Anarchy in the UKR“ wider, das als eine Art literarisches Dokument einer Gesellschaft im Umbruch gelesen werden kann.

    Rezeption und Bedeutung

    „Anarchy in the UKR“ wurde sowohl in der Ukraine als auch international positiv aufgenommen und trug maßgeblich zu Zhadans Ruf als einer der wichtigsten Stimmen der zeitgenössischen ukrainischen Literatur bei. Der Roman wurde für seine literarische Qualität und seine gesellschaftliche Relevanz gelobt und hat dazu beigetragen, die ukrainische Literatur einem breiteren Publikum bekannt zu machen.

    In Anbetracht der jüngsten politischen Entwicklungen in der Ukraine, insbesondere des Krieges im Donbass, hat das Buch eine neue Aktualität gewonnen. Es bietet Einblicke in die sozialen und politischen Spannungen, die zu diesem Konflikt geführt haben, und zeigt die menschlichen Kosten von Krieg und Instabilität.

    Fazit

    Serhij Zhadan ist ein Autor, der es versteht, die komplexe Realität seiner Heimat in literarische Werke von universeller Bedeutung zu übersetzen. „Anarchy in the UKR“ ist ein herausragendes Beispiel für seine Fähigkeit, die Widersprüche und Brüche einer Gesellschaft im Umbruch darzustellen, ohne dabei die Menschlichkeit seiner Figuren aus den Augen zu verlieren. Mit seinem unverwechselbaren Stil und seiner tiefen Empathie für die menschliche Erfahrung hat Zhadan einen wichtigen Beitrag zur zeitgenössischen Literatur geleistet.

  • Porträt des Autors Jakob Wassermann

    Jakob Wassermann (1873–1934) war ein bedeutender deutsch-jüdischer Schriftsteller, der vor allem für seine Romane, Erzählungen und Essays bekannt ist. Seine Werke zeichnen sich durch psychologische Tiefe, moralische Fragestellungen und eine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen aus. Wassermann gilt als einer der wichtigsten Vertreter der literarischen Moderne im frühen 20. Jahrhundert.

    Lebensweg und Privatleben
    Jakob Wassermann wurde am 10. März 1873 in Fürth geboren. Seine Kindheit war geprägt von finanziellen Schwierigkeiten und einem schwierigen Verhältnis zu seinem Vater, einem Spielwarenfabrikanten. Diese Erfahrungen prägten sein späteres Schreiben, insbesondere seine Sensibilität für soziale Ungerechtigkeit und menschliche Abgründe. Wassermanns jüdische Herkunft spielte eine zentrale Rolle in seinem Leben und Werk, da er sich zeitlebens mit Fragen der Identität, Assimilation und Diskriminierung auseinandersetzte.

    1898 zog Wassermann nach Wien, wo er als Lektor und Schriftsteller arbeitete. Später lebte er in Altaussee in der Steiermark, wo er sich in die österreichische Literaturszene integrierte. Wassermann war zweimal verheiratet, zunächst mit Julie Speyer, mit der er einen Sohn hatte, und später mit Marta Karlweis, die ihn nach seinem Tod biografisch porträtierte. Sein Privatleben war von finanziellen Sorgen und gesundheitlichen Problemen überschattet, doch er pflegte enge Freundschaften mit anderen Schriftstellern wie Thomas Mann und Hugo von Hofmannsthal.

    Werk und Arbeitsweise
    Wassermanns literarisches Schaffen umfasst Romane, Novellen, Essays und autobiografische Schriften. Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens“ (1908), „Der Fall Maurizius“ (1928) und „Das Gänsemännchen“ (1915). Seine Romane zeichnen sich durch eine intensive psychologische Charakterstudie aus, oft verbunden mit einer kritischen Betrachtung gesellschaftlicher und moralischer Fragen.

    In „Caspar Hauser“ beschäftigt sich Wassermann mit dem Schicksal des rätselhaften Findelkindes, das im 19. Jahrhundert Aufsehen erregte. Das Werk thematisiert die menschliche Suche nach Identität und die Grausamkeit der Gesellschaft. Wassermann schrieb dazu: „Das Geheimnis des Menschen ist unergründlich, und wer es zu ergründen sucht, der wird irre.“

    Sein Roman „Der Fall Maurizius“ ist ein Justizdrama, das sich mit Schuld, Unschuld und der Fragilität der Wahrheit auseinandersetzt. Wassermanns präzise Sprache und seine Fähigkeit, komplexe Handlungsstränge zu verweben, machen dieses Werk zu einem Meisterwerk der deutschen Literatur.

