Informationen über Ille Chamier (geboren 1937 in Düsseldorf oder wie mancher sagt „am linken Niederrhein“) sind fragmentarisch und schwer zugänglich. Selbst Wikipedia führt keinen Eintrag. Diese Recherche fasst zusammen, was ich bisher über ihre vielseitige künstlerischen Arbeit herausgefunden habe.

Ein Leben zwischen Tanz, Wort und Leinwand:
Chamiers Weg war von Beginn an interdisziplinär geprägt. Sie begann ihr Studium mit Tanz an der Folkwangschule in Essen – gemeinsam mit der späteren Legende Pina Bausch. Nach einem Studium der Germanistik, Romanistik und Philosophie in München kehrte sie nach Düsseldorf zurück, wo sie auch einige Semester an der renommierten Kunstakademie verbrachte. Sie zog ihre fünf Kinder groß und entschied sich, dieses vorerst in den Mittelpunkt zu stellen. Doch die künstlerische Energie ließ sich nicht wirklich unterbrechen. Sie knüpfte den Kontakt zu Pina Bausch neu und wirkte von 1977 – 1980 als Dramaturgin am Tanztheater Wuppertal. Ihr Gedicht „Pina“ – mit den Zeilen „sie hat die Hände / in der Luft und lässt Möwen fliegen / das hat sie so an sich“ – zeugt von der Verbindung zur Choreografin und der Kunst der Bewegung.

Das literarische Werk – Vieles im Verborgenen:
Trotz dieses reichen Schaffenshorizonts ist Ille Chamiers literarisches Werk öffentlich kaum fassbar. Nur zwei Bücher fanden den Weg in Verlagsprogramme:

  • „Setz dich hin und lächle“ (1979): Ein poetischer Text in einem frühen Fotoband über Pina Bausch. –
  • „Tagtexte“ (1980): Ihre bekannteste Textsammlung. – Vergriffen, daher im Antiquariat erworben (aktualisiert: 10-06-2025).
  • Im Zine „DAS ZÜNDBLÄTTCHEN“ – Heft 21 – widmet sich Else Goldeinigen ihrer Gedicht, begleitet von Karen Roßkis Zeichnungen.

Selbstverlegte Werke – Eine Phantom-Bibliothek?
Sie verlegte ihre texte auch im Eigenverlag (Edition Textille?). Sie schuf aufwändig gestaltete Bücher, oft mit eigenen Grafiken, Zeichnungen und Malereien illustriert, die selbst schon kleine Kunstwerke sind. Ihre Titel sind Programm und Poesie zugleich: „Gezinktes Licht“ (2003/2006), „Hu Hu – I can fly and you?“ (2007), „Turandot“ (2007). Diese Veröffentlichungen sind heute äußerst selten und schwer zu beschaffen.

Randnotiz: Titel wie „Gezinktes Licht“ (2003/2006) oder „Hu Hu – I can fly and you?“ (2007) tauchen nur in Ankündigungen der Lesungen auf. Keine Bibliothek katalogisiert sie online – nicht einmal die Deutsche Nationalbibliothek. Einzig ein Auktionshinweis (Zisska & Schauer, 2021) für „Turandot“ (2007) belegt ihre physische Existenz.

Eine Stimme für feministische Themen:
Ein Fenster zu ihrem Schreiben bietet auch die Erzählung „Am Tag, als ich hinfuhr, zum Treffen schreibender Frauen…“, erschienen 1979 in der „Courage – Berliner Frauenzeitung“ (online einsehbar). Hier setzt sie sich eindringlich mit der Vereinbarkeit von Schreibarbeit und Sorgearbeit auseinander – ein Thema von fortwährender Aktualität. – Die Erzählung habe ich mir hier genauer angeschaut.Und hier habe ich schreibend erkundet, wie dieser Text wohl als Gedicht ausgesehen hätte. (Eine Fingerübung um Ille Chamiers Schreibstil zu ergründen.)

Die Sprache – Erdung und Flug:
Chamiers Poesie wird als eine Kunst beschrieben, die „auf den Füßen der Alltagssprache“ daherkommt. Es ist eine geerdete Sprache, die durch ihre ungewöhnlichen Kombinationen und Verdichtungen den Leser zum Stocken, Staunen und Aufhorchen bringt – ein „ähnlicher und doch ungleicher Tanz“ (so die Beschreibung anlässlich einer Lesung mit Norbert Hummelt 2015 beim Onomato Künstlerverein). Ihr einnehmendes Sprachgefühl zeigt sich auch in Fundstücken, wie im Zine „Das ZÜNDBLÄTTCHEN“von Else Gold – Heft 21„Ihre geerdete Sprache und wie sie die Wörter zusammenfügt, ist seit langem mal wieder etwas, was mich umgehend in den Bann gezogen hat.“

Die Spurensuche geht weiter:
2017 wurde Ille Chamier zu ihrem 80. Geburtstag mit einer Ehrenlesung und einer Ausstellung ihrer bildnerischen Arbeiten im Onomato Künstlerverein gewürdigt – eine späte, aber verdiente Anerkennung. Doch selbst diese Würdigung unterstreicht das Rätsel: Trotz eines „frappierend vielfältigen kreativen Schaffens“ (WAZ, 2017) bleibt sie eine fast Unsichtbare.

Ille Chamier ist eine Künstlerin, die sich dem Mainstream bewusst entzogen zu haben scheint. Ihr Werk existiert in der schmalen Zone zwischen hochkünstlerischem Anspruch und radikaler Privatheit. Diese Spurensuche kann nur ein Anfang sein. Wer weiß mehr über Ille Chamier? Wer besitzt eines ihrer selbstverlegten Bücher wie „Gezinktes Licht“ oder „Hu Hu – I can fly and you?“ und mag mir davon berichten? Wer kann Zugang zu weiteren Texten, Erzählungen oder Informationen über ihr malerisches und zeichnerisches Werk ermöglichen? Jeder Hinweis, jedes Fragment ist willkommen, um das Bild dieser faszinierenden Grenzgängerin zwischen den Künsten weiter zu vervollständigen. Ille Chamiers Werk sollte sichtbarer werden – dazu möchte ich beitragen.


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