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  • Das Virus sucht sich seine Autoren

    Das Virus sucht sich seine Autoren

    Ob Cholera, Pest oder aktuell Corona – wer, wenn nicht die Literatur ist dazu befähigt, das Thema Epidemie zu reflektieren, zu deuten, aufzuarbeiten? Sie kann die LeserInnen vermeintlich ferne Ereignisse nachvollziehen lassen in dem sie andere Perspektiven einnimmt – zum Erkenntnisgewinn und zur Warnung.

    Die literarische Aufarbeitung von Epidemien hat eine lange Tradition. Es gibt zahlreiche Bücher, die sich vielschichtig mit Massenerkrankungen und ihren Auswirkungen befassen. In diesem Monat sind dazu gleich zwei Bücher erschienen.

    Während die Schriftstellerin Juli Zeh den ersten Lockdown und seine Folgen in die Handlung ihres neuen Romans „Über Menschen“ einfließen lässt, hat die Journalistin Carolin Emcke den Essayband „Journal“ herausgegeben. Hierin sind ihre täglichen Notate ausgearbeitet, die sie zuerst für die Süddeutsche Zeitung verfasst hatte.

    In einem Interview mit ihrem Verlag Luchterhand erklärt Juli Zeh, ihre Motivation den Zeitgeist einfließen zu lassen. „Bei „Über Menschen“ ist das noch intensiver geworden. Ich hatte die erste Fassung des Romans schon geschrieben, als sich die Pandemie über die Welt auszubreiten begann. Für mich war es ausgeschlossen, an dem Text weiterzuarbeiten, ohne darauf zu reagieren. Deshalb habe ich den Roman ein zweites Mal von Neuem geschrieben und die aktuellen Ereignisse mit einfließen lassen. Das war einerseits ein Wagnis, so nah an den täglichen Entwicklungen zu schreiben, andererseits war es aber auch spannend und für mich eine Möglichkeit, Dinge zu verarbeiten, die für uns alle schwer und belastend sind.“ Juli Zeh ist bekannt dafür, aktuelles Zeitgeschehen in ihre Romane einzubinden, wie auch hier geschehen. Auch wenn der erste Lockdown lediglich einer der Erzählstränge in ihrem Roman ist, so hat er doch bedeutende Auswirkungen auf den Verlauf der Geschichte. Die in Berlin lebende Hauptprotagonistin Dora, trennt sich von ihrem Freund. Sie flüchtet quasi vor ihm aufs Land, weil er, von Pandemie-Panik befallen, ihr Leben mit Einschränkungen manipulieren will. Allerdings entpuppt sich das vermeintlich sichere Leben auf dem Land als Utopie, den dort trifft Dora ebenfalls auf Probleme, nur andere.

    Carolin Emcke hat für ihre Auseinandersetzung mit der Pandemie die Form eines essayistischen Journals gewählt. Ihre Eintragungen beginnen im März 2020 und sind teils sehr privat. Sie schildert in ihrem Buch die Auswirkungen, die Corona auf ihr persönliches Leben hat, überprüft welche Positionen sie als politisch denkender Mensch einnimmt und wechselt dann die Perspektive hin zur Reflexion allgemeiner gesellschaftlicher Auswirkungen. Ihr Fokus liegt dabei auf einem konstruktiven Umgang mit der Pandemie. In einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk sagt sie: „Wir werden später wissen, wie wir uns geirrt haben. Ein Journal wie dieses wird auch ein Journal der Fehleinschätzungen sein.“

    „Zu früheren Epidemien wie die Pest und Cholera haben vornehmlich Chronisten zeitnah über diese Seuchen geschrieben. Erst im Nachhinein entstanden aufarbeitende belletristische Werke. Das scheint sich nun zu verändern“, sagt die Literaturwissenschaftlerin Marie Fischer von der Leuphana Universität in Lüneburg. Durch jederzeit verfügbare Informationen, wie im Internet, hätten AutorInnen leichteren und einen umfassenden Zugriff und könnten so schneller in die beschreibende Aufarbeitung einsteigen.

    Wie dies aussehen kann zeigt sich in weiteren Veröffentlichungen zu Corona:

    Den Anfang machte vermutlich die Chinesin Fang Fang mit ihrem Roman Wuhan Diary, der bisher nur im westlichen Ausland erscheinen konnte. Hier setzt sie sich ausführlich mit der Propaganda des totalitären Chinas auseinander. Dagegen hat die Autorin Lola Randl mit „Die Krone der Schöpfung“einen sogenannten Dorfroman geschrieben, in dem sie das vermeintlich sichere Leben auf dem Land aufs Korn nimmt.

    Zadie Smith hat einen Essayband herausgegeben. „Betrachtungen. Corona-Essays“ sind während des ersten Lockdowns entstanden. Darin beschäftigt sie sich mit Fragen wie „Was bedeutet es, sich in eine neue Realität zu fügen – oder sich ihr zu widersetzen?“ Ein Aspekt, der aktuell viele Menschen durch die wiederholten Lockdowns umtreibt.

    Es sind weitere Romane und Erzählungen erschienen; auch die Lyrik setzt sich mit dem Thema auseinander. So manch einer befürchtet bereits eine Flut an Corona-Literatur.

  • Ein rotes Kreuz, das sein Schicksal besiegelt.

    Ein rotes Kreuz, das sein Schicksal besiegelt.

    Sasha Filipenko | Rote Kreuze. Ein Roman

    Ich mag selten Sachbücher. Lieber ist es mir, Wissen aus Romanen zu sammeln. Da geschieht meist eher unbewusst, leicht und nachhaltiger, weil ich für dieses dann eine Verknüpfung habe.