    Wassermann arbeitete akribisch und war bekannt für seine detailreiche Recherche. Er selbst sagte über seinen Schaffensprozess: „Ich schreibe nicht, um zu gefallen, sondern um zu enthüllen.“ Seine Werke sind oft von einem tiefen Humanismus geprägt, der sich gegen Unterdrückung und für die Würde des Einzelnen einsetzt.

    Späte Jahre und Vermächtnis
    In den 1920er und 1930er Jahren sah sich Wassermann zunehmend mit antisemitischen Anfeindungen konfrontiert, die ihn zutiefst verletzten. Er starb am 1. Januar 1934 in Altaussee. Trotz seiner zeitweiligen Popularität geriet sein Werk nach seinem Tod etwas in Vergessenheit, erlebte aber in den letzten Jahrzehnten eine Renaissance.

    Jakob Wassermann bleibt als Autor in Erinnerung, der mit großer sprachlicher Kraft und moralischem Engagement die Abgründe der menschlichen Seele auslotete. Sein Werk ist ein zeitloses Zeugnis für die Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit in einer oft ungerechten Welt.

  • Besuch aus der Vergangenheit | Renate Welsh

    Renate Welsh’s Roman „Besuch aus der Vergangenheit“ (2002) setzt sich mit den langen Schatten der Vergangenheit und den Auswirkungen von Krieg und Verfolgung auf das Leben nachfolgender Generationen auseinander. Das Buch ist ein gutes Beispiel für ihre Fähigkeit, historische Themen mit persönlichen Schicksalen zu verweben und dabei universelle Fragen von Schuld, Erinnerung und Identität zu stellen.

    Inhalt und Themen
    Die Geschichte dreht sich um die junge Protagonistin Anna, die in den 1980er Jahren in Österreich lebt. Annas Leben wird auf den Kopf gestellt, als sie erfährt, dass ihre Familie während der NS-Zeit eine dunkle Vergangenheit hat. Durch die Begegnung mit einer Überlebenden des Holocaust wird Anna mit der Schuld ihrer Vorfahren konfrontiert. Sie beginnt, die familiären Geheimnisse zu erforschen, und muss sich dabei mit ihrer eigenen Identität und Verantwortung auseinandersetzen.

    Welsh zeichnet ein sensibles Porträt der Nachkriegsgeneration, die sich mit der moralischen Last der Vergangenheit auseinandersetzen muss. „Die Vergangenheit ist nie tot. Sie ist nicht einmal vergangen“, lässt sie eine Figur sagen – ein Zitat, das die zentrale Botschaft des Romans zusammenfasst.

    Stil und Erzählweise
    Wie in vielen ihrer Werke verbindet Welsh auch hier eine klare, präzise Sprache mit emotionaler Tiefe. Sie erzählt die Geschichte aus Annas Perspektive, wodurch die Leser:innen unmittelbar in deren innere Konflikte und Zweifel eintauchen können. Welsh gelingt es, die historischen Ereignisse nicht als abstrakte Fakten, sondern als lebendige, schmerzhafte Erinnerungen darzustellen, die das Heute beeinflussen.

    Rezeption und Bedeutung
    „Besuch aus der Vergangenheit“ wurde für seine einfühlsame und doch schonungslose Darstellung der NS-Vergangenheit und deren Nachwirkungen gelobt. Das Buch regt dazu an, über die Bedeutung von Erinnerung und die Verantwortung der nachfolgenden Generationen nachzudenken. Es ist ein Appell, sich der Geschichte zu stellen und aus ihr zu lernen.

    Renate Welsh selbst sagte über ihre Motivation, solche Geschichten zu schreiben: „Ich möchte, dass die Leser verstehen, dass Geschichte nicht etwas Abstraktes ist, sondern dass sie uns alle betrifft. Jeder von uns trägt ein Stück Vergangenheit in sich.“

    Fazit
    „Besuch aus der Vergangenheit“ ist ein bewegender Roman, der zeigt, wie die Vergangenheit das Heute prägt und wie wichtig es ist, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Renate Welsh gelingt es einmal mehr, ein komplexes Thema mit Empathie und literarischer Kraft zu vermitteln. Das Buch ist nicht nur eine historische Erzählung, sondern auch eine universelle Geschichte über Schuld, Verantwortung und die Suche nach Wahrheit.

  • Renate Welsh

    Porträt der Autorin Renate Welsh: Eine Chronistin der Menschlichkeit

    Renate Welsh, geboren am 22. Dezember 1937 in Wien, zählt zu den bedeutendsten österreichischen Schriftstellerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts. Mit über 100 Werken, die von Kinderbüchern bis zu historischen Romanen reichen, hat sie sich als vielseitige Erzählerin etabliert, die stets die menschlichen Abgründe und gesellschaftlichen Herausforderungen ins Zentrum stellt.

