LektüreNotizen: Günter Abramowski | wer ist wir
Dieser Band besteht aus achzig – wenn ich richtig gezählt habe – Gedichten. Der Autor empfiehlt im Inhaltsverzeichnis, die Gedichte in der Reihenfolge zu lesen, wie gedruckt. Beim Lesen der Titel fiel mir eine Zusammengehörigkeit auf und ich habe versucht daraus einen eigenständigen Text abzuleiten. Die Titel lesen sich wie Fragmente eines größeren Gedankenspiels, das sich um Identität, Zeit, Vergänglichkeit und kollektive Existenz dreht. Hier ein Versuch, sie zu einer verdichteten Erzählung / Reflexion über „Wer ist wir?“ zu weben, wobei ich Dopplungen streiche, Rhythmus schaffe und rote Fäden aufgreife:
Wer ist wir
jenseits von Himmel & Hölle
entzauberte Utopia
Wir sind grund genug und doch sprachlos zur Verschwiegenheit –
geistlos in der Stunde des Horus, fragen: Gibt es Hirten?
Rast im Knistern stehender Zeit, zwischen den Jahren.
Die Herde gute Mutter flüstert: Wurzeln in mir, da sein
vorm ersten Wort, wetterfühligh wie Wind & Licht, Geschwister.
Herz brennt im Atemlicht – tiefe ruft tiefe
wenn Kopfüber in tiefen Schlaf der Traum vom Fliegen
sich vom Imitieren löst. Erfahrungen reifen wie Wein,
doch manchmal vergehe ich, aus diesem un-möglichen Leben
ohne Achtung, mit oder ohne dich.
Wir nehmen deinen Schmerz, stilles Wissen:
Das Alter liebt das junge Leben, Frühe in jedem Jung.
Im Lebenslicht ist gut sterben – Brennen bis wir leuchten
ohne Außen & Innen. Träumer wandeln & erkunden
das Leben ein Tag, meine Welt als 5 Grenzgänger, 1 Stern.
Verschwinde? Lauschen in den Schlaf: Es trägt nichts.
Aus Lebensfreude, weil ich zwei bin, umarme ich mich
an der Grenze. Wartend auf Ostern, fragend:
Wie vielter Frühling blüht uns? Unser Leben –
du bist Teil von uns, wunschlos.
Funktioniert das?
Ja, als surrealer Essay über das „Wir“ zwischen Kollektiv und Ich, Vergänglichkeit und Auferstehung. Die Titel geben Motive vor: Feuer (Brennen), Zeit (Jahre, Reifen), Dualität (innen/außen), Traum/Realität. Durch Verdichtung entsteht ein Sog zwischen Verlust und Hoffnung – fast wie ein ritueller Text, der die Lesenden durch existenzielle Stationen führt.
Stärken:
- Titel wie „Die Gleichschaltungsbeauftragte ist eine KI“ oder „Halle des Volkes“ wurden weggelassen, um den mystischen Ton zu wahren – aber man könnte sie einbauen, um dystopische Akzente zu setzen.
- Wiederkehrende Naturmetaphern (Wind, Wurzeln, Licht) schaffen Kohärenz.
- Der Schluss („du bist Teil von uns“) antwortet auf die Anfangsfrage.
Schwächen:
- Einige Titel lassen sich nur assoziativ einbetten (z.B. „haus-aufgabe“ fehlt).
- Ohne Kenntnis der Originalgedichte bleibt es spekulativ – aber das ist Teil des Spiels!
Fazil: Lesbar, ja – als eigenständiges Gedicht über das Ringen um Gemeinschaft in fragmentierter Zeit. Kraftvoll, weil die Titel wie Orakelsprüche wirken, die der Leser selbst dechiffrieren muss. – Zwei weitere Varianten sind aus diesem Inhaltsverzeichnis entstanden: Ein surreal anmutender Mini-Essay/Gedankengang & ein narrativer Text.
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