    Wie viel man für sich mitnehmen kann, hängt vom Lesestoff ab. Das Buch, welches ich hier vorstelle, ist ein da ein wahres Füllhorn. Auch wenn man bei diversen Begebenheiten lieber weggeschaut hätte. (Im Fall des Sachbuchs hätte dies bedeutet, es vermutlich gar nicht gelesen zu haben.)

    Die Handlung ist, oberflächlich betrachtet, recht einfach; inhaltlich tun sich Abgründe auf. Einer nach dem anderen.

    Sascha, alleinerziehender Vater, zieht mit seiner drei Monate alten Tochter in eine Wohnung. In Minsk. Er hat einen schweren Verlust erlitten, musste schwere Entscheidungen treffen und hofft auf bessere Zeiten. Seine einzige Nachbarin ist die 91-jährige Tatjana Alexejewna. Sie hat Alzheimer und Saschas Tür mit einem roten Kreuz bemalt. Darüber verärgert, kommen Sascha und Tatjana ins Gespräch und lernen sich Seite um Seite kennen.

    „Ich glaube, Pascha hat seine Festnahme vorausgeahnt. Geburtsort? Genua. Alles klar. Ein rotes Kreuz, das sein Schicksal besiegelt.

    Buchzitat

    Die alte Dame ist überzeugt davon, dass Gott ihr Alzheimer geschickt hat, weil er Angst vor ihr habe und davor, dass sie mit intakter Erinnerung vor ihn tritt und Rechenschaft verlange. – Ganz nebenbei: das ist ein interessanter Gedanke, von Gott Erklärungen zu verlangen. Auch zwischendurch im Leben; dafür sollte man nicht tot sein müssen.

    „Wir sehen uns jeden Tag, und jedes unserer Gespräche fördert neue Leerstellen zutage. Wegradierte Erinnerung, zerschnittenes Schicksal.“

    Buchzitat

    Nun möchte Tatjana ihrem neuen Nachbarn ihre Lebensgeschichte erzählen, bevor alles verschwindet. Sascha findet dies zuerst lästig, er hat genug mit sich selbst zu tun, und möchte im Gegensatz zu ihr vergessen. Wort für Wort wird er dann aber in in den Bann ihrer Erzählungen gezogen, denn der zeitgeschichtliche Bogen spannt sich über das 20. Jahrhundert der Sowjetunion bis ins heutige Russland, inklusive aller Schrecken.

    Ein Kernthema dieses Romans ist die Rote Armee, die auf Stalins Befehl hin, jeden Soldaten der in Gefangenschaft geriet, zum Volksfeind erklärte und dementsprechend abstrafte. Und um den Druck auf die Soldaten zu erhöhen, wurde die Sippenhaft eingeführt.

    Tatjana Alexejewna ist die Frau eines solchen Feindes. Man trennt sie von ihrer Tochter und kommt selbst für Jahrzehnte ins Arbeitslager.

    „Außerdem, hat man uns erklärt, kann ein tapferer Soldat gar nicht in Kriegsgefangenheit geraten. Wenn sich ein Krieger ergibt, dann ist er ein Feigling. Ironischerweise habe ich das am häufigsten aus dem Mund von Männern gehört, die zu Hause in Moskau geblieben waren. Der sowjetische Soldat muss kämpfen bis zum letzten Tropfen Blut. Punkt. Und Absatz.“

    Buchzitat

    Rote Kreuze basiert auf detaillierten Recherchen von Dokumenten, Zeitzeugen und Reden. Sasha Filipenko gelingt es, mich in die Geschichte zu ziehen. Auf nicht einmal 300 Seiten skizziert er die Geschichte dieses Riesenreiches und lässt das Schicksal Tatjanas und ihrer Familie so real erscheinen, das es mich immer wieder schaudert. Ein aufrüttelndes Buch; für mich insbesondere deshalb, weil ich mich derzeit intensiv mit der Erinnerungskultur des Holocausts anhand konkreter Familienschicksale beschäftige. Es zeigt mir wieder, wie wichtig es ist, den verbliebenen Zeitzeugen zuzuhören, ihre Erfahrungen festzuhalten und weiterzugeben.

    Was ich noch anmerken möchte: Sasha Filipenko schildert sehr feinfühlig und in der Tradition russischer Geschichtenerzähler Tatjanas bewegtes Leben. Er zeigt uns, was am Ende wichtig ist: Zuneigung, Mitgefühl, Dankbarkeit. Diese Art der Ansprache und die farbigen Zwischentöne fand ich beim Lesen immer wieder tröstlich.

    Sasha Filipenko, geboren 1984 in Minsk, ist ein weißrussischer Schriftsteller, der auf Russisch schreibt. Nach einer abgebrochenen klassischen Musikausbildung studierte er Literatur in St. Petersburg und arbeitete als Journalist, Drehbuchautor, Gag-Schreiber für eine Satire-Show und Fernsehmoderator. ›Rote Kreuze‹ ist der erste seiner fünf Romane, der auf Deutsch erscheint. Sasha Filipenko ist leidenschaftlicher Fußballfan und lebt in St. Petersburg.

