Wolfgang Mattheuer als Erzählanlass – Werkstattbericht

Mattheuer - Werkstattbericht - Äußerungen

Warum ich zögere | Ich lese Wolfgang Mattheuers Buch Äußerungen und zögere – immer wieder. Nicht, weil mich seine Bilder kalt lassen – im Gegenteil. Sie ziehen mich an, sie reizen mich, sie erzählen mir Geschichten, bevor ich selbst anfange zu schreiben. Aber genau da beginnt mein Zögern: Darf ich das überhaupt? Darf ich als literarisch interessierter Mensch, ohne kunsthistorische Weihen, ohne institutionelle Anbindung, mich an einen Künstler wagen, über den bereits Bibliotheken voll geschrieben wurden? Darf ich seine Bilder als Ausgangspunkt für eigene Texte nehmen – für Gedichte, Erzählungen, Essays – und das dann auch noch öffentlich auf einem Blog zeigen?

Die Antwort, die ich mir gebe, lautet: Ja. Aber sie kommt nicht leichtfertig.

Das Problem mit der Deutungshoheit

Wolfgang Mattheuer zählt neben Bernhard Heisig und Werner Tübke zu den Begründern und führenden Vertretern der sogenannten Leipziger Schule der ehemaligen DDR. Sein Stil verbindet Elemente der Neuen Sachlichkeit mit surrealen Bildmotiven, die sich – trotz ihrer Verschlüsselung – als kritische Kommentare zur politischen Realität lesen lassen. Seine Arbeiten sind geprägt von der Konfrontation mit der Gegenwart: im eigenen Land ebenso wie international, immer schwankend zwischen Hoffnung und Zweifel, Widerstand und Resignation. Neben diesen gesellschaftskritischen Bildern stehen Landschaften, die nicht bloß Natur zeigen, sondern innere Zustände, Gleichnisse, Denklandschaften.

Das alles weiß ich. Ich habe es gelesen, nachgeschlagen, mir erarbeitet. Aber ich bin kein Fachmann. Ich komme nicht aus der Kunstgeschichte, ich habe keine Monografie verfasst, ich gehöre nicht zum Kreis derer, die legitimerweise über Mattheuer sprechen dürfen. Oder doch?

Gerade diese Spannung reizt mich. Mattheuer war ein Künstler, der das Ringen mit der Zeit, das Schwanken zwischen Aufbruch und Müdigkeit, zwischen Glaube und Enttäuschung sichtbar machte – und dabei selbst Teil dieser Bewegung blieb. Dass er nicht nur malte und modellierte, sondern auch schrieb und dichtete, erweitert sein Werk um eine zweite Sprache. In seinem Buch Äußerungen begegnet man dem Künstler als reflektierendem, manchmal zornigem, manchmal stillen Menschen, der das Gespräch sucht: mit der Geschichte, mit der Gesellschaft, mit sich selbst.

Und genau das möchte ich auch: ein Gespräch führen. Nicht von oben herab, nicht mit dem Anspruch wissenschaftlicher Vollständigkeit, sondern aus Neugier, aus dem Bedürfnis, diese Bilder weiterzudenken, sie in Worte zu verwandeln, sie in meine eigene Gegenwart zu holen.

Exkurs: Wie ich zu Mattheuer kam (oder: eine merkwürdige Verwechslung Verwechslung)

  • Poesiealbum 103 mit Gedichten von Paul Wiens (Mitteldeutscher Verlag, Halle 1984) – Illustrationen: Wolfgang Mattheuer
  • Hans Lipinsky-Gottersdorf: Finsternis über den Wassern (Mitteldeutscher Verlag 1958) – Gesamtausstattung: Wolfgang Mattheuer
  • Karasholi, Adel Daheim in der Fremde / Gedichte Holzschnitte: Wolfgang Mattheuer (Mitteldeutscher Verlag 1984)

Das Problem mit dem Urheberrecht

Dann ist da noch die andere Hemmung: die rechtliche. Mattheuer starb 2004, seine Werke sind urheberrechtlich geschützt bis 2074. Die Bildrechte liegen bei der VG Bild-Kunst, Abbildungen kosten Geld – Geld, das ich für einen privaten Literaturblog nicht aufbringen kann und will.

