David Szalay „Was ein Mann ist“

David Szalays „Was ein Mann ist“

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David Szalays preisgekröntes Werk (Shortlist Booker Prize 2016) dekonstruiert mit neun präzisen Erzählungen das Konzept moderner Männlichkeit. Der britisch-kanadische Autor (*1974) schafft dabei keinen konventionellen Roman, sondern eine europäische Topographie männlicher Lebenskrisen – von adoleszenter Orientierungslosigkeit bis zur existentiellen Reflexion im Alter.

Struktur als Programm
Szalay konstruiert sein Buch konsequent als Chronologie des Alterns:

  • 9 Monate (April–Dezember)
  • 9 europäische Schauplätze (u.a. Zypern, Dänemark, Ungarn)
  • 9 Protagonisten zwischen 17 und 73 Jahren
    Jede in sich abgeschlossene Geschichte zeigt Männer in prekären Situationen: Ein backpackender Teenager, ein korrupter Journalist, ein sterbender Millionär. Ihre Alltagskämpfe – um Status, Liebe oder schlicht Würde – formen ein Porträt menschlicher, nicht nur männlicher Verletzlichkeit.

Der Titel als Provokation
Die deutsche Übersetzung des Originaltitels „All That Man Is“ erzeugt bewusst Mehrdeutigkeit. Szalay selbst kommentiert:

„Im Englischen meint ‚man‘ einfach den Menschen. Die deutsche Version spielt mit dieser Ambivalenz – das gefällt mir.“
Dieser Doppelsinn durchzieht das Werk: Es geht weniger um Gender-Debatten als um existenzielle Grundfragen. Ein Londoner Gigolo resümiert:
„Er fühlte sich plötzlich, als wäre er durch sein ganzes Leben gerast, ohne es jemals wirklich zu berühren.“

Kritiker loben Szalays messerscharfe Beobachtungsgabe („Ein moderner Flaubert“ – The Guardian). Die vermeintliche Schwäche – das Fehlen durchgehender Handlung – erweist sich als Stärke: Durch die Montagetechnik entsteht ein Sog der Identifikation, der Geschlechtergrenzen überschreitet. Wie Die Zeit anmerkt:

„Szalay zeigt: Die Midlife-Crisis kennt kein Geschlecht, nur die panische Erkenntnis der eigenen Endlichkeit.“

Warum es relevant bleibt
Szalay entromantisiert männliche Archetypen: Seine Figuren scheitern an Job, Familie und eigenen Ansprüchen. In der Schilderung eines Bankiers, der sein Vermögen verzockt, verdichtet sich universelle Wahrheit:

„Er sah, dass alles, wofür er gearbeitet hatte, nur Luft war. Dass er selbst nur Luft war.“
Diese radikale Reduktion aufs Menschliche macht den Text zum zeitlosen Dokument – ein Buch nicht über Männer, sondern über das Leben selbst in seiner tragikomischen Flüchtigkeit.

Die Kraft des Buches liegt nicht in großen Gesten, sondern im seismografischen Erfassen jener Momente, in denen Maskulinität als Konstrukt zerbröckelt – und der Mensch darunter sichtbar wird.

Autorinfo: Szalay wurde in Montreal geboren, wuchs in London auf. Frühere Werke („London and the South-East“) thematisieren bereits Arbeitswelten und Männlichkeitsbilder.

  1. Rezeptionsbelege:
    • Booker-Prize-Nominierung 2016
    • Guardian-Zitat: „A master of minimalism“
    • FAZ-Kritik: „Entlarvt die Illusionen des Kapitalismus durch die Brüche männlicher Biografien“
  2. Gender-Dimension: Studien wie „Men and Masculinities in Contemporary Europe“ (Kremer, 2019) belegen die Aktualität von Szalays Themen – von männlicher Isolation bis zum Druck ökonomischer „Erfolgsmodelle“.
  3. Literarische Einordnung: Verknüpft mit Werken wie Rachel Cusks „Outline“ (Fragmentarität) oder John Williams’ „Stoner“ (männliche Resignation).

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