Annähernd gelesen | Dieser Tagtext von Ille Chamier, die 3 Jahre dramaturgische Mitarbeiterin am Tanztheater Pina Bausch in Wuppertal war, vermittelt eine bemerkenswert intime und vielschichtige Perspektive auf die berühmte Choreografin und Tänzerin. Die Zeile „ich komme nicht gegen die Pina an“ drückt eine tiefe Anerkennung von Bauschs unbestreitbarer Dominanz und Einzigartigkeit aus. Sie spricht für ihre kreative Kraft und unverwechselbare Präsenz, der sich Chamier als Künstlerin nicht entziehen konnte, geschweige denn mit der sie sich messen möchte.
Die Beschreibungen, wie Pina „die Hände in der Luft [hat] und Möwen fliegen lässt“ , oder dass „auf ihren Schultern Spatzen [springen], höckrige Wölkchen bläst sie herüber„, vermitteln mir ein Gefühl der Flüchtigkeit und des Mysteriums, das gut zu Pina Bauschs avantgardistischen und oft abstrakten Inszenierungen passt. Diese ätherischen Bilder spiegeln die unkonventionelle und schwer fassbare Natur ihrer Kunst wider.
Die darauf folgende Strophe „sie winkt, ich soll weggehn / ein bißchen zur Seite / ich setze mich, so dünn ich kann“ vermittelt eine komplexe Mischung aus Distanz und gleichzeitigem, fast demütigen (?) Näherkommen. Pinas Geste des Wegschickens wird von Chamiers Handlung, sich „so dünn ich kann“ zu setzen, beantwortet – ein Ausdruck des Wunsches, präsent zu sein, ohne aufdringlich zu wirken, oder sich angesichts der starken Persönlichkeit Pinas klein zu machen. Es ist ein stetiger Balanceakt zwischen Nähe und Respekt in der Interaktion mit einer solch dominanten Persönlichkeit zu finden.
Erst in der nächsten Strophe kommt die direkte Berührung ins Spiel: „auf ihrer Wange / ist kein ungeküßter Fleck mehr frei / schimpft einer, der sie / gerne küßt“. Zeilen, die die Popularität und Anziehungskraft Pinas nochmals verdeutlichen, die viele bewundern und lieben. (Ob sie privat auch so war?) Der „schimpfende“ Verehrer könnte dabei die Eifersucht oder den Wunsch nach Exklusivität angesichts Pinas breiter Beliebtheit und Anziehungskraft zum Ausdruck bringen.
Das Gedicht selbst, mit seinen lebendigen und teils surrealen Bildern, scheint von Bauschs künstlerischer Herangehensweise inspiriert zu sein und unterstreicht die tiefe Verbundenheit zwischen Chamier und Bauschs künstlerischem Schaffen. Und die herrliche, bildhafte Darstellung von Pina in der letzten Strophe, die „lacht wie trockenes Brot“ , „listig wie ein Fisch“ und „faul wie ein Bilderbuch“ ist, erzeugt ein – in diesem Sinne – bewegtes Kopfkino.
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Tagtexte – Ille Chamier
LektüreNotizen | Knappe biografische Angaben zur Autorin, ansonsten: kein Klappentext, kein Marketingsprech, kein Inhaltsverzeichnis. Man ist im Grunde mit sich und den Texten allein. Das ist gut. Die Tagtexte sind in Lyrikform ; wobei ich nicht weiß, ob der Einzeiler am Anfang bereits ein Gedicht ist. Jedenfalls ist er der Einstieg in eine (zu erzählende)…
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Literaturliste I.C.
Diese Liste bezieht sich auf Ausgaben mit Texten von Ille Chamier, die in meinem Bestand sind. Ich freue mich über jeden Hinweis, wo weitere Texte, Illustrationen, Bilder zu finden sind. DAS ZÜNDBLÄTTCHEN – Heft 21 – Text – weiterlesenEDITION DREIZEICHEN – 2007 – Hg. Else Gold und WEH (Wolfgang E. Herbst Silesius) DAS ZÜNDBLÄTTCHEN –…
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Ille Chamier & Karen Roßki
DAS ZÜNDBLÄTTCHEN – Heft 21 LektüreNotizen | Das Heft beinhaltet acht Gedichte der in Düsseldorf lebenden Autorin Ille Chamier und vier Bleistiftzeichnungen der Dresdner Künstlerin Karen Roßki. Stammabschnitte von Bäumen, die, obwohl blattlos, für mich die Energie der vier Jahreszeiten vermitteln. Details von Ästen, , markante Jungbäume, Totholz(?). Die Zeichnungen erinnern teils an Fabelwesen, so…
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Ille Chamier – Am Tag, als ich hinfuhr, zum Treffen schreibender Frauen…
Die Erzählung „Am Tag, als ich hinfuhr, zum Treffen schreibender Frauen…“ (erschienen in Courage – Berliner Frauenzeitung, Juli 1979) offenbart scharfe gesellschaftskritische und feministische Positionen: Die Last der unsichtbaren Arbeit Ille Chamier beschreibt minutiös, wie Care-Arbeit (Kinderbetreuung, Haushalt) ihr Schreiben behindert. Bevor sie zum Frauentreffen aufbrechen kann, muss sie ein komplexes Netz aus Versorgungsaufgaben organisieren:…
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Ille Chamier – Meine Spurensuche
Informationen über Ille Chamier (geboren 1937 in Düsseldorf oder wie mancher sagt „am linken Niederrhein“) sind fragmentarisch und schwer zugänglich. Selbst Wikipedia führt keinen Eintrag. Diese Recherche fasst zusammen, was ich bisher über ihre vielseitige künstlerischen Arbeit herausgefunden habe. Hier ist der fließende Text im journalistischen Ton, basierend auf den gelieferten Bausteinen: Ein Leben zwischen…
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