Zwischen Bücherliebe und Existenzkampf – Ein Porträt des schottischen Buchhändlers und Autors
Shaun Bythell ist weit mehr als nur ein Betreiber eines Antiquariats. Er ist ein scharfer Beobachter der Buchwelt, ein humorvoller Chronist seines Alltags und ein unermüdlicher Kämpfer für den Erhalt unabhängiger Buchhandlungen. Seine internationalen Bekanntheit verdankt er seinen ehrlichen und oft urkomischen Schilderungen des Lebens in seinem schottischen Antiquariat, die er in seinem Werk „The Diary of a Bookseller“ auf fesselnde Weise festhält.
Das Herzstück in Schottlands „Book Town“
Seit nunmehr über zwei Jahrzehnten, genauer seit 2001, ist „The Bookshop“ in Wigtown, der offiziellen „Book Town“ Schottlands, das berufliche Zuhause von Shaun Bythell. Dieses beeindruckende Antiquariat beherbergt auf über einem Kilometer Regalfläche eine schier unendliche Auswahl von über 100.000 Büchern und beansprucht den Titel des größten Antiquariats in Schottland für sich. Doch Bythells Engagement reicht über den reinen Buchverkauf hinaus: Er ist maßgeblich an der Organisation des jährlich stattfindenden Wigtown Book Festivals beteiligt, das Literaturbegeisterte aus aller Welt in die beschauliche schottische Provinz lockt.
„The Diary of a Bookseller“ – Mehr als nur Alltagsnotizen
In seinem vielbeachteten „The Diary of a Bookseller“ nimmt uns Shaun Bythell mit auf eine einjährige Reise durch die Höhen und Tiefen seines Lebens als Buchhändler. Mit einem untrüglichen Gespür für skurrile Situationen und einem herrlich trockenen Humor schildert er die Begegnungen mit einer oft exzentrischen Kundschaft, die täglichen Herausforderungen des Einzelhandels und die liebenswerten Eigenheiten seiner Angestellten. Wie er im YouTube-Interview betont: „Das Buch ist im Grunde genau das, was der Titel sagt: ein Tagebuch. Es dokumentiert den Alltag im Jahr 2014 – und ja, vieles wiederholt sich, wie es eben in jedem Job der Fall ist. Manche Leserinnen und Leser haben das als langweilig empfunden, aber ich glaube, gerade in dieser Wiederholung steckt etwas sehr Echtes. Ich habe nie versucht, witzig zu schreiben – aber es sind oft gerade die kleinen, absurden Szenen, an die man sich erinnert. Und die landen dann im Buch.“
So entsteht ein authentisches und ungeschöntes Bild des Alltags eines unabhängigen Buchladens, das zugleich eine subtile, aber deutliche Kritik an den Veränderungen im Buchmarkt durch den unaufhaltsamen Aufstieg großer Online-Plattformen formuliert. Bythells feines Gespür für Zwischentöne macht „The Diary of a Bookseller“ zu einer Liebeserklärung an das gedruckte Wort und einer nachdenklichen Reflexion über die Zukunft des Buches.
