„So bin ich die Unruhe der Zurückgebliebenen.“ – Dieser Satz steht am Ende eines Gedichts aus der WORTSCHAU #44, und er zeigt, wie Marina Büttner schreibt: ohne Umschweife, mit einer Direktheit, die sich erst Tage später ganz entfaltet. Ihre Texte sind keine sanften Landschaftsbeschreibungen – sie sind Selbstgespräche, die an die Oberfläche drängen, handgeschrieben, getuscht, fragmentarisch.
Geboren 1967, lebt Büttner in Berlin. Über ein Viertel Jahrhundert arbeitete sie als Buchhändlerin in Ost- und West-Berliner Buchhandlungen – eine Biografie, die zwei literarische Welten umfasst, die Wende, verschiedene Buchkulturen. Seit einigen Jahren hat sie die Seiten gewechselt: von der Verkäuferin zur Produzentin. Sie schreibt Lyrik, malt, tuscht, bloggt auf literaturleuchtet über Literatur und zeigt ihre bildnerischen Arbeiten auf myartofblue.
Handschrift als Form
Büttners Serie „Notizen, Selbstgespräche“ verbindet handschriftliche Gedanken mit Tuschearbeiten. Das ist kein Zufall: Die Handschrift wird hier zum Gestaltungselement, die Tusche zur Erweiterung des Geschriebenen. 2025 erschien ihr zweites schmales Bändchen „Notizen, Nachtnotate“ im Selbstverlag – bewusst unabhängig gedruckt, um maximale Freiheit der Gestaltung zu haben. Es sind Texte, die nachts entstanden, aus der Handschrift abgetippt, kombiniert mit aktuelleren Tuschearbeiten.
Was in dieser Arbeitsweise aufscheint, ist eine Form der Unmittelbarkeit. Büttners Texte wirken nicht durchkomponiert im klassischen Sinn – sie wirken festgehalten, bevor sie sich auflösen. Themen wie Vergänglichkeit, Tod und die schöpferische Kraft ziehen sich als wiederkehrende Motive durch ihr Werk.
Orte der Erschütterung
Ihr Gedicht Jüdischer Friedhof Weißensee (WORTSCHAU #43) verdichtet eine Momentaufnahme zu starken, teils naturrohen Bildern, in denen persönliche Erschütterung und historische Schwere ineinanderfließen. Zwischen verwitterten Steinen, Symbolen und Zeichen des Verfalls verhandelt der Text die Beziehung von Zeit, Wahrheit und Erinnerung. Es ist diese Fähigkeit, Orte nicht nur zu beschreiben, sondern ihre emotionale Ladung sichtbar zu machen, die Büttners Lyrik auszeichnet.
2019 gewann sie den SternenBlick-Lyrikpreis mit dem Gedicht ich baue ein haus aus licht – ein Text über das Schreiben selbst, über das Sammeln von Worten auf Abraumhalden, über Vorstellungskraft als Baumaterial. Ihre Texte erscheinen regelmäßig in Literaturzeitschriften und Anthologien wie Versnetze, Mosaik, Sachen mit Wörtern, WORTSCHAU und auf Plattformen wie fixpoetry. Sie hat ein Grundstudium in Kunsttherapie und Poesietherapie abgeschlossen, was sich in der therapeutischen Qualität ihrer Arbeit spiegelt – nicht im Sinne von Heilung, sondern im Sinne eines genauen Hinsehens auf das, was schmerzt.
Ohne festen Fahrplan
Büttners künstlerische Arbeit folgt keinem festen Tagesablauf. Inspiration findet sie in kulturellen Veranstaltungen wie Ausstellungen, Lesungen, Theater- und Kinobesuchen sowie in spontanen Begegnungen. Das klingt nach Zufall, ist aber eine Haltung: Offenheit gegenüber dem, was kommt.
Ihre Texte lassen sich nicht in eine eindeutige Tradition einordnen. Sie sind zu konkret für hermetische Lyrik, zu fragmentarisch für narrative Dichtung. Sie bewegen sich in einem Zwischenraum – zwischen Notiz und Gedicht, zwischen Bild und Text, zwischen Festhalten und Loslassen.
Weiterlesen
Wer mehr von Marina Büttner lesen möchte, findet auf ihrem Blog literaturleuchtet nicht nur Buchrezensionen, sondern auch eigene Texte. Die Serie „Notizen, Selbstgespräche“ ist in gedruckter Form direkt bei ihr erhältlich. In der aktuellen WORTSCHAU #44 zum Thema „Selbstgespräch“ ist ihr Text Notizen, Selbstgespräche abgedruckt – ein guter Einstieg in eine Stimme, die sich nicht anbiedert, sondern ihre eigene Unruhe ernst nimmt.
Entdeckt habe ich die Autorin in der Ausgabe #43 der Literaturzeitschrift WORTSCHAU: Jüdischer Friedhof Weißensee.
