Der Lyrikband „Poesie und Pandemie“ der Autorin Safiye Can erschien am 26. Juli 2021 im Wallstein Verlag in Göttingen 1. Das 96 Seiten umfassende Hardcover umfasst Gedichte, die sich mit der COVID-19-Pandemie sowie mit anderen gesellschaftlichen „Pandemien“ auseinandersetzen 1. Der Band, der bereits in zweiter Auflage vorliegt, kostet 18,00 € (Deutschland) beziehungsweise 18,50 € (Österreich) und enthält acht teils farbige Abbildungen 1.
Die Gedichtsammlung thematisiert auf vielfältige Weise die Auswirkungen der Pandemie, wobei der Begriff „Pandemie“ im Titel bewusst weit gefasst wird 3. So werden neben der COVID-19-Pandemie auch andere globale Krisen und Missstände wie Diskriminierung, Rassismus und die Benachteiligung von Frauen in den Blick genommen 1. Die Verse fragen danach, was diese Pandemien mit den Menschen machen und welche Erkenntnisse aus diesen Erfahrungen gezogen werden können oder sollten 3.
Was im Feuilleton geschrieben wurde:
Christine Lauer vom Tageblatt hebt in einer Rezension die „kaleidoskopische Vielfalt“ des Bandes hervor und betont, wie umfassend und schmerzhaft die Pandemie als kollektive Erfahrung dargestellt wird 1. Ein Kapitel trägt den Titel „Windlicht für dunkle Tage“ 4, was auf ein intendiertes Motiv des Trostes und der Hoffnung in schwierigen Zeiten schließen lässt. Die Verbindung von COVID-19 mit anderen gesellschaftlichen Problemen legt eine Betrachtung der Pandemie als Teil eines größeren Geflechts globaler Herausforderungen nahe 1.
In einem Interview äußert sich Safiye Can zu ihrem Schreiben und betont ihre „Pflicht, als Autorin nicht zu schweigen“ angesichts gesellschaftspolitischer Ereignisse wie dem Anschlag in Hanau 2020 oder dem Umgang mit sogenannten Einzeltätern 6. Timo Brandt von signaturen-magazin.de analysiert in seiner Rezension das Gedicht „Aussicht auf Leben und Gleichberechtigung“ und zitiert daraus: „Frauen. kauft von Frauen. lest von Frauen. Frauen. erkennt eure Kraft. erkennt eure Macht. Die Welt muss lila werden. Die Welt. wird. lila. werden!“ 7. Dieses Zitat verdeutlicht die Auseinandersetzung mit feministischen Themen innerhalb der Sammlung. Brandt erwähnt ebenfalls den Beginn des Gedichts „Wir gehören zusammen“: „Wenn in Hanau eine türkische Mutter weint / um den Tod ihres Sohnes / weint eine deutsche Mutter mit / und sie sind sich nie begegnet / Eine Mutter ist eine Mutter / Wir sind eins / wir gehören zusammen.“ 7. Dieses Beispiel illustriert die Thematisierung von Empathie und gemeinsamer Menschlichkeit angesichts von Tragödien. Die Einbeziehung konkreter Ereignisse wie des Anschlags in Hanau unterstreicht die Rolle der Poesie als eine Form der Auseinandersetzung mit realen gesellschaftlichen Geschehnissen 6.
Die Lyrik in „Poesie und Pandemie“ bedient sich einer Vielfalt an Formen, darunter Collagen, konkrete und visuelle Poesie, Langgedichte sowie konventionellere Gestalten 2. Charakteristisch für Cans Stil sind Rhythmik und Klang, unerwartete Wendungen und eindringliche Bilder 2. Das mitunter Schmerzliche, das in den Gedichten zum Ausdruck kommt, wird in einen einnehmenden musikalischen Ton überführt 1. Elisabeth Stuck vom Blog lauftext zitiert in einer Rezension die Mischung aus „Banalem“ und „Witzigem“ sowie die eingearbeiteten Nachrichtenmeldungen, die den Rhythmus der Gedichte aufbrechen 1. In einem Interview spricht Safiye Can über ihr Gedicht „Integration“, das die Form der konkreten Poesie nutzt, und über das Langgedicht „Poesie und Pandemie“, in das sie collagenartig Nachrichtenmeldungen einwebt. Sie betont dabei die Bedeutung des „Spielens mit der Sprache“ 6. Auf lauftext.com wird zudem Cans Faszination für konkrete Poesie, visuelle Poesie und Textcollagen erwähnt 5. Die Verwendung unterschiedlicher Formen unterstreicht einen experimentellen Ansatz, der möglicherweise die fragmentierte Erfahrung der Pandemie widerspiegelt.