Aber muss ich das überhaupt?

Das deutsche Urheberrecht kennt das Zitatrecht (§ 51 UrhG). Es erlaubt die Nutzung geschützter Werke, wenn sie einem Zitatzweck dienen – also der Auseinandersetzung, der Erläuterung, der Kritik. Bei Bildern ist das strenger als bei Texten: Man darf sie nicht einfach als Dekoration verwenden. Aber wenn ich ein Bild zum Gegenstand meiner literarischen Arbeit mache, wenn ich mich konkret damit auseinandersetze, wenn mein Text ohne dieses Bild nicht verständlich wäre – dann bewege ich mich im Rahmen des Erlaubten.

Trotzdem bleibe ich vorsichtig. Ich werde Bilder nicht einfach so einbinden. Ich werde sie beschreiben, ich werde auf sie verweisen, ich werde sie vielleicht in kleinen Ausschnitten zeigen – aber immer mit Quellenangabe, immer mit Respekt vor dem Urheber, immer im Dienst meiner eigenen Texte.

Und manchmal werde ich ganz auf Abbildungen verzichten und stattdessen das Bild in Worte fassen. Denn auch das ist eine Form der Aneignung: literarische Ekphrasis, das Nacherzählen von Kunst in Sprache.

Was ich vorhabe – und warum

Dieses Projekt ist ein Experiment. Ich möchte Mattheuers Bilder und Skulpturen als Erzählanlass nutzen. Nicht, um sie kunsthistorisch zu deuten, sondern um aus ihnen heraus eigene Geschichten, Gedichte, Essays zu entwickeln. Ich möchte seine Äußerungen als Orientierung nehmen – seine eigenen Texte, seine Gedanken zur Zeit, seine Zweifel und Hoffnungen – und sie mit meinem eigenen Blick auf die Welt verbinden.

Mattheuer hat einmal gesagt:

„Der Bildermacher kann sich nicht heraushalten aus dem Streit seiner Zeit. Er muss den Mut haben, sich einzumischen, auch wenn er dabei Wunden und Narben davonträgt.“

Das ist mein Ausgangspunkt. Wenn Kunst sich einmischen soll, dann darf auch die Rezeption von Kunst sich einmischen. Dann darf ich als Leser, als Betrachter, als Schreibender teilhaben an diesem Gespräch. Nicht als Autoritätsperson, sondern als Zeitgenosse – auch wenn meine Zeit längst eine andere ist.

Wie ich vorgehe – Transparenz statt Rechtfertigung

Ich werde in jedem Beitrag klar benennen, welches Werk von Mattheuer ich behandle. Ich werde – wo möglich – auf Abbildungen in Museumssammlungen oder öffentlichen Archiven verlinken. Ich werde meine Quellen angeben. Und ich werde kenntlich machen, wo meine eigene Imagination beginnt, wo ich über das Bild hinausgehe, wo ich es in meine eigene Sprache übersetze.

Das hier ist kein wissenschaftliches Projekt. Es ist ein literarisches. Und es ist ein persönliches. Aber es ist ernst gemeint.

Falls die Mattheuer-Stiftung, die VG Bild-Kunst oder andere Rechteinhaber Einwände haben, bin ich offen für Gespräche. Mein Ziel ist nicht, Rechte zu verletzen, sondern ein Werk lebendig zu halten – durch Auseinandersetzung, durch Weiterschreiben, durch Einmischung.

Warum ich mich dennoch vortaste

Weil Kunst nicht im Museum endet. Weil Bilder weitererzählt werden wollen. Weil Mattheuer selbst jemand war, der nicht schweigen konnte – und weil ich glaube, dass auch die Betrachtung von Kunst eine Form des Nicht-Schweigens ist.

Ich bin gespannt, wohin mich diese Reise führt. Und ich lade Sie ein, mich zu begleiten.


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