Joe Brainards Ich erinnere mich ist ein literarisches Kaleidoskop aus Erinnerungen, das 1970 in den USA erschien und 2011 erstmals auf Deutsch veröffentlicht wurde. Das Buch besteht aus über 1.000 kurzen, assoziativen Notizen, die alle mit den Worten „Ich erinnere mich“ beginnen. Brainard, ein vielseitiger Künstler der New Yorker Avantgarde-Szene, schuf damit ein Werk zwischen Tagebuch, Poesie und Collage – eine Hommage an das Alltägliche und die Macht der Erinnerung.
Joe Brainard (1942–1994) war Maler, Collagekünstler und Schriftsteller, eng verbunden mit der New York School um Dichter wie Frank O’Hara und Ron Padgett. Sein künstlerischer Ansatz prägt auch Ich erinnere mich: spielerisch, unprätentiös und voller Sinn für das Absurde. Das Buch gilt heute als Kultwerk, das Autobiografisches mit kollektiven Erinnerungen der US-amerikanischen Nachkriegsgeneration verwebt.
Jeder Eintrag beginnt mit „Ich erinnere mich“, gefolgt von einer Beobachtung, einer Kindheitserinnerung oder einer popkulturellen Referenz. Die Fragmente sind mal komisch, mal melancholisch, oft überraschend konkret:
„Ich erinnere mich, wie sehr ich es mochte, Weihnachtsdekorationen im Regen zu sehen.“
„Ich erinnere mich, dass ich dachte, wenn man ‚Gott sei Dank‘ sagte, meinte man eigentlich ‚Dockside‘.“
Die scheinbar willkürliche Abfolge – von Trivialem („Ich erinnere mich an Kaugummis, die nach Zahnpasta schmeckten“) bis zu Intimem („Ich erinnere mich, wie ich zum ersten Mal einen Jungen küsste und dachte: So also fühlt sich ein Kinn an“) – schafft ein universelles Porträt des Erwachsenwerdens in den 1950er/60er Jahren.
Brainards Erinnerungen oszillieren zwischen Nostalgie und Scharfblick. Er thematisiert Identität, Sexualität und die Suche nach Zugehörigkeit, ohne je pathetisch zu werden. Seine Kunst liegt im scheinbar Belanglosen:
„Ich erinnere mich an die Zeit, als alle ‚Twist‘ tanzten. Und ich erinnere mich, dass ich nicht wusste, wie.“
Das Buch inspiriert Leser*innen, eigene Erinnerungen wachzurufen – ein kollektives Spiel mit dem Gedächtnis. Paul Auster schrieb im Vorwort der englischen Ausgabe: „Brainard verwandelt das Persönliche in etwas Allgemeingültiges, ohne es seines Zaubers zu berauben.“
Zitate (deutsche Ausgabe)
- „Ich erinnere mich an die Angst vor dem Weltraum, nachdem ich Die Körperfresser kommen gesehen hatte.“
- „Ich erinnere mich, dass ich dachte, nur Frauen könnten Selbstmord begehen, weil Männer zu stolz wären.“
- „Ich erinnere mich an den Geruch von Nagellackentferner und daran, wie er mich an Krankenhäuser erinnerte.“
Ich erinnere mich ist ein Buch für alle, die das Vergängliche feiern möchten. Brainards minimalistischer Stil und sein Blick für das Skurrile im Alltag machen es zeitlos. Die deutsche Übersetzung von 2011 überträgt seine unverwechselbare Stimme einfühlsam ins Deutsche und lädt dazu ein, die eigenen „Ich erinnere mich“-Momente zu entdecken.Für wen? Liebhaber*innen experimenteller Literatur, Fans von Georges Perecs Je me souviens oder alle, die beim Lesen lachen, schaudern und plötzlich selbst in Erinnerungen schwelgen.
„Ich erinnere mich, dass ich dieses Buch liebe, weil es mich daran erinnert, wer ich bin.“ – Ein Leser, irgendwo.
Foto im Beitrag: Joe Brainard – I remember. Pressefoto Penguin Books cropped by Wren de Antonio – Quelle: en.wikipedia