Die Autorin selbst bezeichnet in einem Interview ihre politische Lyrik als Ausdruck der „Liebe zum Menschen“ 6. Der Titel eines Kapitels, „Windlicht für dunkle Tage“ 4, deutet darauf hin, dass Can mit ihren Gedichten Trost und Orientierung in schwierigen Zeiten spenden möchte. In einem Gespräch mit der Büchergilde äußert sie, dass sie während des Ausbruchs der Pandemie an einem anderen Gedichtband arbeitete, aber das Bedürfnis verspürte, diese „Ausnahmesituation aus der Ausnahmesituation heraus“ (Memo: Auch Carolin Emcke) festzuhalten. Die Verse seien ihr förmlich zugeflossen 6. Sie habe mit dem Schreiben kaum nachgekommen und sah es als ihre „Pflicht, als Autorin nicht zu schweigen“ 6. Can beabsichtigte, mit dem Band ein „Zeitdokument“ für alle zu schaffen, die diese Zeit bewusst oder unbewusst erlebt haben, und die Verstorbenen sowie deren Angehörige nicht in Vergessenheit geraten zu lassen 6. Zudem hofft sie, dass ihre Leserinnen und Leser auch lachen können, da Lachen ein Mittel zur Verarbeitung von Traumata sei 6. Das Motto des Buches, ein Zitat von Søren Kierkegaard: „Sieh, darum will ich lieber Schweinehirt sein auf Amaberbro und von den Schweinen verstanden sein, als Dichter sein und mißverstanden von den Menschen.“8, könnte darauf hindeuten, dass Can Wert darauf legt, verständlich zu sein und eine breite Leserschaft zu erreichen.
Einige prägnante Zitate aus dem Band verdeutlichen die thematische und stilistische Vielfalt. So wird in Rezensionen der Titel „Windlicht für dunkle Tage“ 2 als charakteristisch genannt. Das Gedicht „Wir gehören zusammen“ enthält die Zeilen „Eine Mutter ist eine Mutter. Wir sind eins. wir gehören zusammen. Eine Frau ist verliebt in eine Frau. ein Mann verliebt in einen Mann. Ja, und? Liebe ist Liebe. Wir sind eins. wir gehören zusammen.“ 7. Der Titel „Liebe zur Quarantänezeit“ 2 verweist auf die unmittelbare Auseinandersetzung mit den besonderen Umständen der Pandemie. Die Beschreibung als „messerscharf und doch voller Menschenfreundlichkeit“ 2 fasst eine weitere Facette des Bandes zusammen. Timo Brandt zitiert aus dem Gedicht „Poesie und Pandemie“ die Zeile „und schon bist du Hauptdarsteller*in einer Pandemie“ 7, welche die plötzliche und einschneidende Natur der Pandemie für den Einzelnen verdeutlicht. Die Wiederholung des Satzanfangs „Wenn du eine Frau bist“ in 53 Versen des gleichnamigen Gedichts 5 demonstriert Cans Einsatz von Repetition als stilistisches Mittel.
Die Rezeption von „Poesie und Pandemie“ fällt insgesamt überwiegend positiv aus, wenngleich auch kritische Stimmen zu vernehmen sind. Zahlreiche Rezensionen loben die thematische Vielfalt und die Art und Weise, wie die Pandemie als kollektive Erfahrung dargestellt wird 1. Michael Augustin von Lesart bezeichnet den Band als „Gedichtband für die seelische Hausapotheke“ 1, während Matthias Ehlers auf WDR5 von „einem Haufen guter Gedichte“ spricht 1. Christine Lauer (Tageblatt) hebt hervor, dass Cans Lyrik „eingängig und raffiniert zugleich“ sei und zwischen „lyrischem Bild und einem starken gesellschaftspolitischen Engagement“ oszilliere 1. Andreas Wirthensohn (Wiener Zeitung) nennt die Gedichte „höchst fein beobachtete, erfrischende und vor allem alles andere als wehleidige Lockdown-Lyrik“ 1. Barbara von Korff-Schmising (Der evangelische Buchberater) betont das Engagement der Gedichte und deren Fähigkeit, konkret Erlebtes in Erinnerung zu rufen 1. Uta Grossmann (Evangelische Zeitung) lobt die „kunstvollen Collagen“, die über die Wortkunst hinaus Assoziationsräume eröffnen 1. Elisabeth Stuck (Blog lauftext) empfiehlt, den Band in die Hand zu nehmen und sich darin zu vertiefen 1, und das Höchster Kreisblatt lobt die Mischung aus Banalem und Witzigem sowie den Umstand, dass der Band Lust auf mehr Lyrik mache 1. Lars Hennemann (Rhein-Zeitung) bezeichnet die Gedichte als „messerscharf und doch voller Menschenfreundlichkeit“ 1.