    Biografie und literarische Wurzeln
    Welsh, aufgewachsen im Nachkriegsösterreich, studierte Anglistik und Romanistik, ehe sie sich ganz dem Schreiben widmete. Ihr Debüt „Der Knopf im Karton“ (1969) markierte den Beginn einer Karriere, die von Empathie und sozialkritischem Scharfblick geprägt ist. Früh erkannte sie die Macht der Literatur, als Brücke zwischen Generationen und gesellschaftlichen Schichten zu wirken.

    Werke und Themen: Zwischen Realität und Erinnerung
    Welsh’s Œuvre umfasst sowohl Kinder- und Jugendbücher als auch komplexe Romane für Erwachsene. Ein wiederkehrendes Motiv ist die Auseinandersetzung mit Außenseitertum und historischer Verantwortung:

    • „Johanna“ (1979): Ein historischer Roman über eine junge Frau im 16. Jahrhundert, die als Mann verkleidet ums Überleben kämpft. Welsh zeichnet hier ein präzises Bild von Genderrollen und Armut, basierend auf akribischer Recherche.
    • „Dieda oder Das fremde Kind“ (1982): Erzählt von einem Mädchen mit Behinderung und thematisiert gesellschaftliche Ausgrenzung. Welsh selbst betonte: „Kinder stellen die wirklich wichtigen Fragen. Sie wollen wissen: Warum geschieht das? Und warum ändert man es nicht?“
    • „In die Waagschale geworfen“ (1997): Ein Roman über Widerstand im Nationalsozialismus, der auf wahren Begebenheiten beruht. Welsh’s Fähigkeit, historische Fakten mit emotionalen Schicksalen zu verweben, zeigt sich hier exemplarisch.
    • „Das Vamperl“ (1979): Ein humorvolles Kinderbuch über ein kleines Vampirwesen, das Gutes tut – ein Beweis für ihre Leichtigkeit im Umgang mit jungen Leser:innen.

    Arbeitsweise: Recherche als Fundament
    Welsh’s Schaffen ist von intensiver Recherche geprägt. Für „Johanna“ reiste sie an historische Schauplätze und studierte Originaldokumente, um Authentizität zu gewährleisten. „Man muss die Vergangenheit atmen können, um sie lebendig zu erzählen“, erklärte sie einmal. Ihre Prosa verbindet präzise Sprache mit psychologischer Tiefe, wobei sie Tabuthemen wie Krankheit oder soziale Ungerechtigkeit ohne Beschönigung darstellt.

    Anerkennung und Vermächtnis
    Ihr Engagement wurde mit Preisen wie dem Österreichischen Staatspreis für Kinder- und Jugendliteratur (1980) und dem Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz (2009) gewürdigt. Welsh verstand Literatur stets als Spiegel der Gesellschaft: „Bücher sollen nicht nur unterhalten. Sie müssen auch Fragen stellen, die man sonst wegdrückt.“

    Fazit
    Renate Welsh bleibt eine literarische Stimme der Menschlichkeit, die Generationen von Leser:innen berührt hat. Ob in kindlichen Fantasiewelten oder düsteren historischen Epochen – ihr Werk fordert auf, hinzuschauen und zu handeln. Wie sie es selbst formulierte: „Geschichten sind wie Fenster. Sie öffnen den Blick für das, was hinter der Oberfläche liegt.“*

  • Jakob Wassermann – Ein Porträt

    Jakob Wassermann (1873–1934) war einer der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er war ein literarischer Chronist der inneren Zerrissenheit, der jüdischen Identitätsproblematik und der gesellschaftlichen Missstände seiner Zeit. Sein umfangreiches Werk, bestehend aus Romanen, Novellen, Essays und Biografien, spiegelt die Konflikte zwischen Individuum und Gesellschaft wider.

    Frühe Jahre und literarischer Aufstieg

    Jakob Wassermann wurde am 10. März 1873 in Fürth geboren. Er wuchs in einer jüdischen Kaufmannsfamilie auf, erlebte jedoch eine schwierige Kindheit, da seine Mutter früh starb und sein Vater erneut heiratete. Wassermanns jüdische Herkunft und die damit verbundene gesellschaftliche Ausgrenzung prägten seine gesamte schriftstellerische Laufbahn.