    Auf meiner persönlichen Website habe ich erste Gedanken zur Erinnerungskultur im Web anhand eines konkreten Projektes aufgeschrieben. webkulturen

  • Sophie lernt zu lieben

    Sophie lernt zu lieben

    Den Mund voll ungesagter Dinge | Anne Freytag

    Die Geschichte ist kurz erzählt: Sophie, 17, kurz vor dem Abitur, lebt bei ihrem Vater. Einem Arzt. Der hat eine neue Lebensgefährtin, die in München lebt. Als ihr Vater im Alleingang beschließt zu dieser zu ziehen, muss Sophie mit. Ihre Mutter hatte sich sehr früh von der Familie verabschiedet. So früh, dass die Tochter sich nicht mehr erinnert. Nun muss Sophie also mit und will nicht. In München zieht sie in ein großes Haus und findet dort neben der Lebensgefährtin Lena auch deren zwei Söhne vor und einen Hund. Der für den Teenager zu einem wichtigen Bezugspunkt wird. Das Einleben fällt Sophie extrem schwer, bis sie in der gleichaltrigen Nachbarin Alex eine Freundin und Liebe findet. Wie sich das für einen anständigen Spannungsbogen gehört, gibt es viel gute Laune, Streit, viele Tränen, Sex, Herzschmerz und etwas, das man als Happy End bezeichnen könnte.

    Für manche mag ein Schwerpunkt des Buches die LBGT-Thematik sein. Wie man an meiner etwas schwurbeligen Formulierung erkennen kann, für mich nicht. Das hat an einigen Stellen bei mir eher für Verwunderung gesorgt. Was ich an Anne Freytags Buch spannend fand, waren die inneren und äußeren Konflikte, und wie die Autorin diese darstellt.

    Die Konflikte, die ich wahrgenommen habe, können in einem Jugendbuch stehen. Aber auch in jedem anderen. Denn die Herausforderungen finden sich in jedem Alter: nicht zu wissen, was man mit seinem Leben (noch) anstellen möchte; dazugehören zu wollen, aber nicht um jeden Preis und doch dazugehören wollen; sich unklar darüber sein, wie man sein Sex- und Liebesleben gestalten möchte; die unterschiedlichen Bedürfnisse in der Familie; zu wissen, was man kann und was nicht; die eigene Sicht auf die Welt im steten Abgleich mit dem, was andere sehen und denken. Und da habe ich mich doch dabei ertappt, dass ich mal Listen anfertigen sollte mit den ungeklärten Dingen, den Lust-Dingen. (Mit Dank an Alex.)

    Als Ü50 dieses Buch zu lesen, war eine interessante Erfahrung. Auf der einen Seite ist das Leben der Protagonisten soweit weg, dass mir oft der Zugang schwer fiel. Mit gleichgeschlechtlicher Liebe habe ich mich bisher nur insofern auseinander gesetzt, dass ich mal von einem Mann geküsst wurde. Es gefiel mir nicht. Ansonsten hat es mich einfach nicht interessiert, da es in meinen Augen Privatsache und mir im Grunde auch egal ist, wie andere lieben. Jede(r) wie er, sie, es mag. Von daher war die Frage von Sophie, ob sie lesbisch sei oder „nur“ Alex liebt , eine Randerscheinung beim Lesen. Um sich eingehender damit beschäftigen zu können, hat Anne Freytag das Thema, bzw. die Problematik für manche, zu wenig ausgearbeitet.

    Was hat mich nun bewogen, dieses Buch lesen? In erster Linie das Sprachgefühl der Autorin. Klare Kante und doch nicht unterkühlt. Eigentlich wollte ich nur durchblättern und bin dann dabei geblieben. Ihre Art zu beschreiben, hat mich mitgezogen. Was mich überrascht hat: Ich bin beim Lesen wenig emotional; gehe, wenn überhaupt, eher im Kopf mit. Hier jedoch bin ich voll dabei gewesen. Mit Wut, Bauchgrummeln. Der Höhepunkt war die Beschreibung einer ungewollten, aber wohl plotnotwendigen, sexuellen Handlung zwischen Sophie und einem Mitschüler. Diese ausführliche „Erklärung“ des eigentlich nicht Wollens aber über sich ergehen Lassens aus x Gründen war mir fast unerträglich. Ich habe mit einigen „jüngeren Leuten“ gesprochen, die meinten, das sei doch normal. Hm, fände ich schade.

    Ich bin da vermutlich zu zart besaitet, oder einfach „raus aus dem normalen Leben“.

    Was ich dabei allerdings interessant fand: Die Wahrnehmung Sophies bezüglich Sex mit einem Mann. Ich fühlte mich vor den Kopf gestoßen ob dieser klischeebehafteten Funktion(sweise) des Mannes. Ein Mann ist nichts anderes als ein Pitstop. So ein Reifenwechsel muss halt sein. Ok, interessante Sichtweise aber nicht meine Welt.

    Wenn ich in social media die vermeintlichen Diskussionen zu LBGT sehe, gehe ich dem aus dem Weg. Mich erschreckt dieser Sexismus auf beiden Seiten, dieses gegenseitige Abwerten. Mir selbst ist klar, dass ich mich dazu positionieren sollte und dass es zum guten Ton gehört, Frau den Anspruch auf die Deutungshoheit nicht streitig zu machen und dies auch öffentlich zu benennen. Nur: Mir ist das zu intim und ich hatte das auch nicht vor. Jeder Mensch soll machen, was er sie es für richtig hält, aber auch andere Meinungen, Lebensentwürfe akzeptieren. Wenn jemand, wegen was auch immer, diskriminiert, ist das großer Mist.

    Warum ich das überhaupt einbringe? Ich habe zahlreiche andere Leseeindrücke in social media gelesen. Manche Leserin hat wohl erwartet, dass dieser Roman eine Art Kampfschrift zu sein hat. Oder eine Art Aufklärungsbuch. Oder vielleicht verstehe ich es nur nicht. In meiner Wahrnehmung ist es „lediglich“ ein gut lesbarer Roman, der einen Lebensentwurf unter vielen beschreibt, der in diesem Fall nicht der meine ist. Der mich in Teilen nachdenklich gemacht hat, weil ich für mich Neues erfahren habe. Und das auf eine mir sympathische Art.