Demgegenüber äußert Björn Hayer in der Frankfurter Rundschau eine kritischere Perspektive. Er empfindet einige Gedichte als „wohlfeile ‚Glückskeks-Poesie’“ und bemängelt, dass das Lamento über Nationalismus und Sexismus die Sammlung verwässere. Positiv hebt er jedoch die Liebesgedichte über verpasste Küsse hervor 3. Timo Brandt von signaturen-magazin.de schätzt zwar Cans Empathie und ihr Engagement, kritisiert jedoch, dass einige Gedichte, insbesondere „Aussicht auf Leben und Gleichberechtigung“ und der Beginn von „Wir gehören zusammen“, eher wie Slogans wirken 7. Er bemängelt das Fehlen von Offenheit und Ambivalenz und empfindet das lange Gedicht „Poesie und Pandemie“ als zu wenig persönlich und eher wie einen Nachrichtenbericht 7. Das Gedicht „Wenn du deine Frau bist“ wird von ihm jedoch als sehr gelungen hervorgehoben 7. Die unterschiedlichen Reaktionen zeigen, dass der Band bei verschiedenen Leserinnen und Lesern unterschiedliche Eindrücke hinterlässt, wobei die Direktheit und das starke gesellschaftspolitische Engagement sowohl gelobt als auch kritisiert werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Poesie und Pandemie“ von Safiye Can eine vielfältige Sammlung von Gedichten darstellt, die sich auf unterschiedliche Weise mit den Auswirkungen der Pandemie und anderen gesellschaftlichen Herausforderungen auseinandersetzt 3. Die Gedichte bedienen sich verschiedener Formen und zeichnen sich durch Rhythmik, Klang und unerwartete Wendungen aus 2. Die Autorin beabsichtigt, mit ihren Versen ein „Windlicht für dunkle Tage“ zu schaffen 4 und die Erfahrungen dieser besonderen Zeit zu dokumentieren 6. Die kritische Rezeption des Bandes ist überwiegend positiv, wobei besonders das Engagement und die thematische Bandbreite gelobt werden. Einzelne Kritiker bemängeln jedoch eine gewisse Direktheit und den stellenweisen Mangel an poetischer Subtilität 3. Dennoch bietet „Poesie und Pandemie“ einen Einblick in die vielschichtigen Erfahrungen und Reflexionen einer außergewöhnlichen Zeit aus der Perspektive einer engagierten Lyrikerin.
Safiye Can wurde als Kind tscherkessischer Eltern in Offenbach am Main geboren und studierte Philosophie, Psychoanalyse und Jura in Frankfurt am Main 1. Sie ist als Lyrikerin, Prosaautorin und Übersetzerin aus dem Türkischen tätig und wurde bereits mit mehreren Literaturpreisen und Stipendien ausgezeichnet, darunter der Else-Lasker-Schüler-Lyrikpreis (2016) und der Alfred Müller-Felsenburg-Preis für aufrechte Literatur (2016) 1. Can arbeitete als Gastdozentin an verschiedenen Universitäten und ist Mitglied des P.E.N2.. Neben „Poesie und Pandemie“ hat sie unter anderem die Lyrikbände „Rose und Nachtigall“ (2020), „Kinder der verlorenen Gesellschaft“ (2017) und „Diese Haltestelle hab ich mir gemacht“ (2015) veröffentlicht 1. Die Tatsache, dass „Poesie und Pandemie“ vier Jahre nach „Kinder der verlorenen Gesellschaft“ erschien, positioniert den Band innerhalb ihres bereits etablierten literarischen Schaffens 3. Die rasche Veröffentlichung einer zweiten Auflage deutet auf ein frühes Interesse an diesem Werk hin 1.
Referenzen
- Poesie und Pandemie – Safiye Can – Wallstein Verlag, Zugriff am März 24, 2025, https://www.wallstein-verlag.de/9783835350083-poesie-und-pandemie.html
- Poesie und Pandemie: Gedichte : Can, Safiye – Amazon.de, Zugriff am März 24, 2025, https://www.amazon.de/Poesie-Pandemie-Gedichte-Safiye-Can/dp/3835350080
- Safiye Can: Poesie und Pandemie. Gedichte – Perlentaucher, Zugriff am März 24, 2025, https://www.perlentaucher.de/buch/safiye-can/poesie-und-pandemie.html
- Poesie und Pandemie von Safiye Can – faltershop.at, Zugriff am März 24, 2025, https://shop.falter.at/detail/9783835350083/poesie-und-pandemie
- Safiye Can – Porträt einer Autorin – lauftext-Literaturblog, Zugriff am März 24, 2025, https://www.lauftext.com/safiye-can
- Safiye Can – HerzSchlagDrama – Büchergilde, Zugriff am März 24, 2025, https://www.buechergilde.de/aktuelles-2023-safiye-can-herzschlagdrama
- Safiye Can: Poesie und Pandemie – Signaturen-Magazin, Zugriff am März 24, 2025, https://signaturen-magazin.de/safiye-can–poesie-und-pandemie.html
- Vom Händewaschen und Verseschreiben zu Zeiten der Pandemie(n) – Safiye Can versucht in ihrem neuen Lyrikband „Poesie und Pandemie“, dem Unvorhersehbaren eine Form zu geben : literaturkritik.de, Zugriff am März 24, 2025, https://literaturkritik.de/can-poesie-und-pandemie,28232.html
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