Ein Kämpfer für den lokalen Buchhandel
Shaun Bythell ist ein unermüdlicher Verfechter des Erhalts der unabhängigen Buchhandelslandschaft. Durch seine Bücher und seine öffentlichen Auftritte lenkt er die Aufmerksamkeit auf die unverzichtbare Rolle lokaler Buchläden als kulturelle und soziale Ankerpunkte. Dabei scheut er sich nicht, die oft prekären Auswirkungen der Marktdominanz großer Online-Händler offen anzusprechen. Im Hinblick auf den Vertrieb seines eigenen Buches berichtet er im Interview: „Ich habe versucht, meinen Verlag davon zu überzeugen, das Buch nicht sofort über Amazon zu vertreiben – zumindest nicht in den ersten sechs Monaten. Ich wollte dem stationären Buchhandel einen Vorsprung geben. Aber der Verlag hat abgelehnt, aus Angst vor Vertragsverstößen mit Amazon. Diese Abhängigkeit ist ein echtes Problem. Amazon ist kompromisslos – ein Verstoß, und sämtliche Bücher könnten aus dem Sortiment verschwinden.“
Bythell spricht aus eigener Erfahrung, da er einst selbst über Amazon verkaufte und aufgrund der sich ständig ändernden Regeln und Gebühren gesperrt wurde. „Ich habe einmal ein Buch für zwei Pfund verkauft und am Ende daran Verlust gemacht. Amazon hat mehr Gebühren einbehalten, als ich verdient habe. Für Verkäufer ist das ein hartes Pflaster.“
Die Episode mit dem Kindle – Ein Statement mit Schrot
Die Geschichte, dass Bythell ein Kindle an die Wand genagelt habe, ist zwar eine unterhaltsame Vorstellung, doch die Realität ist – im wahrsten Sinne des Wortes – einschlagender. Tatsächlich demonstrierte er seine kritische Haltung gegenüber E-Readern, indem er ein defektes Kindle-Gerät mit einer Schrotflinte bearbeitete und das Ergebnis in seinem Laden ausstellte. Dieses drastische und humorvolle Statement unterstreicht seine Überzeugung von der Bedeutung physischer Bücher und der Herausforderungen, denen sich traditionelle Buchhandlungen im digitalen Zeitalter stellen müssen.
Wigtown: Mehr als nur Bücher
Trotz der Widrigkeiten existiert „The Bookshop“ weiterhin, und auch Wigtown als „Buchstadt“ floriert. Die vor über 20 Jahren initiierte Idee, den Ort zu einem Zentrum für Bücher zu machen, hat sich bewährt und ein kleines, aber stabiles Netzwerk aus Veranstaltungen, Festivals und kleinen Läden geschaffen, in denen sich alles um das geschriebene Wort dreht. Bythell erinnert sich: „Damals konnte ich mir kaum vorstellen, wie das in einer so kleinen, abgelegenen Gemeinde funktionieren soll. Aber es funktioniert – wegen vieler engagierter Menschen, die daran geglaubt und mit angepackt haben. Und es ist ein Privileg, jeden Tag mit Büchern zu arbeiten.“
Doch nicht nur die Bücher prägen Wigtown, auch die umgebende Landschaft spielt eine wichtige Rolle für die Lebensqualität. „In 15 Minuten bin ich am Fluss, in den Hügeln oder am Meer. Es gibt Sandstrände, Wälder, Berge. Und das Beste: Es bleibt ruhig. Selbst in der Hochsaison wirkt es nie überlaufen. Die Menschen schätzen diese Entschleunigung.“
Die Zukunft im Blick – Ein Balanceakt
Angesichts der zunehmenden Urbanisierung und Digitalisierung stellt sich die Frage nach der Zukunft von Orten wie Wigtown. Shaun Bythell blickt jedoch optimistisch in die Zukunft: „Ich glaube, es gibt eine Chance. Wir haben hier in der Region einen Besucherzuwachs von über 40 Prozent erlebt – nicht nur bei uns im Laden, sondern auch bei historischen Stätten. Die Leute entdecken solche Orte wieder. Aber es ist ein Balanceakt: Das, was Wigtown ausmacht – die Ruhe, die Freundlichkeit, der Raum – darf dabei nicht verloren gehen.“
Shaun Bythell ist somit nicht nur ein Buchhändler und Autor, sondern auch ein Botschafter für eine entschleunigte Lebensweise und den unschätzbaren Wert lokaler Gemeinschaften. Seine ehrlichen Einblicke in die Welt der Bücher und seines Antiquariats sind eine Bereicherung für jeden Leser und regen dazu an, die Bedeutung unabhängiger Buchhandlungen in unserer schnelllebigen Zeit neu zu überdenken.
Titelfoto: A book lover bed by Oliver Dixon / CC BY-SA 2.0
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