Volk und Welt – Reihe „Erkundungen“

Die Buchreihe „Erkundungen“ – Ein Fenster zur Weltliteratur von der DDR aus gesehen

Die Buchreihe „Erkundungen“ des Berliner Verlags Volk und Welt (1966–1996) war ein einzigartiges Projekt, das in 64 Bänden literarische Schätze aus aller Welt versammelte. Ziel war es, die kulturelle und erzählerische Vielfalt verschiedener Länder einem deutschsprachigen Publikum zugänglich zu machen – trotz der politischen und ideologischen Grenzen der DDR. Jeder Band enthielt eine sorgfältige Auswahl von Kurzgeschichten, Erzählungen oder Lyrik, ergänzt durch Autorenbiografien und einführende Kommentare, die den Lesern einen tiefen Einblick in die literarischen Traditionen der jeweiligen Region boten.

Ein kulturelles Schaufenster zwischen Ost und West

Obwohl die Reihe vor allem Literatur aus sozialistischen Ländern präsentierte, fanden sich auch Werke aus dem „nichtsozialistischen“ Ausland – darunter Lateinamerika, Afrika und Westeuropa. Die Bände waren oft die einzige Möglichkeit für DDR-Leser, Autoren wie Gabriel García Márquez, Bohumil Hrabal oder Naguib Mahfouz kennenzulernen. Die Auswahl unterlag zwar politischen Kriterien, dennoch gelang es der Reihe, eine erstaunliche Bandbreite an Stimmen und Stilen abzubilden.


Beispielhafte Bände der „Erkundungen“-Reihe aus meinem Bestand

Erkundungen: 17 kongolesische Erzähler (1984)

Ein seltener Einblick in die Literatur des Kongo, mit Erzählungen, die zwischen traditionellen Motiven und moderner Prosa oszillieren. Die Geschichten spiegeln die koloniale Vergangenheit und postkoloniale Identitätssuche wider – ein Thema, das in der DDR-Literaturlandschaft kaum präsent war.

Erkundungen: 24 tschechische und slowakische Erzähler (1979, Hg. Karl-Heinz Jähn)

Mit 312 Seiten einer der umfangreichsten Bände, der die reiche Erzähltradition der Tschechoslowakei präsentiert. Enthalten waren u.a. Texte von Bohumil Hrabal („Die Welt ist ein unaufhörlicher Strom von Zufällen, die nur darauf warten, dass wir sie in Gesetze verwandeln.“) und Josef Škvorecký, dessen Werke später im Westen große Bekanntheit erlangten.

Erkundungen: 16 vietnamesische Erzähler (1977, Hg. Aljonna & Klaus Möckel)

Dieser 292-seitige Band bot einen der wenigen Zugänge zur vietnamesischen Literatur in deutscher Sprache. Die Erzählungen verbanden oft folkloristische Elemente mit zeitgenössischen Themen, darunter der Krieg und seine Nachwirkungen.

Erkundungen II: 42 Schweizer Erzähler (1984, Hg. Ingeborg Quaas)

Ein Panorama der Schweizer Literatur, das von klassischen Autoren bis zu damals zeitgenössischen Stimmen reichte. Die Schweiz – sonst eher als „westliches“ Land wahrgenommen – wurde hier in ihrer mehrsprachigen Vielfalt präsentiert.

Erkundungen: 21 Erzähler aus Belgien und den Niederlanden (1976)

Dieser Band zeigte die literarische Nähe und Unterschiede zwischen flämischen, wallonischen und niederländischen Autoren. Besonders spannend war die Gegenüberstellung von magischem Realismus und sozialkritischer Prosa.


Die Bedeutung der Reihe heute

Die „Erkundungen“-Bände sind heute nicht nur Zeugnisse der DDR-Verlagsgeschichte, sondern auch wichtige literarische Dokumente. Viele der enthaltenen Autoren wurden später weltberühmt, andere sind heute fast vergessen – doch die Reihe bewahrt ihre Stimmen. Für Sammler und Literaturinteressierte sind die markanten Hardcover-Ausgaben mit ihren charakteristischen Schriftzügen längst begehrte Objekte.

„Erkundungen“ war mehr als eine Buchreihe: Sie war ein kulturelles Brückenprojekt, das trotz politischer Beschränkungen Neugier auf die Welt weckte. Auch heute noch lohnt es sich, in diesen Bänden zu stöbern – denn sie erzählen nicht nur von fernen Ländern, sondern auch von einer Zeit, in der Literatur noch ein Fenster zur Welt sein konnte.

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