Die wirkliche Welt | Eine Anthologie realistischer Erzähler

55 Erzählungen – sortiert nach Heimatland der Autoren; zudem die Rubrik Jiddisch. Nur eine Erzählerin ist vertreten: Maria Konopnicka aus Polen. Herusgegeben von Hermann Kesten.

Eine Wiederbegegnung: Eine Erzählung des Journalisten, Kriegskorrespondenten und Schriftstellers Stephen Crane hat der Herausgeber ausgewählt: Männer im Boot – Angeblich eine Lieblingsgeschichte Joseph Conrads. In meinem ersten Blog „der blaue ritter“ hatte ich 2016 das Gedicht In the desert von Crane veröffentlicht und zu interpretieren versucht. Mit mir bis dahin befreundete christliche Fundamentalisten lasen den Beitrag und brachen den Kontakt mit dem Kommentar ab: Ich sei mit dem Teufel im Bunde, wenn ich mich solch Gedichten widme. Das sei für eine Freundschaft untragbar.

Hermann Kesten über das Zusammenstellen einer Anthologie:

„Meist denke ich, die individuelle Person eines Schriftstellers sei wichtiger als die ganzen literarischen Tendenzen einer Epoche. Wenn ich eine Anthologie mache, denke ich natürlich anders. Der Zeitgeschmack, sage ich da, gewisse gemeinsame literarische Tendenzen oder Meinungen, die Weltanschauung, machen Fremde und Antagonisten zu typischen Zeitgenossen der Kunstvettern. Darum muss man nur Büchner und Wedekind in einem Buch vereinen oder Gotthelf und Mark Twain, Flaubert und Kierkegaard, Jaroslav Hašek und Scholem-Alachem, Thomas Mann und Unamono, Pirandello und Heinrich Mann, Henry James und Arthur Schnitzler und sie bilden eine Geheimloge, sie sehn aus wie von der gleichen Familie, Hebbel und Tschechow, Stendal und Strindberg, Giovanni Verga und Herman Melville. Ist das wahr?
Man braucht ja nur die Geschichten in diesem Buch zu lesen um die Antworten zu bekommen . Was mich betrifft, so ist mir jeder Grund recht, gute Geschichten neu zu drucken, für große Autoren Tausende neue Leser zu finden, insbesondere für Geschichten, die mich entzücken und für Autoren die ich neidlos bewundere. Wenn ich sie schon nicht übertreffen kann wenn ich es ihnen nicht wenigstens gleich tun kann, so will ich sie sammeln und selber wieder und wieder lesen, unter dem Vorwand, ihnen neue Leser zu gewinnen.
Bei einer solchen Anthologie ist nichts definitiv, nichts notwendig, aber auch nichts überflüssig. Wie ich mich mit jeder Geschichte freue, die ich in meinem Netz heimführe, so schmerzen mich hundert Geschichten, die ich nicht mitnehmen konnte, angefangen mit dem Billy Budd von Hermann Melville, einer leider viel zu langen Geschichte für eine so umfangreiche Anthologie. Es gibt mehr gute Geschichten, als die meisten Anthologisten wissen und die meisten Leser glauben.
Ich sehe kein Ende der guten Geschichten, nicht einmal der guten Geschichten der Realisten. Träumen wir also noch möglichst lange, dass die Wirklichkeit kein Traum sei, und hoffen wir, dass eines Tages die Vernunft der Realisten recht behalte, wenigstens einen Tag lang.“ – Aus der Einleitung.


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