    Für mich alten Sack gilt: Ich habe hier vermutlich mehr gelernt, als in den Hetzschriften und der Polemik mancher Feministin. Und gut unterhalten wurde ich auch. Und nun ist mein Mund nicht mehr voll.

    Anne Freytag | Den Mund voll ungesagter Dinge
    Roman
    Ab 14 Jahren
    Paperback, Klappenbroschur, 400 Seiten
    ISBN: 978-3-453-27103-6
    Erschienen 2017
    € 14,99 [D] inkl. MwSt.

  • Auf Zehenspitzen

    Auf Zehenspitzen

    Auf Zehenspitzen durch die Schmerzen anderer Menschen gehen.

    Mein Körper weiß alles. Ihre Fähigkeit, Gefühle wie Liebe, Schmerz und Reue zu beschreiben, ist einzigartig. Banana Yoshimoto neigt dazu, sehr feinfühlig und schlicht zu wirken, wenn sie Ereignisse und Gefühle enthüllt, als ob sie sich auf Zehenspitzen in das Leben ihrer Figuren schleicht und schweigend beobachten würde. Ihr Tiefgang dabei beeindruckt mich immer wieder.

    Cover | Diogenes Verlag

    „Mein Körper weiß alles“ ist ein eindringlicher Titel, der zum Ausdruck bringt, dass alles, was wir leben, ziemlich viszeral ist und nicht nur mit unserem Geist, sondern auch mit unserer Körperlichkeit verbunden ist. Wenn uns zum Beispiel etwas Trauriges oder Freudvolles widerfährt, spürt unser Körper dies in Gänze, und teilt dies mit uns. Sie kennen das.
    Und so ergeht es auch den Protagonisten der Geschichten, die das Gefühl quälender Schmerzen gemeinsam haben, die sich schließlich als heilsam erweisen werden. Der Schmerz als ein Durchgang, manchmal auch ein Tunnel, durch den man gehen muss, um zu verstehen, was man von seinem Leben erwartet oder auch umgekehrt. Dann: Eine Art Wiedergeburt. Das Erblühen. Wie die Blume, die einen strengen Winter überstanden hat.

    Diesen Szenarien widmet sich Banana Yoshimoto:

    • Der grüne Daumen: Der Verlust eines geliebten Menschen, der einen auf den richtigen Weg zurückführt.
    • Ruderboote: Traumatische Erlebnisse, die sich den Weg zurück an die Oberfläche bahnen. Quälende Erinnerungen, die die Protagonistin dazu bringen, sich ihrer Vergangenheit bewusst zu werden. Hier wird die Bedeutung der Familie, der Identitätsfindung durch Erziehung, unterstrichen.
    • Abendsonne: Eine Liebe, die auszehrt, die man nur schwer loslassen kann, aber im Inneren entwickelt sich ein neues Bewusstsein, für das Sie kämpfen müssen.
    • Der schwarze Schwalbenschwanz: Wenn man es schafft, Schmerz und Traurigkeit zu vertreiben, ergibt sich eine Leichtigkeit, die sich wie eine neue Freiheit anfühlt.
    • Herr Tadokoro: Die Qualität der Güte, des Respekts und der Geduld, die schwer zu finden und zu respektieren sind, wenn sie einer Person innewohnen, die für die Gesellschaft scheinbar nutzlos ist.
    • Mein kleiner Fisch: Diese Angst vor Veränderungen, die Eigenheiten und persönliche Fehler zu akzeptieren, drei Aspekte, die zusammengenommen zu Konflikten führen können. Lassen Sie sich vom Titel nicht täuschen, es handelt sich nicht um eine Geschichte mit Tier in der Hauptrolle.
    • Mumie: Das Makabre und die Vorliebe für das Verbotene vermischen sich zu einem Wirbelsturm der Begierde und des Deliriums zwischen zwei Liebenden.
    • Heiterer Abend: Über die Fähigkeit zu helfen und dankbar zu sein.
    • Die Wahrheit des Herzens: Die Stimme, die uns anleitet, die richtigen Entscheidungen zu treffen. So schmerzhaft sie auch sein mögen.
    • Blumen und Sturm: Der Tod und die Nähe zu denen, die wir lieben.
    • Papas Spezialität: Liebe, Streit und der Geruch von gutem Essen als Grundlage des Familienalltags.
    • The Sound of the Silence: Im Rhythmus dieses alten Liedes umreißt es die Mutter-Tochter- und Schwester-Schwester-Beziehungen.
    • Das rechte Maß: Über die Familienbande, in der gegenseitige Wertschätzung eine tragende Säule ist und Lebenswege bestimmt.

    Ich sehe darin Geschichten über Selbstheilung und den stetigen, intensiven Dialog zwischen Körper, Geist und Seele.

    Das nehme ich mit: Kleine, beständige Gesten. So einfach und scheinbar belanglos sie auch scheinen mögen: wählt man die richtigen aus, können sie eine größere Wirkung entfalten, als dies so manches gesprochene Wort erreichen mag.

    Es ist ein Buch über Frauen für Frauen. Zumindest nehme ich das so wahr. Das ist für mich als lesender Mann ein kleiner Wermutstropfen: ich schaffe es nicht, die Figuren nah genug kommen zu lassen. Und das Abstrahieren schmälert ein wenig meine Lesevergnügen. Dennoch: ich freue mich über die Lektüre.

