Agnes-Bernauer- BECKENENDLAGE - Kathrin Niemela

BECKENENDLAGE – Kathrin Niemela

Annäherung an ein grausames Gedicht | Der Titel wirkt harmlos medizinisch: „Beckenendlage“. Ein Begriff aus der Geburtshilfe – das Kind liegt mit Füßen oder Gesäß voran im Mutterleib, eine riskante Position. Doch im Gedicht führt dieser Titel nicht in den Kreißsaal, sondern ins Wasser: zu einem „Ertränkungsbecken“ in Island.

Historische Orte, reale Gewalt

Der Name Drekkingarhylur taucht auf – wörtlich: „Ertränkungsbecken“. Dort wurden bis ins 18. Jahrhundert Frauen, die man wegen „Unzucht“ oder Hexerei verurteilte, im Wasser hingerichtet. Männer erhielten meist mildere Strafen. Die Autorin ruft diesen Ort auf, um eine Atmosphäre von Schuld und Strafgericht über Frauenkörper zu schaffen.

Frage an den Text: Wessen Schuld ist eigentlich gemeint – die individuelle Schuld der Frauen oder die gesellschaftliche Schuld, die sie ins Wasser stößt?

Von der Donau zur Torte

Eine andere Figur erscheint: Agnes Bernauer. Sie war die Geliebte des bayerischen Herzogs Albrecht III., wurde 1435 in der Donau ertränkt, angeblich der Hexerei schuldig. Heute gibt es in ihrer Heimatstadt Augsburg eine „Agnes-Bernauer-Torte“ aus Baiser und Buttercreme.
Das Gedicht deutet diese bittere Ironie an: Eine grausame Hinrichtung wird von der Nachwelt in Zucker verwandelt.

Frage an den Text: Was passiert, wenn tödliche Gewalt an Frauen in harmlose Folklore verwandelt wird?

Vergangenheit und Gegenwart

Dann rückt das Gedicht näher an uns heran: von der historischen Hexenverfolgung zu heutigen Flüchtlingskatastrophen. „Die kenternde Mutter im Mittelmeer“ – ein Bild, das in den Nachrichten der letzten Jahre grausam vertraut ist. Frauen ertrinken, während sie Leben retten oder neues Leben im Bauch tragen.

Frage an den Text: Wie verändert sich unser Blick, wenn wir die Toten von damals und heute nebeneinander sehen?

Der Kampf um Luft und um Sprache

Das Gedicht endet mit dem Kampf gegen das Atmen – und der bitteren Wiederholung: den Mund über Wasser halten, den Mund halten.
Physisch bedeutet das Überlebenskampf. Symbolisch klingt es wie ein Kommentar zur Geschichte der Frauen: Schweigen, erzwungenes Verstummen, das Verschlucken der eigenen Stimme.

Frage an den Text: Ist das Schweigen Schutz – oder Teil der tödlichen Gewalt?

Schlussgedanken?

Das Gedicht führt vor Augen, wie Frauenkörper immer wieder zu Orten von Schuld, Bestrafung und Tod erklärt werden – in der Geschichte wie in der Gegenwart. Es zwingt uns, die Bilder auszuhalten, und konfrontiert uns mit der Frage, wie viel wir wirklich sehen wollen. Ich habe mich gefragt, ob es damals und welchen Widerstand es heute gegen Femizide gibt.

Porträt der Autorin Kathrin Niemela.

Titelfoto: Alexander Pixa


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