    Schon früh zeigte sich seine literarische Begabung. Nach einer abgebrochenen kaufmännischen Lehre in Wien entschied er sich für die Schriftstellerei. Ab 1896 arbeitete er als Redakteur und Feuilletonist für die Zeitschrift „Simplicissimus“, was seinen literarischen Ruf festigte. Wassermann wurde bald in das Münchner Künstler- und Literatenmilieu aufgenommen, wo er unter anderem mit Thomas Mann und Rainer Maria Rilke in Kontakt stand.

    Werke und literarischer Stil

    Sein erster großer Erfolg war der Roman „Die Juden von Zirndorf“ (1897), in dem er sich mit dem Schicksal der jüdischen Bevölkerung in Franken auseinandersetzte. In den folgenden Jahren etablierte er sich mit Romanen wie „Caspar Hauser oder die Trägheit des Herzens“ (1908), einer psychologisch tiefgehenden Auseinandersetzung mit dem berühmten Findlingskind, und „Christian Wahnschaffe“ (1919), einem Gesellschaftsroman, der Wassermanns Auseinandersetzung mit sozialen und moralischen Fragen verdeutlicht.

    Eines seiner bekanntesten Werke ist „Der Fall Maurizius“ (1928), der den Beginn einer Trilogie bildet. Hier zeigt Wassermann seine Meisterschaft im Justizroman: Er thematisiert das Versagen der Justiz und den Konflikt zwischen Wahrheit und Macht. Der Roman war ein großer Erfolg und wurde von Zeitgenossen hochgelobt. „Mein Leben, ein einziger Kampf gegen Vorurteile, Missgunst, Widerstände“, schrieb Wassermann über seine eigene Erfahrung, die sich in diesem Werk spiegelt.

    Seine Trilogie wurde mit „Etzel Andergast“ (1931) und „Joseph Kerkhovens dritte Existenz“ (1934) fortgesetzt. Hier setzte er sich intensiv mit Fragen der Moral, Gerechtigkeit und Identität auseinander. Besonders der dritte Band spiegelt seinen zunehmenden Pessimismus wider, der durch seinen persönlichen und gesellschaftlichen Niedergang bedingt war.

    Neben Romanen schrieb Wassermann auch Biografien, unter anderem über Christoph Columbus und den französischen Schriftsteller Honore de Balzac. Seine Novellen und Essays zeigen ihn als scharfsinnigen Beobachter der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse seiner Zeit.

    Ehe und privates Leben

    Wassermann war zweimal verheiratet. Seine erste Ehe mit Julie Speyer war unglücklich und wurde von Konflikten überschattet. Sie war eine Verbindung, die ihm wenig Freude brachte, was er in seinem autobiografischen Werk „Mein Weg als Deutscher und Jude“ (1921) andeutete. In seiner zweiten Ehe mit Marta Karlweis fand er eine tiefere intellektuelle Partnerschaft, doch auch diese Beziehung war nicht frei von Spannungen.

    Sein Leben war von zahlreichen persönlichen Enttäuschungen geprägt. Trotz seines literarischen Erfolgs fühlte sich Wassermann oft isoliert, nicht zuletzt wegen der antisemitischen Anfeindungen, die ihn als jüdischen Autor trafen. In einem seiner Briefe schrieb er resigniert: „Ich bin immer ein Fremder gewesen, wohin ich auch ging.“

    Späte Jahre und Tod

    Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurde Wassermann als jüdischer Autor zunehmend ausgegrenzt. Seine Werke wurden in Deutschland nicht mehr veröffentlicht, seine finanzielle Lage verschlechterte sich drastisch. Er starb am 1. Januar 1934 in Altaussee, Österreich, an den Folgen eines Schlaganfalls.

    Jakob Wassermann hinterließ ein reiches literarisches Erbe, das bis heute gelesen und geschätzt wird. Seine Romane und Essays zeugen von einem unermüdlichen Ringen um Wahrheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit – Themen, die auch in der Gegenwart von großer Relevanz sind.

    Mein Buchbestand

  • Vladimir Volkoff – Leutnant X

    Vladimir Volkoff (1932–2005) war ein vielschichtiger Schriftsteller: Als Sohn weißrussischer Emigranten in Paris geboren, sprach er fließend Russisch, Französisch und Englisch. Nach einem Philosophiestudium diente er als Offizier im Algerienkrieg und arbeitete später für den französischen Geheimdienst. Diese Erfahrungen prägten seine realistischen Darstellungen von Spionage und Militärstrategien.

    Unter Lieutenant X schrieb er bewusst für ein jugendliches Publikum, während er unter eigenem Namen politisch ambitionierte Romane veröffentlichte (z. B. Le Montage, eine Abrechnung mit sowjetischer Propaganda). Langelot entstand als Gegenentwurf zu seriösen Spionagethrillern – leicht, humorvoll, aber dennoch mit moralischem Unterton. Volkoff betonte stets, dass er junge Leser:innen unterhalten, aber auch zum kritischen Denken anregen wollte.