  • Je crois que c’est assez soi-soi…

    Je crois que c’est assez soi-soi…

    Claude Debussy privat

    Claude Debussy war mit den bescheidensten Mitteln ein großer Lebenskünstler. In seinem Arbeitszimmer mussten Sommer wie Winter Blumen stehen. Er konnte in jener Zeit, da er in der Avenue du Bois de Bologne wohnte, nur unter Blumen arbeiten: ihre Farben und Düfte regten ihn an, er brauchte den Zusammenklang dieser Reize, und der Vers von Baudelaire „Les sons et les parfums tournent dans L’air du soir“ war für ihn kein bloßer Spruch. Nicht grundlos schrieb er ihn unter eines seiner Préludes.

    In Geldsachen und damit zusammenhängenden materiellen Fragen zeitlebens ein Kind, fehlte ihm die Fähigkeit, praktische Erfahrungen zu machen, und Dinge dieser Art glitten an ihm unerlebt vorbei. Ein schlagendes Beispiel dafür bildet seine einzige Zusammenkunft mit Richard Strauß, von der Durand erzählt.  Strauß hatte Durand besucht und nach dem  Muster der französischen “Gema“ 1898 die „Genossenschaft deutscher Tonsetzer“ (mit Rösch und Sommer) gegründet. Strauß schrieb nun eines Tages an Debussy, er komme demnächst  nach Paris, um einige Konzerte zu dirigieren, und habe den lebhaften Wunsch, bei dieser Gelegenheit Debussy kennenzulernen. Durand übernahm die Vermittlung, und obwohl Debussy damals neue Bekanntschaften eher mied als suchte, sagte er  dennoch zu, mit dem Komponisten der „Salome“ zusammenzutreffen. Es kam zu einem intimen Abendessen im Hause Durands, und Strauß, der die erwähnte Genossenschaft eben gegründet hatte und davon noch ganz erfüllt war, sprach darüber mit einem gewissen Stolz zu Debussy. Aber Debussy, dem sogar die Funktionen der französischen Autorengesellschaft ziemlich fremd waren, hörte nur mit halbem Ohr zu und schwieg, während Strauß sprach, und Durand meint, die Zusammenkunft dürfte nicht ganz seinen Erwartungen entsprochen haben.

    Debussy war nur Musiker, nichts als Musiker, und das bezeugt auch seine Schrift. Diese herrlich-schön geführte Handschrift, deren Buchstaben eingezeichnet ins Papier sind wie verkappte Noten: immer glaubt man durch die sauberen Zeilen die fünf Linien durchschimmern, immer Noten in Buchstabenform zu  sehen.

    Wenn er eine Arbeit glücklich beendet hatte, sagte er: “Je crois que c’est assez soi-soi…“, wobei der Ausdruck „soi-soi“ der Kindersprache entlehnt war und so viel bedeutete wie „soigne“, soigniert,  sorgfältig gemacht. Oder er sagte, wenn er jemanden tadeln wollte: „Mas is est fou“ statt: „mais i lest fou“. Er zog das I ins a hinein, wodurch der Ausdruck mehr Energie bekam und der Satz so viel bedeutete wie: „Er ist ein ganzer Narr.“ Er sagte dies auch in Gegenwart der so bezeichneten Person, blickte dabei zum Himmel auf, als wollte er ihn zum Zeugen anrufen. „Nichts amüsanter“, erzählt sein Freund René Peter, „als diesen immer soignierten und tiefen Künstler solche Kinderhaftigkeiten aussprechen zu hören, die seinen Lippen manchmal mit einem diabolischen Nebenklang entfielen.“ Er entspannte sich aber damit nach ungeheuren Anspannungen, und war er imstande, eine Partitur mit dem Selbstlob: „soi-soi“ … wegzulegen, so verbarg sih hinter dem „bav-bav!“ (statt brav, brav) eine echte, kindhafte Schamhaftigkeit.

    Er liebte auch Kinderbücher über alles. So unter anderem Andersens Märchen, die sein Gehirn wieder „reinfegten“. Er liebte von französischen Dichtern, außer Baudelaire und Verlaine, vor allem Balzac. Seine Herzensneigung gehörte Dickens. Er wurde nicht müde, Charles Dickens zu lesen, der ihm als unfehlbares Gegengift gegen alle Gifte des Lebens galt. Er schwärmte für  Herrn  Pickwick, für Sam Weller, Herrn Micawber, für Bell, Dora, Agnes, für den kleinen David Copperfield, er stellte Dickens hoch über Thackeray und ärgerte sich über gewisse Engländer, die nicht gleich ihm von ihrem nationalen Dichter entzückt waren. Er verkannte dabei nicht gewisse Schwächen seines Lieblingsautors, darunter die flutende Breite, die ins Zusammenhanglose führte, das „Dècousu“ der Komposition: aber es hinderte ihn nicht, den Roman „Der Antiquitätenladen“ für ein Meisterwerk zu halten. Die Szene, wo der vom Spiel ruinierte alte Händler mit seiner Enkelin Nelly nach dem Dorf zieht, in dem Nelly geboren war, wie sie ankommen und Nelly fühlt, dass sie hier sterben wird und glücklich ist -, das schien ihm eine wunderbare Umkehrung des „Ödipus auf Kolonos“ zu sein. Dieser Dickens-Verehrung entsprang wohl auch seine Humoreske „Hommage a S. Pickwick“ in den Präludien. Die feinen literarischen Welturteile aber, die er überhaupt abgibt und die man vielfach in Peters Erinnerungen  findet, lassen die geistige Aufschwungkraft desselben Mannes abschätzen, der im Anfang seiner Laufbahn, mit zwanzig  Jahren, noch nicht einmal orthographisch schreiben konnte. Und nun entsteht die Frage: Was ist von Claude Debussy geblieben?

