Stephen Crane | In the desert

Stephen Crane – In the desert

Über ein Gedicht, über Ausgrenzung. Dieser 1895 erstmalig veröffentlichte Text hat dazu geführt, dass mir von Gott berufenen Menschen (nach eigenen Aussagen) die Freundschaft gekündigt haben und seitdem jeden Kontakt ablehnen. Ihr Kommentar: Wer so etwas veröffentlicht, der ist vom Teufel geleitet.

In the desert
I saw a creature, naked, bestial, 
Who, squatting upon the ground, 
Held his heart in his hands, 
And ate of it.
I said, “Is it good, friend?” 
“It is bitter—bitter,” he answered;

“But I like it
“Because it is bitter,
“And because it is my heart.”

Stephen Crane | 1895

Ehemals geschätzte Menschen aus meinem privaten Umfeld haben mich nach der Verbreitung dieses Gedichtes auf facebook aufgesucht und mir zu verstehen gegeben, dass es nicht gut, gottgefällig ist, solche Texte zu verbreiten. Weil diese vom „Bösen“ kommen und Schlechtes vermitteln. Sie haben mir ihre Antwort als Protest, als Mahnung überbracht. Dabei zitierten sie eine Stelle aus der Bibel:

Und nun, liebe Freunde, lasst mich zum Schluss noch etwas sagen: Konzentriert euch auf das, was wahr und anständig und gerecht ist. Denkt über das nach, was rein und liebenswert und bewunderungswürdig ist, über Dinge, die Auszeichnung und Lob verdienen. Hört nicht auf, das zu tun, was ihr von mir gelernt und gehört habt und was ihr bei mir gesehen habt; und der Gott des Friedens wird mit euch sein.

Philipper 4 8,9 | Die Bibel. Neues Leben || Zitat entnommen dem Bibel-Server der ERF Medien.

Versuch einer Übersetzung:

In der Wüste

Sah ich eine Kreatur, nackt, bestialisch,
Der, auf dem Boden hockend,
Sein Herz in den Händen haltend,
Und davon aß.
Ich sagte: „Ist es gut, mein Freund?“
„Es ist bitter-bitter“, antwortete er;
„Aber ich mag es
Weil es bitter ist,
Und weil es mein Herz ist.“

Meine persönliche Deutung des Gedichts: Da ist jemand nackt, ohne Schutz, ohne Gemeinschaft, mit bitterem Herz. Woher diese Verbitterung auch kommen mag, er hat gelernt sich und sein Schicksal dennoch anzunehmen und zu lieben.
Für mich hat dieses Gedicht etwas tröstendes; ich sehe als als Zeugnis eines Menschen, der sich – trotz widriger Umstände – angenommen und lieben gelernt hat. Mag die Bildsprache Cravens auch drastisch sein; es passt für mich gut, um die Stimmung der Bitterkeit zu transportieren. Als Denkanstoß schätze ich dieses Gedicht.

Stephen Cranes Gedicht „In the Desert„, 1895 als drittes von 56 Gedichten in seiner Sammlung The Black Riders and Other Lines veröffentlicht, ist ein bemerkenswertes Werk der amerikanischen Literatur, das sich durch seine freie Versform ohne Reimschema oder festes Metrum auszeichnet. Diese formale Freiheit unterstreicht die thematische Zerrissenheit und den Zerfall, die das Gedicht behandelt.

In zehn Zeilen, aufgeteilt in zwei Strophen (sieben und drei Zeilen), entfaltet Crane eine beunruhigende Szene: Der Sprecher begegnet in der Wüste einem „nackten, tierischen“ Wesen, das sein eigenes Herz verzehrt. Trotz der Feststellung, dass das Herz „bitter“ schmeckt, bekundet das Wesen eine seltsame Vorliebe dafür, mit den Worten „And because it is my heart“.