Quellen
SternenBlick.org
marinabuettner.de
literaturleuchtet.wordpress.com
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Marina Büttner – Notizen, Selbstgespräche
8–12 MinutenIn der WORTSCHAU #44 bin ich auf ein Selbstgespräch von Marina Büttner gestoßen: „In einem vorherigen Leben war ich eine Reisende.“ Reflektierende Notizen um das Reisen – das innere wie das räumliche, um Bewegung und Stillstand, um Erinnerung und Verlust. Etwas in diesem Satz resonierte, ohne dass ich sofort hätte sagen können, warum. Eine erste…
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Katia Tangians Barsik
2–3 MinutenKatia Tangians Cover für diese Ausgabe zeigt ein Foto aus den Achtzigern: ein Mann, der grimassiert, im Hintergrund Teile einer Stereoanlage. Ein Schnappschuss, wie es ihn tausendfach gibt. Der Text, der das Bild umfließt, erzählt von Barsik – einem Kater, der in der Nachbarschaft als bösartiges Mistvieh galt und ständig mit den anderen Katern auf…
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WORTSCHAU Nr. 44 – Selbstgespräch
2–3 MinutenDie 44. Ausgabe 2025 der WORTSCHAU widmet sich dem Thema Selbstgespräch und fragt nach der künstlerischen Darstellung des eigenen inneren Erlebens. Die Herausgeber Johanna Hansen und Wolfgang Allinger haben aus über 200 Einreichungen eine vielstimmige Auswahl getroffen, die das Selbstgespräch in seinen unterschiedlichsten literarischen Formen erkundet – von lyrischen Reflexionen bis zu autofiktionalen Erzählungen. Hauptautorin…
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Jane Wels – Bitte versuchen sie, …
3–5 MinutenAnnähernd gelesen | Zwischen Sprache, Ordnung und AuflösungJane Wels‘ Gedicht „Bitte versuchen Sie,“ ist ein Text über die Unmöglichkeit, gefasst zu werden – und zugleich ein Text, der sich selbst beim Versuch des Fassens beobachtet. Es spielt mit der Spannung zwischen Sprache und Identität, zwischen Ordnung und Auflösung, und ist dabei zugleich selbstreflexiv, ironisch und…
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Marina Büttner – Jüdischer Friedhof Weißensee
3–4 MinutenAnnähernd gelesen | Gedichtlektüre und Kontext. Das 1-strophige Gedicht von Marina Büttner verdichtet eine Momentaufnahme auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee zu einer Folge von starken, teils naturrohen Bildern, in denen persönliche Erschütterung und historische Schwere ineinanderfließen. Zwischen verwitterten Steinen, Symbolen und Zeichen des Verfalls verhandelt es die Beziehung von Zeit, Wahrheit und Erinnerung. Gelesen habe…
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Dialog über Hermetik und Zugänglichkeit in der Lyrik
5–7 MinutenEin Nachtrag zur WORTSCHAU Nr. 43 | Mein kritischer Beitrag zur WORTSCHAU Nr. 43 hat auf Facebook eine bemerkenswert konstruktive Diskussion ausgelöst. Dass sich Herausgeber, Autorinnen und Autoren die Zeit genommen haben, auf meine Fragen einzugehen, freut mich sehr – und zeigt, dass die Spannung zwischen Hermetik und Zugänglichkeit keine einseitige Irritation ist, sondern ein…
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Jane Wels‘ Sandrine
3–4 MinutenErinnerungen sind selten linear. Sie flackern, tauchen auf, verschwimmen, brechen ab – und genau dieses Flirren liegt im Text über Sandrine. Ein weibliches Ich spricht, nicht in klaren Linien, sondern in Schichten und Sprüngen. „Ihr Atem ist so leise wie ein Hauch Gänsedaunen.“ Zeit scheint stillzustehen, nur um im nächsten Moment „ein Hüpfspiel“ zu werden.…
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WORTSCHAU Nr. 43
2–3 MinutenGedanken zur „WORTSCHAU“ #43 (Es hört nie auf) – oder: Warum ich beim Lesen ins Stolpern kam Beim Lesen dieser Ausgabe drängte sich mir eine Frage auf: Für wen sind diese Texte eigentlich gedacht? Nicht, weil die Sprache unzugänglich wäre – im Gegenteil, Satzbau und Wortwahl sind oft klar –, sondern weil viele Gedichte in…
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BECKENENDLAGE – Kathrin Niemela
3–4 MinutenWenn Wasser zur Hinrichtungsstätte wird – Eine Annäherung an das Gedicht „Beckenendlage“ von Kathrin Niemela | Der Titel klingt nach Krankenhaus, nach Ultraschall und besorgten Hebammen: „Beckenendlage“ – ein geburtshilflicher Fachbegriff für eine riskante Position des Kindes im Mutterleib. Doch Kathrin Niemelas Gedicht führt nicht in den Kreißsaal. Es führt ins Wasser. Ins Ertränkungsbecken. Drekkingarhylur:…
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WORTSCHAU 43 – Es hört nie auf
1–2 MinutenDiese Ausgabe des Literaturmagazins WORTSCHAU präsentiert sich als besonders lyrik-fokussierte Publikation mit Thomas Kunst als Hauptautor. Feridun Zaimoglu charakterisierte Kunst in seiner Kleist-Preis-Begründung als den „sprachbesessensten und herzverrücktesten deutschen Dichter unserer Zeit“ – eine durchaus plakative Zuschreibung, die der Leser selbst überprüfen kann. Kleine Einblicke in Thomas Kunsts Gedankenwelt | Der beigefügte Fragebogen gibt Einblicke…
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Jörn Peter Budesheim
1–2 MinutenIn der WORTSCHAU 43 bin ich auf Arbeiten von Jörn Peter Budesheim gestoßen. Besonders auffällig ist dabei, wie er in seinen Zeichnungen mit verschiedenen Ebenen arbeitet. Sie erschließen sich nicht sofort, sondern fordern dazu auf, gelesen zu werden – Schicht für Schicht. Und das passt gut zu diesen Gedichten. 1960 in Marburg geboren, arbeitete Budesheim…