    Wir wollen ohne Umschweife antworten und bekennen: So ziemlich alles. Sein Leben war nicht umsonst gelebt, sein Leiden nicht umsonst gelitten. Von Gelegenheitswerken abgesehen, lebt sein Werk sowohl unter dem Namen Debussy wie unter anderen Namen weiter. Und darauf kommt es an: dass eine künstlerische Tat  ein fließendes Kulturelement werde, dass seine Spur nicht in Aeonen untergehe.

    Bei aller Unverbundenheit  und Abgetrenntheit wurde dieser unagilatorische Künstler die Kraftquelle, die die ganze Turbine der modernen Musik speist. Ohne seinen Leugnermut, ohne den Freiheitswillen, mit dem er die alte harmonische  Kette abschüttelte, gäbe es keinen Ravel, keinen Florent Schmitt, nicht die Komponistengruppe der „Six“, und obwohl seine Tongebärde keine angreifende Linie besitzt, vielmehr ihren Duktus der Arabeske entnimmt und zuletzt mit einer gewissen Menschenscheu in die eigene Höhle zurück flüchtet, hat Debussys Wesen doch ganz andersgeartete Künstler wie Giacomo Puccini und Richard Strauß  befruchtet: der eine gewann aus Debussys Schatzhöhle die dreisten Dreiklangsfolgen und unverbundenen Nonakkordreihen, der andere die Ganztonleiter, und selbst ein Meister wie Max Reger, bachisch dem Ursprung nach, wird in der „Böcklin-Suite“ debussystisch. Die Verführung  durch den Impressionismus ergriff auch die Wiener Schule, und ein großer Teil der Jungwiener Komponisten wurde auf dem Weg über Joseph Marx und Franz Schrecker zu Debussysten. Er wirkte, ohne wirken zu wollen. Und man kann sagen: er glich dem heiligen Sebastian, der zum neuen Glauben überredete nicht durch Predigten, sondern bloß durch den Pfeil, den er gegen Himmel schoss, und der nicht wiederkehrte…“

    Zwei Sammlungen von Debussy suche ich noch:

    • „Monsieur Croche – Antidilettante“: Eine Sammlung von Essays, Kritiken und Gedanken über Musik, die Debussy unter dem Pseudonym Monsieur Croche verfasste. Hier zeigt sich seine oft scharfzüngige und eigenwillige Sicht auf die Musikwelt.
    • Seine Briefe: Es gibt verschiedene Sammlungen von Briefen, in denen er sich über seine Musik, sein Leben und seine Zeitgenossen äußert. Eine der bekanntesten ist „Claude Debussy: Correspondance 1872–1918“, herausgegeben von François Lesure und Denis Herlin.
  • Verrückt nach Karten

    Verrückt nach Karten

    Es ist eines der frühen Dinge, die wir als Kinder beim Lesen und Zeichnen entdecken: Karten haben eine anziehende Kraft, die uns auf wundersamen Reisen in ferne Länder zu bringen mag. Wenn eine Karte an den Anfang eines Buches gestellt wurde, wissen wir, dass uns ein Abenteuer erwartet. Verrückt nach Karten (The Writer’s Map) ist ein Atlas von Reisen, die die ausgewählten Geschichtenerzähler im Laufe ihres Lebens unternommen haben, und nimmt uns so anhand farbiger Illustrationen per Fantasiereise mit. Auf den 167 vollfarbigen Bildern finden sich Karten der Welt, wie man sie sich im Mittelalter vorgestellte, Karten von Abenteuer-, Science-Fiction- und Fantasyromanen, Kinderreimen, literarischen Klassikern und aus Sammelcomics.

    Diese Sammlung umfasst aber nicht nur die Karten, die in ihren Büchern erschienen sind, sondern auch Landkarten, die sie inspiriert haben, die Skizzen, die sie beim Schreiben verwendeten, und andere, die einfach nur ihre Neugierde weckten.

    Lewis-Jones, Huw (Hrsg.) | Geniale Geschichten von fantastischen Ländern

    BuchCover

    Zum größten Teil handelt es sich um eine Sammlung personengebundener Essays, vermischt mit einer eher ungeordneten und eigenwilligen Übersicht zum Einsatz von Karten in Literatur sowie über die historische Entwicklung der Kartenerstellung:

    Philip Pullman erzählt von seinen Erfahrungen beim Zeichnen einer Karte, als er sich für einen seiner frühen Romane (The Tin Princes) damit beschäftigte.
    Miraphora Mina erinnert sich an die kreative Herausforderung, „Die Karte des Plünderers“ für die Harry-Potter-Filme zu entwerfen.
    David Mitchell führt uns über den Wolkenatlas und seine eigenen Kartenskizzen zur Mappa Mundi.
    Robert Macfarlane macht sich Gedanken über die Kartophilie, die seine beschwörende Naturschriftstellerei geprägt hat, die von Robert Louis Stevenson und seiner Karte der Schatzinsel in Gang gesetzt wurde.
    Joanne Harris erzählt von ihrer Faszination für die nordischen Karten des Universums.
    Reif Larsen schreibt über unsere Abhängigkeit von GPS und den Impuls, unsere Erfahrung zu kartografieren.
    Daniel Reeve beschreibt das Zeichnen von Karten und Diagrammen für die Hobbit-Filmtrilogie.

    Diese Essay-Passagen sind von besonderem Reiz, da man als LeserIn sich in der Regel mit dem Endergebnis zufrieden gibt. Der Weg dorthin erscheint mir mindestens genauso interessant.
    Die skizzierten Entwürfe der AutorInnen, mit den endgültigen, von professionellen Illustratoren auf Grundlage dieser Kritzeleien zur Veröffentlichung vorbereiteten fertig gestellten Landkarten zu vergleichen, finde ich besonders einladend, mich selbst zu versuchen.

