Vera Lebert-Hinze | Flugtuch der Träume

Diesen kleinen Lyrikband habe ich in einem öffentlichen Bücherschrank entdeckt. Der Titel weckte meine Neugier, da mir das Wort „Flugtuch“ nur vage vertraut war. Die darin enthaltenen Gedichte setzen sich häufig mit dem „Herbst des Lebens“ auseinander – mal tröstlich, mal resigniert, aber auch auflehnend. Sie wirken wie Selbstreflexionen, möglicherweise inspiriert durch Träume, und spielen mit dem Gefühl der Ahnung.

Leider konnte ich die Autorin nicht kontaktieren, was ich gern getan hätte. Seit 2003 scheint sie sich nicht mehr literarisch zu äußern.

Was mich besonders an diesen Gedichten fasziniert, ist mein spontaner Impuls, sie weiterzudenken. Ich greife instinktiv zum Füller, erweitere, verdichte, formuliere um und lenke sie in neue Richtungen. Dieser kreative Drang ist selten und macht den Band für mich besonders reizvoll.

Eines meiner Favoriten aus diesem Band:

Annähernd gelesen

Struktur und Form Das Gedicht besticht durch seine knappe, fragmentarische Form. Die ungewöhnliche Anordnung der Wörter und die ausgedehnten Zeilenbrüche schaffen eine offene Struktur, die den Leser einlädt, eigene Interpretationen vorzunehmen. Die Fragmentierung vermittelt einen Eindruck von Unvollständigkeit und lässt Raum für Assoziationen.

Sprachliche Bilder und Metaphern Der Begriff „echolos“ in Verbindung mit „Nebel“ eröffnet ein Spannungsfeld zwischen Präsenz und Unklarheit. Der Nebel symbolisiert dabei möglicherweise einen Zustand der Unsicherheit oder des Übergangs. Die Erwähnung des „verhangenen Gipfels“ erzeugt ein Bild eines fernen, vielleicht unerreichbaren Ziels, während das Wort „Alphabet“ als Metapher für grundlegende, elementare Strukturen in Sprache und Leben erscheint. Die abschließende Zeile, in der „die Höhe steinerne Sprache spricht“, verleiht dem Gedicht eine fast mystische Dimension: Hier wird angedeutet, dass es eine uralte, unveränderliche Ausdrucksweise gibt, die jenseits der gewöhnlichen Kommunikation liegt.

Symbolik und Interpretation Das Zusammenspiel der Naturbilder (Nebel, Gipfel, Höhe) mit sprachlichen Elementen (Alphabet, Sprache) regt dazu an, über die Verbindung zwischen innerer Erfahrung und äußeren Erscheinungen nachzudenken. Die Natur fungiert als Metapher für emotionale und existenzielle Zustände, während die Sprache als Medium erscheint, diese Zustände zu erfassen und auszudrücken. Das Gedicht könnte als Aufforderung verstanden werden, die oft verborgenen Zusammenhänge zwischen Wahrnehmung, Emotion und Ausdruck zu erkunden.

Insgesamt schafft das Gedicht durch seinen minimalistischen Stil und die dichte Symbolik eine mystische Atmosphäre. Es regt an, über die tiefere Verbindung zwischen Natur, Sprache und menschlicher Erfahrung nachzudenken – ein kreativer Impuls, der auch meinen eigenen Drang, Texte weiterzuentwickeln, beflügelt.

Vera Lebert-Hinze | Flugtuch der Träume
Reihe Manuskripte #93 | 1984
Gauk-Verlag (Diesen gibt es in dieser Form nicht mehr.)

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