Klaus Ensikat (geb. 28. Januar 1937 in Berlin; gest. 22. September 2021) zählt zu den bedeutendsten deutschen Illustratoren des 20. und frühen 21. Jahrhunderts. Nach einem Studium an der Hochschule für Bildende Künste Berlin (heute Universität der Künste) begann er seine Karriere als freischaffender Künstler. Seine Arbeiten prägten die Buchkunst nachhaltig, besonders im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur. 1996 erhielt er die höchste Auszeichnung für Illustratoren, den Hans-Christian-Andersen-Preis, sowie mehrfach den Deutschen Jugendliteraturpreis. Bis zu seinem Tod blieb Ensikat ein Verfechter handwerklicher Präzision in einer zunehmend digitalisierten Welt.
Künstlerischer Stil & Arbeitsweise
Ensikats Stil ist geprägt von detailverliebter Lineatur und technischer Meisterschaft. Inspiriert von Albrecht Dürer und der Renaissance kombinierte er realistische Darstellungen mit fantastischen Elementen. Seine Zeichnungen bestechen durch:
- Architektonische Präzision: Historische Gebäude und urbane Szenen werden minutiös wiedergegeben.
- Dynamische Schraffuren: Schattierungen und Texturen entstehen durch komplexe Kreuzlagen.
- Humorvolle Charaktere: Figuren wie Till Eulenspiegel oder Struwwelpeter erhalten durch übertriebene Mimik und Gestik narrative Tiefe.
Seine Arbeiten balancieren zwischen dekorativer Ornamentik und erzählerischer Funktion, wobei jedes Detail eine Geschichte erzählt.
Ensikat arbeitete ausschließlich analog, mit Feder, Tusche und Aquarellfarben. Sein Prozess:
- Skizzenphase: Ideen wurden in groben Entwürfen festgehalten, oft begleitet von Textanalysen.
- Feinzeichnung: Mit hauchdünnen Federn (z. B. Rotring-Spitzen) trug er Linien schichtweise auf, um Tiefe zu erzeugen.
- Kolorierung: Sparsam eingesetzte Aquarelltöne betonten Akzente, ohne die Lineatur zu überdecken.
Er betonte stets die Symbiose von Text und Bild: „Eine Illustration muss den Text nicht nur begleiten, sondern ihn interpretieren – sie ist ein eigenständiger Kommentar.“ (Zitat aus einem Interview mit Die Zeit, 2005).
Buchillustrationen (Beispiele)
Ensikats Illustrationskunst revolutionierte die Wahrnehmung klassischer Texte:
- „Struwwelpeter“ (1997): Seine Version des Heinrich Hoffmann-Klassikers vereint Grusel und Komik. Struwwelpeters Haare wirken wie explodierende Linienbündel, während die „Geschichte vom Daumenlutscher“ durch düstere Schattierungen dramatisiert wird.
- „Till Eulenspiegel“ (1978): Die Schelmenstrecken werden durch mittelalterliche Stadtkulissen und karikierte Gesichter lebendig. Ein Detail: Till spiegelt sich stets in Fensterscheiben oder Pfützen – eine visuelle Metapher für seine Doppelbödigkeit.
- Märchen der Brüder Grimm (2007): Ensikat vermied Kitsch und betonte stattdessen die archaischen Wurzeln der Geschichten. In „Hänsel und Gretel“ wird die Hexe als groteske, fast architektonische Figur dargestellt, umgeben von einem Lebkuchenhaus mit gotischen Elementen.
Zitate und Philosophie
- Zur Rolle des Illustrators: „Bücher sind Gesamtkunstwerke. Der Illustrator ist wie ein Bühnenbildner, der den Raum schafft, in dem die Worte tanzen.“
- Zur Technik: „Die Feder zwingt zur Demut. Jeder Strich ist ein Commitment – es gibt kein Zurück.“
Seine Werke, in über 30 Sprachen übersetzt, bleiben Referenzpunkte für handwerkliche Perfektion und narrative Tiefe. Auch heute noch gilt sein Ansatz als Antithese zur schnellen Digitalkunst – eine Hommage an die Langsamkeit und den Respekt vor dem literarischen Werk.
Klaus Ensikat war mehr als ein Illustrator; er war ein Geschichtenerzähler, der mit Feder und Tusche Welten schuf, die zum Entdecken einladen. Seine Arbeiten, stets im Dialog mit dem Text, erheben die Buchillustration zur Hochkunst – detailreich, humorvoll und zeitlos.