    Das Buch hat Kapitel- und Abschnittsüberschriften, die eher poetische Höhenflüge sind als ein tatsächliches Inhaltsverzeichnis. Manchen mag das stören; ich finde es anregend. Im Atlas kreuz und quer zu lesen macht (mir) in diesem Fall eh mehr Spaß.

    Lesen Sie den Klappentext dieses Buches aufmerksam durch – „Die Karte des Schriftstellers ist ein Atlas der Reisen, die unsere kreativsten Geschichtenerzähler im Laufe ihres Lebens unternommen haben“. Er erzählt Ihnen mehr über dieses Buch, als der Verleger vielleicht beabsichtigt hat. Ein großer Teil des Textes stammt von Schriftstellern und Illustratoren, die ihre persönliche Geschichte mit Karten teilen – als Kinder, als Leser, als „Buchliebhaber“, als professionelle Schriftsteller und als Künstler. Das Buch ist mit Beispielen illustriert – einige sind vertraut, einige einzigartig, einige prosaisch und einige merkwürdig und schön – aber zum größten Teil handelt es sich um eine Sammlung persönlicher Essays, vermischt mit einer ziemlich ungeordneten und eigenwilligen Übersicht über Karten in der Literatur und auch über Karten im Allgemeinen im Laufe der Zeitalter.

    Es gibt einige Highlights (die Geschichte hinter der „Harry Potter Marauder’s Map“ oder die Herausforderungen bei der Erstellung der verschiedenen Karten, die als Requisiten in den „Herr der Ringe“-Filme verwendet wurden), und einige Jugend- und Kuriositäten, die vor allem für treue Fans der Brontes, Thoreau, „Pilgrim’s Progress“, Arthur Ransome, „Treasure Island“, Moominland und so weiter von Interesse sein könnten. Dazwischen (das Buch hat Kapitel- und Abschnittsüberschriften, die aber eher poetische Höhenflüge sind als ein tatsächliches Inhaltsverzeichnis) sind Erfahrungsberichte aus erster Hand von einer breiten und vielfältigen Gruppe von Schriftstellern eingestreut. Diese Passagen sind von beträchtlichem Reiz und Interesse.
    Ich fand es besonders interessant, die Karten, die von den Autoren gekritzelt wurden, mit den endgültigen Karten zu vergleichen, die von professionellen Illustratoren auf der Grundlage dieser Kritzeleien zur Veröffentlichung vorbereitet wurden.

    Die Karten selbst sind erstklassig und reichen von den bekannten bis hin zu den seltsamen, mit vielen Zwischenstopps. Die Attraktivität des Textes ist unterschiedlich, und manchmal legen die Verfasser den Text etwas dick auf. Aber es ist für jeden etwas dabei, denn die Liste der Mitwirkenden ist ziemlich beeindruckend. Sie finden ausführliche Essays von Chris Ridell, Cressida Crowell, Robert Macfarlane, Francis Hardinge, Joanne Harris, David Mitchell, Kiran Hargrave, Lev Grossman, Brian Selznick und vielen anderen zeitgenössischen Schriftstellern, die Ihnen vielleicht bekannt sind oder auch nicht. Das Fazit für mich war, dass dies am Ende ein einigermaßen zufriedenstellendes, wenn auch etwas zufälliges, durchblättbares Buch war.

    Huw Lewis-Jones ist Kunsthistoriker und Kurator am Scott Polar Research Institute der Universität Cambridge. Ehemals Visiting Fellow an der Harvard University und Kurator für Kaiserliche und Maritime Geschichte am National Maritime Museum, London, ist Huw Lewis-Jones auch als Berater für Medien und Rundfunk sowie als Experte für die Geschichte der Meeres- und Polarforschung tätig.

    Neben der Entwicklung neuer Titel für Polarworld baut Lewis-Jones eine nationale Sammlung von Inuit-Kunst auf und kuratiert eine Reihe von Wanderausstellungen. Als Kunstkritiker schreibt Huw für das Apollo Magazine und schreibt regelmäßig Beiträge für den Rundfunk und die britische Presse.
    Captain Cook: Obsession and Discovery wurde auf ABC und dem History Channel ausgestrahlt. Lewis-Jones‘ Dokumentarfilm Wilderness Explored wird derzeit in der BBC ausgestrahlt.

  • Haiku # 141

    Haiku # 141

    armbeuge vor
    das gesicht in tuchfühlung
    atemboomerang

    oliver simon 2020

  • Haiku #142

    Haiku #142

    Der Specht hackt im Wald
    Kleinholz auflesen für das
    Puppenstubenhaus

  • Haiku #140

    Haiku #140

    vom rand des wasser
    in das rauhe ufer springend
    das leben kraulen

  • Das tierische Gebet

    Das tierische Gebet

    Ich preise Dich Herr, / Darum hüpfe ich | Drutmar Cremer

    Tiere beten in Dur heiter beschwingt schlitzohrig – so lautet der Untertitel dieses Buches. Und ja, ungewöhnliche Gebete sind das, die der Benedektiner Drutmar Cremer da verfasst hat.

    Charakteristisch für das lyrische Werk des Dichters, Verlegers & Theologen Drutmar Cremer ist sein sparsames Vokabular, der Verzicht auf jegliche unnötige Ausschmückung. Teilweise meditativ zu nennen ist der Stil, in dem er Gedichte schreibt und immer ist in seinen Gedichten wie auch in seinen sonstigen literarischen Arbeiten die Kraft und der Einfluss seines Glaubens zu erkennen, ohne dass dieser im Vordergrund stehen muss. in diesem Falle steht er allerdings im Zentrum, denn die Tiere beten, mit menschlichen Zügen und für uns gut nachvollziehbar.

