Keiner meiner Tage läuft ab. […] lasse ich Strukturen einfach ineinander verlaufen. Schaue ihnen zu, wie einem Aquarell, welches seinen Goldenen Schnitt selbst formt. Jane Wels beschreibt ihr Leben nach dem Ende ihrer therapeutischen Praxis als bewusste Entscheidung für das Fließende, das Unstrukturierte. 1955 in Mannheim geboren, lebt und schreibt die Lyrikerin heute im Nordschwarzwald und gewährt in einem aktuellen Interview Einblick in ihren Weg zur späten literarischen Berufung.
Jane Wels‘ Biografie liest sich wie eine Erkundungsreise durch verschiedene Schaffensbereiche. Nach einer Ausbildung zur Grafischen Zeichnerin und Werbefachfrau arbeitete sie als Art-Buyerin, FFF-Producerin und Studio-Managerin in Werbeagenturen, Ton- und Fotostudios. Später gründete sie die erste Casting-Agentur in NRW.
Eine grundlegende Wendung brachte ihr Magister-Studium der Erwachsenenpädagogik, Entwicklungspsychologie und Medienwissenschaften sowie die Ausbildung zur Sozialtherapeutin und Sexualpädagogin. Sie leitete eine Konfliktberatungsstelle für Schwangere und ihre Familien und arbeitete zuletzt in freier Praxis als Heilpraktikerin für Psychotherapie mit Schwerpunkt Sexualberatung. Ihr ehrenamtliches Engagement bei der Telefonseelsorge und in der Sterbebegleitung prägte diese Zeit.
Das literarische Spätdebüt
Bereits 1989 begann Jane Wels damit, experimentelle Texte zu schreiben, die jedoch nur einem engen Kreis von Künstlerfreund:Innen zugänglich blieben. Während ihrer Berufsjahre schrieb sie überwiegend Fachtexte. Erst 2024 erschien daher ihr Debütband „Schwankende Lupinen“ in der eof, edition offenes feld, herausgegeben von Jürgen Brôcan. Ein zweiter Band erscheint 2025 ebendort.
Die Schutzumschläge beider Bände gestaltete die Malerin, Dichterin und Herausgeberin Johanna Hansen als eigenständige Kunstwerke. Dieses Zusammenwirken der Künste bezeichnet Wels als „Glücksfall“.
Leben in offenen Strukturen
Seit ihrem Ausstieg aus der Praxis hat sich Wels‘ Tagesablauf grundlegend gewandelt: „Keiner meiner Tage läuft ab. […] lasse ich Strukturen einfach ineinander verlaufen. Schaue ihnen zu, wie einem Aquarell, welches seinen Goldenen Schnitt selbst formt.“
Ihre lyrische Arbeit besteht aus „vielen Farben und Schattierungen, aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, aus Eigenem und noch mehr Fremden.“ Im Zentrum steht die „dichterische Annäherung an das Unbekannte“, ein Vorgang, der „den ganzen Mut“ braucht. Zu ihrer Arbeit zählt sie Lesen, Denken, Kritzeln, Träumen und künstlerischen Austausch gleichermaßen.
Gesellschaftskritik und literarische Mission
Mit knapp siebzig Jahren zeigt Wels eine veränderte Perspektive: „Früher wäre ich sicher vollmundiger gewesen.“ Dennoch formuliert sie klare Positionen. Sie wünscht sich „mehr Solidarität statt Konkurrenz und verstärkten Einsatz gegen den Ausschluss marginalisierter Gruppen“ – wozu sie ausdrücklich „gealterte Autor:Innen“ zählt.
Als „gealterte“ Autorin ohne literaturwissenschaftlichen Hintergrund musste sie „eine Menge Ressentiments überwinden.“ Die Zusammenarbeit mit Herausgeber Jürgen Brôcan, der sich „rein am Text orientiert,“ war dafür entscheidend.
Die Aufgabe der Kunst sieht sie darin, „Oberflächenbetrachtungen aufzurauen, um Bewegung zu ermöglichen, die weiterführt.“ Ihr kraftvoller Appell lautet: „Packt euer Stück Leben am Schopf! Es gehört euch.“
Aktuelle Projekte und Inspirationen
Wels arbeitet an einem „fragmentarischen Text, der sich keiner literarischen Form fügen mag. Er ist ein bisschen, wie ich.“
Ihre aktuelle Lektüre ist Johann Königs „Der Blinde Galerist“, aus dem sie zitiert: „Die Bilder, die im Kopf entstehen, sind genauso wichtig, wie die Bilder an der Wand.“ Das Buch motivierte sie vor ihrem Debüt zum Schreiben.
Ein Beispiel für ihren lyrischen Stil (aus besagtem Interview):
„Dieser Morgen fühlt, / fühlt sich an, / wie ein Kind. / Die Welt fliegt, / fliegt hoch, / streut sich aus, / wie ein Vogelschwarm im Bauch.“
Bisher hat Jane Wels folgende Lyrikbände veröffentlicht:

Jane Wels:
Schwankende Lupinen
Hardcover mit SU, 80 S., 19,00 €
ISBN 9783759721150
edition offenes feld, Dortmund 2024

Jane Wels:
Das Es reiten
Mit einem Grußwort von José F.A. Oliver
Hardcover mit SU, 92 S., 19,00 €
ISBN 9783842384149
edition offenes feld, Dortmund 2025
Quellen:
Die Website der Autorin
Ihr instagram-Profil
Interview mit Walter Pobaschnig (Literatur outdoors)
Gedicht „Und doch“, veröffentlicht im Signaturen-Magazin: signaturen-magazin.de
Rezensionen und Besprechungen zu Schwankende Lupinen: Planet Lyrik, Radieschen.at
Auszug „Sandrine“ im Literaturblatt: literaturblatt.ch, WORTSCHAU #43
Jane Wels ist Mitglied im Netzwerk Lyrik, in der Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik e.V. (GZL) und im Verband deutscher Schriftstellerinnen Baden-Württemberg.
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