zu sein das haus auf dem weg - Günter Abramowski - ersatzgestalt

ich denke – Günter Abramowski

Eine Annäherung | Dieses Gedicht – eigentlich ohne Titel – steht auf dem Buchdeckel des Bandes zu / das haus / auf dem weg und scheint eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zur Zeit, zur Welt und zum eigenen Ich zu sein.
Den ersten Teil, „auch bin ich was ich weiß / trotz dem / mein wollen im leben / hinter der zeit die Welt erfahren / bin das haus auf dem weg / unsere geheimnisse hütend“, interpretiere ich so, dass das Wissen des Sprechers zwar eine Rolle spielt, aber ein tieferes Bedürfnis nach Erfahrung über das Verstandene hinausgeht. Es scheint, als wolle der Sprecher die Welt in einer Weise erleben, die jenseits des bloßen chronologischen Ablaufs der Zeit liegt, vielleicht in einer Art tieferer, umfassenderer Wahrnehmung. Die Metapher „bin das haus auf dem weg / unsere geheimnisse hütend“ könnte darauf hindeuten, dass der Sprecher eine Art Bewahrer von inneren Wahrheiten oder gemeinsamen Erfahrungen ist, der sich selbst als einen Ort oder einen Behälter auf einer Reise versteht.

Der zweite Teil des Gedichts, „Ein Versuch, sich die Zeit zu nehmen, / in der Begegnung mit dem Anderen, / in dessen Antlitz, die eigene Schwäche und / Sterblichkeit empfinden: / Mein Ich & die Welt in der Sorge um den Anderen spiegeln“, verlagert den Fokus auf die Beziehung zum „Anderen“. Hier scheint es darum zu gehen, dass in der direkten Begegnung mit einem Mitmenschen eine Reflexion des eigenen Ichs stattfindet. Das Erfahren der eigenen Schwäche und Sterblichkeit im Angesicht des Anderen könnte bedeuten, dass die eigene Begrenztheit und Endlichkeit durch den Blick des Anderen bewusster wird. Die Zeile „Mein Ich & die Welt in der Sorge um den Anderen spiegeln“ könnte darauf hinweisen, dass das eigene Selbstverständnis und die Wahrnehmung der Welt durch die Empathie und Fürsorge für andere geprägt und geformt werden. Es scheint, als fänden das Ich und seine Beziehung zur Welt erst durch die Hinwendung zum Anderen ihre volle Bedeutung und ihren Ausdruck.


Eine andere Ebene der Betrachtung

Aus einer reflektierenden Perspektive könnte der Autor möglicherweise vermitteln wollen, dass die wahre Erkenntnis des Selbst und der Welt nicht isoliert stattfindet, sondern in der Verbindung und Auseinandersetzung mit anderen. Es scheint, als ob das Gedicht die Idee vertritt, dass das individuelle Ich in seiner Entwicklung und seinem Verständnis nicht losgelöst von der Gemeinschaft oder den Beziehungen zu anderen existiert. Vielmehr wird die eigene Menschlichkeit, einschließlich ihrer Verletzlichkeit und Vergänglichkeit, erst in der Interaktion mit dem „Anderen“ voll erfahrbar.
Die „Sorge um den Anderen“ könnte dabei nicht nur als altruistisches Gefühl verstanden werden, sondern als ein entscheidender Faktor, der dem eigenen Leben und der eigenen Existenz eine tiefere Dimension verleiht und das Ich in Beziehung zur Welt setzt. Es geht möglicherweise darum, dass man erst durch das Überwinden der reinen Selbstbezogenheit zu einem umfassenderen Verständnis von sich selbst und seiner Rolle in der Welt gelangt.

Wieder tue ich mich mit Gedichten schwer, in denen es ausschließlich um das theoretische Reflektieren geht. Beim Lesen ist die Idee einer Antwort in Gedichtform gekommen. Anlass ist die jährlich stattfindende Kulturelle Landpartie im Wendland:


Der Töpfer und das offene Tor

Ich bin jetzt hier, wo Lehm sich formt zur Schale,
mein Haus steht fest, doch auf dem Weg der Zeit.
Was ich einst wusste, ist nun Materie, reale,
durch Hand und Feuer in die Welt geweiht.
Ich hüt‘ kein Wissen mehr, doch unsre Geheimnisse zeig ich,
im Schein der Lampe, wenn die Nacht sich senkt.

Dann kommt die Landpartie, das Tor ist offen,
ein Strom von Menschen zieht durch meinen Garten.
In jedem Blick, der auf mein Werk fällt, unverhofft,
sehe ich mich selbst – ein Staunen, das mich packt.
In ihrem Antlitz, fremd und doch so nah,
fühle ich meine Mühe, ja, und auch die Kraft, die war.

Die eigenen Hände schufen, was sie sehen,
doch meine Schwäche, auch sie steht da blank.
Wenn ein Werk zerbricht, muss ich es verstehen,
der Sterblichkeit des Tones, dem Vergangen-Dank.
Doch mein Ich und die Welt – sie spiegeln sich nicht nur im stillen Sein,
sondern in der Sorge, ob meine Kunst sie erreicht.

In dieser Begegnung, wo die Worte reichen,
wo Lob erklingt, ein Lächeln auf das Gesicht,
da sehe ich, wie das, was aus mir strich,
nun lebt, im andern Anteil nimmt, mein Licht.
So wird die Sorge um den Anderen zur Form, zum Klang,
und mein Leben hier, ein ewiger Gesang.

Titelfoto: Hans Dietmann


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