Coming-of-Age jenseits der 50: Warum Erwachsene Erwachsenenromane lesen
Coming-of-Age-Romane gelten oft als literarische Domäne der Jugend – doch warum sollten sie es sein? Wer im fortgeschrittenen Alter solche Werke liest, stößt bisweilen auf irritierte Blicke oder den Vorwurf, sich an längst überwundenen Konflikten festzuhalten. Tatsächlich können diese Geschichten jedoch eine besondere, oft unterschätzte Tiefe entfalten, wenn man sie mit dem Abstand von Jahrzehnten betrachtet.
Zugegeben: Die existenziellen Kämpfe um Identität, Zugehörigkeit oder Selbstbestimmung mögen wie Relikte der eigenen Vergangenheit wirken. Doch gerade diese Distanz ermöglicht es, die universellen Themen hinter jugendlichen Protagonist:innen neu zu entdecken – sei es die Suche nach Authentizität, der Kampf gegen gesellschaftliche Erwartungen oder die fragile Schönheit des Scheiterns. Es sind keine Probleme, die man „hinter sich lässt“, sondern Erfahrungen, die das Menschsein prägen – in jedem Alter.
Zugleich offenbart sich eine melancholische Spannung: Die eigene Jugend erscheint plötzlich wie ein fremdes Leben, das man durch die Brüche der Zeit betrachtet. Doch genau darin liegt die Stärke. Coming-of-Age-Literatur wird zum Spiegel, der nicht nur Erinnerungen weckt, sondern auch Empathie schult – für die junge Generation von heute und für das eigene, einst ratlose Ich.
Letztlich ist Literatur nie an Altersgrenzen gebunden. Ob Jane Austens selbstbewusste Heldinnen, Goethes Werther oder zeitgenössische Stimmen wie Angelika Klüssendorfs april: Coming-of-Age-Geschichten sind zeitlose Erkundungen des Werdens. Und wer weiß – vielleicht erkennen wir uns im Rückblick sogar klarer, als wir es je in der Gegenwart der Jugend konnten. Die Frage ist, ob man(n) sich das antun möchte. Allerdings: wenn man hat Kinder und ist zwischendurch ratlos…dann kann so ein Coming-of-Age-Roman eine Brücke sein…und das ist dann vermutlich eine andere Geschichte.
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