Øyvind Bergs Gedicht „Schwärze, was ist das? / Licht in einem ungeöffneten Buch. / Gebärmutterlicht.“ verdichtet in drei Zeilen eine tiefgründige Reflexion über das Verborgene, das Potenzial und den Ursprung von Existenz. Hier meine Annäherung an diesen Text:
Schwärze als paradoxer Träger von Licht:
Die Frage „Schwärze, was ist das?“ setzt ein, indem sie das scheinbar Offensichtliche (Dunkelheit als Abwesenheit von Licht) infrage stellt. Die Antwort „Licht in einem ungeöffneten Buch“ kehrt die Erwartung um: Schwärze wird nicht als Leere, sondern als Ort des verborgenen Lichts gedeutet. Das ungeöffnete Buch symbolisiert unentdecktes Wissen, ungeschriebene Geschichten oder ungenutztes Potenzial – das Licht ist bereits vorhanden, aber noch nicht sichtbar. Es ist ein Hinweis auf die kreative oder intellektuelle Energie, die in der Stille schlummert.
Gebärmutterlicht: Ursprung und Schöpfung:
Der Neologismus „Gebärmutterlicht“ verbindet das Biologische mit dem Metaphysischen. Die Gebärmutter steht für den dunklen, geschützten Raum, in dem Leben entsteht – ein Ort der Möglichkeit, noch bevor etwas in die Welt tritt. Das „Licht“ hier ist kein physikalisches, sondern ein symbolisches: die Lebenskraft selbst, die im Verborgenen wirkt. Es evoziert die Idee, dass Schöpfung (ob körperlich, künstlerisch oder geistig) immer aus der Dunkelheit hervorgeht, ähnlich wie Samen im Erdreich keimen.
Dialektik von Verhüllung und Enthüllung:
Berg spielt mit Gegensätzen: Licht/Schwärze, Verborgenheit/Offenbarung, Potenzial/Manifestation. Das ungeöffnete Buch und die Gebärmutter sind beide „Container“ des Möglichen – sie bergen etwas, das erst durch Öffnen (Lesen, Geburt) ins Dasein tritt. Die Schwärze wird so zur Voraussetzung des Lichts, nicht zu dessen Gegenteil. Dies könnte auf existenzielle oder künstlerische Prozesse anspielen, bei denen Ideen im Unsichtbaren reifen, bevor sie Gestalt annehmen.
Existenzielle und poetologische Dimension:
Das Gedicht lässt sich als Metapher für das Schreiben selbst lesen: Das „ungeöffnete Buch“ könnte das weiße Blatt sein, das noch gefüllt werden muss, während die „Schwärze“ der Tinte oder der unbeschriebenen Leere entspricht, aus der Sprache erst entsteht. Gleichzeitig verweist es auf den menschlichen Ursprung – die Gebärmutter als Ur-Quelle, die Dunkelheit als Bedingung des Werdens.
Bergs Gedicht feiert das Verborgene als Raum des Werdens. Schwärze ist kein Mangel, sondern ein Reservoir ungenutzter Energie, ein Ort des Anfangs. Es verbindet das Kosmische (Licht) mit dem Körperlichen (Gebärmutter) und dem Geistigen (Buch), um zu zeigen, dass Schöpfung immer aus der Dunkelheit hervorbricht – sei es Leben, Kunst oder Erkenntnis. Die Kargheit der Sprache unterstreicht dabei, dass das Wesentliche oft unausgesprochen bleibt, aber im Leser weiterwirkt.
Entnommen: Poesielabum 258 – Übertragen aus dem Norwegischen von Rainer Schedlinski – Verlag Neues Leben, Berlin 1989 – ZurPerson Øyvind Berg.
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