«Vor mir steht eine Distel. Meine motorischen Nerven empfinden eine zerrissene, sprunghafte Bewegung. Meine Sinne, Tast- und Gesichtssinn, erfassen die scharfe Spitzigkeit ihrer Formbewegung und mein Geist schaut ihr Wesen. Ich erlebe eine Distel.»
Johannes Itten
Johannes Itten (1888–1967) war ein Schweizer Maler, Kunstpädagoge und Farbtheoretiker, der vor allem durch seine Lehre am Bauhaus bekannt wurde. Er entwickelte eine eigene Farbtheorie und eine Methode des künstlerischen Gestaltens, die stark von philosophischen und spirituellen Einflüssen geprägt war, insbesondere von östlichen Lehren und der Mazdaznan-Bewegung.
Das Zitat stammt aus einem seiner Texte zur Wahrnehmung und Gestaltung und verdeutlicht seinen ganzheitlichen Ansatz: Er betrachtete das Erleben eines Gegenstandes nicht nur als physische oder optische Wahrnehmung, sondern als eine umfassende Erfahrung auf mehreren Ebenen – motorisch, sensorisch und geistig.
Die Beschreibung der Distel spiegelt Ittens Idee wider, dass Formen und Bewegungen in der Natur eine innere Dynamik haben, die nicht nur sichtbar, sondern auch fühlbar und gedanklich erfassbar ist. Seine Methode betonte das subjektive Erleben eines Objekts, um dessen Wesen zu erfassen – ein Ansatz, der in seiner Lehre großen Einfluss auf die Künstlerausbildung hatte.
Dieses Konzept steht in enger Verbindung mit seinen berühmten Farb- und Formstudien, die darauf abzielten, künstlerische Prozesse aus der persönlichen Wahrnehmung heraus zu entwickeln. Seine Schüler am Bauhaus lernten, Formen und Farben intuitiv zu erspüren, bevor sie zu theoretischen oder gestalterischen Prinzipien übergingen.
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