    Volkoffs politische Haltung
    Als überzeugter Antikommunist flossen seine Abneigung gegen totalitäre Systeme und seine Skepsis gegenüber Technokratie in die Bücher ein. Dennoch vermied er plumpen Schwarz-Weiß-Moralismus; selbst Gegner wie der fiktive KGB-Rivale KROK wurden mit ambivalenten Zügen versehen.

    Zitat Volkoff:
    „Ein Spion ist kein Held, sondern ein Werkzeug. Aber er kann entscheiden, wofür er sich einsetzt.“


    Im Buchbestand

  • Wolfgang Mattheuer: Maler und Illustrator zwischen Symbol und Gesellschaft

    ..der Beitrag wird aktuell überarbeitet…

  • Paula Bossio: Visuelle Erzählungen

    Paula Bossio, eine renommierte Illustratorin und Geschichtenerzählerin aus Kolumbien, hat sich international als Meisterin der visuellen Narration einen Namen gemacht. Ihre Arbeiten, die oft in Kinderbüchern und experimentellen Projekten zu finden sind, zeichnen sich durch poetische Bildsprache, verspielte Fantasie und eine tiefe emotionale Resonanz aus. Bossios Fähigkeit, komplexe Geschichten ohne Worte zu vermitteln, macht sie nicht nur zu einer gefeierten Künstlerin, sondern auch zu einer inspirierenden Lehrperson – eine Erfahrung, die ich persönlich in ihren Kursen „Erzähltechniken für illustrierte Geschichten“ und „Bilderbücher ohne Text: Erzähle eine Geschichte ohne Worte“ gesammelt habe.

    Arbeitsweise: Zwischen Skizze und Symbol
    Bossios Schaffensprozess beginnt oft mit dem Spiel zwischen Linie und Idee. In ihren Kursen betont sie die Bedeutung des „visuellen Experimentierens“: „Eine Geschichte entsteht manchmal aus einem einzigen Strich, der sich in eine Figur, ein Gefühl oder ein Rätsel verwandelt“, so Bossio. Sie arbeitet häufig mit traditionellen Medien wie Aquarell, Buntstiften oder Collagen, kombiniert diese aber auch digital, um atmosphärische Tiefe zu schaffen. Ihr bekanntes Werk „The Line“ („La Línea“), ein wordless Picture Book, zeigt beispielhaft, wie sie durch dynamische Kompositionen und symbolträchtige Elemente – wie eine sich wandelnde Linie – universelle Themen wie Verbundenheit und Kreativität erforscht.

    Lehren ohne Worte: Der Blick hinter die Kulissen
    In ihren Kursen vermittelt Bossio, dass Bilder eine eigene Grammatik besitzen. Im Seminar „Bilderbücher ohne Text“ lernten wir, wie Perspektivenwechsel, Farbverläufe und wiederkehrende Motive Handlungsstränge ersetzen können. „Jedes Detail ist ein Wort“, erklärt sie. „Die Art, wie eine Figur den Kopf neigt oder ein Schatten länger wird, kann eine Wende in der Geschichte einläuten.“ Ein zentrales Zitat von ihr prägte meine Arbeit: „Stille in Bildern ist nicht leer – sie ist gefüllt mit dem, was zwischen den Zeilen des Betrachters passiert.“

    Im Kurs „Erzähltechniken für illustrierte Geschichten“ lag der Fokus auf dem Rhythmus des Erzählens: Wie Panels oder Doppelseiten Spannung erzeugen, wie Blickführungen den Leser durch die Handlung lenken. Bossio ermutigte uns, „mit dem Unerwarteten zu arbeiten – eine Tür, die sich in ein Fenster verwandelt, eine Träne, die zum Fluss wird. So entsteht Magie.“

    Ein Vermächtnis der Inspiration
    Paula Bossios Ansatz geht über Technik hinaus; es ist eine Philosophie des Vertrauens in die Kraft der Bilder. Für sie ist Illustration „ein Dialog zwischen Künstlerin und Betrachterin, bei dem die Leerstellen genauso wichtig sind wie das Gezeigte“. Diese Haltung prägt nicht nur ihre eigenen Werke, sondern auch die Arbeit ihrer Schüler*innen. Die Kurse bei ihr waren eine Einladung, die eigene Kreativität neu zu denken – und zu verstehen, dass Geschichten oft am stärksten sind, wenn sie im Raum zwischen Bild und Imagination entstehen.

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