Das Gedicht ist reich an Symbolik und wirft Fragen nach der menschlichen Natur auf. Das Herz fungiert hier als vielschichtiges Symbol – es kann Emotionen, Identität, den freien Willen oder auch die menschliche Verderbtheit repräsentieren. Der Akt des Verzehrens des eigenen Herzens steht sinnbildlich für Selbstzerstörung und Selbstschädigung, selbst im Bewusstsein der Bitterkeit.

Die Ambiguität der letzten Zeile – „And because it is my heart“ – lässt verschiedene Interpretationen zu: Betont sie den Besitzanspruch („my“) oder die Selbsterkenntnis („heart“)? Das Wesen, das sich selbst aus Gier und einer perversen Freude am Schmerz verzehrt, verkörpert die dunklen Aspekte der Menschheit. Man kann darin auch eine Kritik an Selbstmitleid oder die Akzeptanz des eigenen „gefallenen“ Zustands sehen.

Literarische Stilmittel und Struktur

Crane nutzt verschiedene stilistische Mittel, um die beklemmende Atmosphäre zu verstärken. Die Wüste ist hier nicht nur ein physischer Ort, sondern ein Symbol für Leere, Einsamkeit und spirituelle Ödnis, das die Desillusionierung widerspiegelt, die Crane während seiner Reisen im Westen der USA erlebte. Die dreifache Nennung von „bitter“ unterstreicht die Perversion der Freude am Schmerz und die paradoxe Akzeptanz dieses Zustands.

Enjambement, wie in „desert / I saw“, erzeugt fließende Übergänge und verstärkt die unheimliche und flüchtige Atmosphäre. Der Kontrast zwischen der „bestialischen“ Erscheinung des Wesens und der Anrede als „friend“ durch den Sprecher deutet auf eine verborgene Verbindung oder eine innere Auseinandersetzung hin, die sich bis zur Debatte erstreckt, ob das Wesen möglicherweise eine Projektion des Sprechers selbst ist, was auf einen inneren Konflikt hindeuten würde.

Historischer und biografischer Kontext

Stephen Cranes Erfahrungen im Westen der USA im Jahr 1895, wo er Armut und ausgelaugte Böden sah, prägten seine Desillusionierung und lieferten den Hintergrund für das Gedicht. Die Wüste, in der US-Literatur des 19. Jahrhunderts oft ein Symbol für die „Failed Frontier“ – ein Ort der Hoffnungslosigkeit im Gegensatz zum Agrarmythos des „American Dream“ –, wird hier zur Bühne für eine existenzielle Parabel. Crane verarbeitete seine Beobachtungen in parabelhaften Gedichten, die menschliche Abgründe abstrakt darstellen.

Rezeption und Bedeutung

„In the Desert“ gilt als Meilenstein der US-Literatur. Kritiker wie Max Cavitch und Daniel Hoffman heben Cranes Abstraktionsvermögen als Stärke hervor. Die moderne Form und psychologische Tiefe machten das Gedicht zu einem Vorläufer der modernen Lyrik. Debatten darüber, warum der Sprecher nicht eingreift, deuten auf mögliche Komplizenschaft oder Gleichgültigkeit hin.

Crane nutzte parabelhafte Kürze, um universelle Wahrheiten über die menschliche Natur zu vermitteln, oft mit einer düsteren Ironie. Die bewusste Wahl der freien Verse unterstreicht die Themen Zerfall und Formlosigkeit, da, wie es heißt, „The poem’s message fits the subject matter […] It’s about tearing down“.

Zusammenfassend zeigt „In the Desert“ Stephen Crane als scharfen Beobachter menschlicher Perversionen. Geprägt von historischen Desillusionen und formal innovativ, wird die Wüste zur Bühne für eine existenzielle Parabel über Selbstzerstörung als paradoxe Form der Selbstbehauptung.

Über Stephen Crane
Geboren 1871 (Im Jahr der Ausrufung des deutschen Kaiserreiches) in Newark, New Jersey. Seine Eltern waren Methodistenprediger. In seinen frühen Jahren als Jornalist in New York berichtet er vernehmlich über die Slums der Stadt, was ihn zu seinem ersten Roman – Maggie. A Girl of the streets – inspirierte.


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