Kategorie: Lyrik
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BECKENENDLAGE – Kathrin Niemela
Annäherung an ein grausames Gedicht | Der Titel wirkt harmlos medizinisch: „Beckenendlage“. Ein Begriff aus der Geburtshilfe – das Kind liegt mit Füßen oder Gesäß voran im Mutterleib, eine riskante Position. Doch im Gedicht führt dieser Titel nicht in den Kreißsaal, sondern ins Wasser: zu einem „Ertränkungsbecken“ in Island. Historische Orte, reale Gewalt Der Name…
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Marina Büttner – Jüdischer Friedhof Weißensee
Annähernd gelesen | Gedichtlektüre und Kontext. Das 1-strophige Gedicht von Marina Büttner verdichtet eine Momentaufnahme auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee zu einer Folge von starken, teils naturrohen Bildern, in denen persönliche Erschütterung und historische Schwere ineinanderfließen. Zwischen verwitterten Steinen, Symbolen und Zeichen des Verfalls verhandelt es die Beziehung von Zeit, Wahrheit und Erinnerung. Der Jüdische…
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Guido Zernatto || Gebet
Ich bete zu Gott, weil in seiner Hand Mein Sein ist, mein Leib, mein Gefühl, mein Verstand, Mein Hoffen, mein Trachten zu jeglicher Stund Und ohne ihn redet kein Wörtlein mein Mund. Ich bete zu Gott, weil das Firmament Kein Licht und kein Lebendsein ohne ihn kennt; Ohne ihn steigt kein Tag auf den Bergen…
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Süleyman I. & Roxelane | Liebesbekundungen
Aus einem Liebesbrief an den Sultan und seine poetische Widmung an Roxelane Während seiner Feldzüge ließ Sultan Süleyman I. (1494 – 1566) keinen Moment aus, um seiner geliebten Hürrem [Roxelane], die im Schloss auf ihn wartete, Briefe und Gedichte zu schreiben. Diese verliehen Hürrem Kraft und Hoffnung auf ein Wiedersehen. Auch ihre Antworten drückten leidenschaftliche Sehnsucht…
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Ille Chamier – Rosestock Holderblüh
2 Minuten—
Von
Ille Chamiers Gedicht Rosestock Holderblüh verdichtet ihre Kindheitserinnerungen an den Zweiten Weltkrieg zu einer poetischen Collage aus Trauma und Überlebenspoesie. Geboren 1937, erlebte sie die Bombennächte um 1943 – als Sechsjährige – in unmittelbarer existenzieller Bedrohung, wie die Zeilen „horchte ich nach den Bombengeschwadern“ bezeugen. Die Szene der zersplitterten Fenster („Scherben lagen ums Gitterbett“) neben der unverletzten Schwester offenbart…
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margueriten – Norbert Hummelt
Das Gedicht als transgenerationale Übersetzungsarbeit? Eine Annäherung | In „margueriten“ rekonstruiert Norbert Hummelt nicht einfach die Erinnerungen seiner Mutter an den Zweiten Weltkrieg – er macht den Prozess der Rekonstruktion selbst zum Thema. Das lyrische Ich (als nachgeborener Sohn) wird zum Archäologen mütterlicher Erfahrungen, die nur fragmenthaft überliefert sind: in abgebrochenen Sätzen, verweigerten Liedern und weggelegten…
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Frauke Tomczak – Zwei Ewigkeiten in drei
Annähernd gelesen | Zwei Ewigkeiten in drei schildert, wie das lyrische Ich „in der Ecke“ steht – nicht orientierungslos, sondern gezwungenermaßen im Dreieck von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Dieser symbolische Dreiklang wird zur Falle: eine „Triangel-Ecke“, in der sich das Ich verunsichert, beschämt und fragmentiert fühlt. Es bewegt sich unsicher zwischen Zuspruch und Urteil…
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die namen der eisheiligen
Annähernd gelesen | Nathalie Schmids Gedicht „die namen der eisheiligen“ ist eine dichte lyrische Miniatur, die existenzielle Verlusterfahrung in einer poetischen Collage aus Stadt- und Naturbildern verarbeitet. In freier Form, ohne Satzzeichen oder konventionelle Struktur, oszilliert das Gedicht zwischen Bewegung und Erstarrung, zwischen Geräuschkulisse und sprachloser Introspektion. Es thematisiert das Ringen um Orientierung in einem…
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Nathalie Schmid – herbrig
Interpretation zu Nathalie Schmids Gedicht „herbrig“ Nathalie Schmids Gedicht „herbrig“ ist ein poetischer Erinnerungsraum, der sich mit Vergänglichkeit, Heimatverlust und dem Bewahren des Alltäglichen beschäftigt. In einer fragmentarisch-assoziativen Struktur – typisch für zeitgenössische Lyrik – reiht die Autorin Bilder aneinander, die zwischen Melancholie und stillem Humor oszillieren. Jede Strophe beginnt mit dem Wort „bevor“, wodurch…
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Abzeichen
In diesem Fall habe ich versucht, mir Ille Chamiers Gedicht „Heil“ über Erzählungen aus der eigenen Familie zu erarbeiten. Daraus ist eine Art Gedicht entstanden: ich war fünf, als mein Bruder das Abzeichen bekamgoldenes Hakenkreuz auf rotem Grunder steckte es sich ans Hemd wie ein Versprechendie Mutter sagte: sei stolz im Schulflur hing der neue…