    Die Gebete zielen darauf ab, die Verdrehtheiten des Daseins anzuerkennen, ihnen das Gute abzugewinnen, mit einem Lächeln. Der Ernst des Schattens wird aufgelöst durch Lichtflecke, die tanzen.

    OSB Cremer scheint uns daran erinnern zu wollen, dass wir unseren Blick auf Flora und Fauna schärfen sollten um Zuversicht, Heiterkeit und die schöpferische Genialität in unseren Alltag zu ziehen.

    Durch das Büchlein zieht sich, dass sich die Tiere mit Ihren Eigenschaften, ihrem Charakter und Äußerlichkeiten (in)direkt Gott vorstellen. Was ein wenig amüsant ist, denn Jahwe ist der Schöpfer und steht nicht im Ruf vergesslich zu sein.
    Macht konzeptionell aber durchaus Sinn, denn es geht dem Autor wohl eher darum, uns beispielhaft anzuleiten in vergleichbarer Manier zu reflektieren.

    Gebet der Katze

    An Geschmeidigkeit, Herr,
    an sanfter Eleganz,
    an leiser Wendigkeit im Sprung
    hast du es nicht
    fehlen lassen – bei mir,
    dem Edelfräulein deiner Schöpfung. Alle Achtung!

    Aber eines bedarf deiner Erklärung:
    Warum
    gabst du mir –
    der Dame von Rang –
    den schönsten Schnurrbart der Welt?
    .
    .

    Aus: Drutmar Cremer – Ich preise dich Herr
    Illustration: Polykarp Uehlein – aus dem besprochenen Buch.

    Die Lektüre der Cremerschen Gedichte hat zudem einen Nebeneffekt. Ich habe mein Verständnis vom Beten überdacht bzw. weiterentwickelt. Bisher hatte ich diese Form des Gesprächs, Monologs mit/gen einer „höheren Instanz“ eher an den Empfehlungen von Religionsprofis festgemacht. Davon löse ich mich zunehmend. Was für mich befreiend ist, da ich in meiner Kindheit und Jugend insbesondere katholisch geprägt wurde. Auf durchweg unangenehme Weise übrigens.

    Das Gebet der Tiere hat etwas Spielerisches mit einer Prise Ernst und Ermunterndes. Das erinnert mich an Gespräche, in denen Thema war, wo man seinen Zugang zum Glauben sieht. Bei mir geht der in erster Linie über die Natur. Über das Bestaunen der Schöpfung an sich.

    Zur Machart des Buches

    Die Schrift ist in grün gehalten, ebenso die nüchtern reduziert und fröhlich wirkenden Illustrationen von Polykarp Uehlein. Der
    Münsterschwarzacher Benediktiner Uehlein wirkt als Missionar in Tanzania. In der Buchbeschreibung findet sich eine Umschreibung der Zeichnungen, die mich schmunzeln lässt:

    Wer diese Tiere anschaut, ihr Wesen und ihr Verhalten, der ahnt vielleicht, wie Gott den Menschen gedacht hat.

    Hier ist mir doch manchmal die zu erbringende Transferleistung zu groß. Dennoch…genießen lassen sich die Illustrationen allemal.

    Bei der Überlegung, ob Tiere wirklich beten habe ich zumindest drei Stellen in der Bibel gefunden, wo ihnen dies zugeschrieben wird:

    Singet umeinander dem HERRN mit Dank und lobet unsern Gott mit Harfen, der den Himmel mit Wolken verdeckt und gibt Regen auf Erden; der Gras auf Bergen wachsen läßt; der dem Vieh sein Futter gibt, den jungen Raben, die ihn anrufen.

    Psalm 147

    41 Wer bereitet den Raben die Speise, wenn seine Jungen zu Gott rufen und fliegen irre, weil sie nicht zu essen haben? 

    Hiob 38

    20 Auch die wilden Tiere schreien zu dir, / denn die Wasserläufe sind versiegt / und die Viehweiden vom Feuer verbrannt. 

    Joel 1, Vers 20

    Drutmar Cremer OSB

    Geb. 1930, ist ein deutscher Schriftsteller, Verleger und Theologe. Nach seinem Abitur trat er in die Benediktinerabtei Maria Laach ein, wo er 1958 zum Priester geweiht wurde. Von 1960 bis 1967 war er dann als Jugendseelsorger in Maria Laach tätig.

    Seit 1971 leitet er den Kunstverlag Maria Laach und auch die dort ansässigen Kunstwerkstätten.

    Pater Polykarp Uehlein

    Geb. 1931, ist katholischer Geistlicher, Benediktinermönch, Maler und Glaskünstler.

    Er studierte bei Georg Meistermann Malerei und reiste 1963 nach Tansania (Ostafrika) in das Missionarsgebiet der Abtei Ndanda aus.

    Neben Glasfenstern zählen auch Zeichnungen, Acrylbilder und Aquarelle, aber auch in vielen anderen Techniken geschaffene abstrakte Bilder zu seinen Werken.

    Er hat das Buch von Drutmar Cremer illustriert.

    Daten zum Buch

    Drutmar Cremer
    ICH PREISE DICH
    DARUM HÜPFE ICH

    Beuroner Kunstverlag
    3-87071-049-7

    Illustrationen: Polykarp Uehlein

  • Haiku #137

    Haiku #137

    der wolf frisst zuviel
    kreide verschmiert den rock
    friedrichs klippenklang

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